Fünftes Rodel-Gold: Geisenberger im Olympia-Olymp
Peking - Wenn sich ein dreimaliger Olympiasieger und 13-malige Weltmeister vor einem auf den Eisboden wirft und die Füße küsst, muss schier Großartiges, ja, Historisches passiert sein.
So wie an diesem 8. Februar 2022, da holte Deutschlands Rodel-Queen Natalie Geisenberger (34), die vor 18 Monaten Rodel-Mama geworden war, zum dritten Mal nach 2014 in Sotschi und 2018 in Pyeongchang - im Eiskanal von Yanqing olympisches Gold im Einzel. Es war ihre insgesamt fünfte Goldene, zwei weitere hatte sie schon im Team geholt.
Gleich nach der Zieldurchfahrt schrie Geisenberger ihre Freude aus sich heraus. Teamkollege Felix Loch, selber dreimaliger Olympiasieger und langjähriger Teamkollege in der legendären Trainingsgruppe Sonnenschein, warf sich vor sie hin und busselte ihr die Füße.
Geisenberger: "Dass es wieder zu Gold reicht, ist Wahnsinn"
Alles eitel Sonnenschein! Auch er, der Hüne aus dem Eiskanal (1,91 Meter, 92 Kilo), konnte - und wollte - die Freudentränen nicht zurückhalten. Seit 1998 kamen die Olympiasiegerinnen im Einsitzer der Frauen stets aus Deutschland. Geisenberger stolzierte mit der deutschen Flagge auf dem Rücken durch den Eiskanal, nahm die Gratulationen - oder waren es Ovationen? - entgegen.
"Dass es wieder zu Gold reicht, ist Wahnsinn. Ich habe keine Worte, ohne meine Familie hätte ich es nicht geschafft", sagte Geisenberger und wischte sich die Freudentränen weg. Dann formte sie ein Herz Richtung ihres Mannes Markus und ihres Sohn Leo.
Leo ist immer dabei, wenn die Mama unterwegs ist. Sie trägt als Glücksbringer eine Kette mit dem Hand- und Fußabdruck des Sohnemannes. Geisenberger zog nach Olympiasiegen mit der bisherigen deutschen Winter-Rekordhalterin Claudia Pechstein (49) gleich. Am Donnerstag im Teambewerb kann sich die Miesbacherin die sechste Goldene holen - und sich dann die Krone der erfolgreichsten deutschen Olympionikin alleinig aufsetzen. Wichtig sei ihr dass aber nicht, sagte Geisenberger, "vielleicht irgendwann mal. Aber jeder geht ja seinen eigenen Weg, jeder hat unterschiedliche Chancen in seiner Karriere. Mein Weg war super, so wie er war."
Das war er. Der letzte Schritt bei diesem Aufstieg in den Olymp hat Geisenberger alles abgefordert. Denn die Bahn mit dieser vermaledeiten Kurve 13 hat ihr alles abverlangt. Im Training war sie in diesem tückischen Streckenabschnitt der mit 1475 Metern längsten Rodel-Bahn der Welt gestürzt.
"Ich war sehr nervös, habe wieder kaum gegessen, nur ein Müsli. Es waren zwei wahnsinnig harte Tage", sagte Geisenberger und schaute dann verzückt auf die Goldmedaille: "Aber das hier ist der Lohn."
Strenge Corona-Vorgaben: Geisenberger dachte über Olympia-Verzicht nach
Gold für die Rodel-Queen, Silber für ihre designierte Thronfolgerin. Anna Berreiter (Berchtesgaden) raste mit ihren 22 Jahren bei ihrem Olympia-Debüt auf den zweiten Platz. "Ich war immer schon etwas früh dran", sagte die bekennende Langschläferin, die wohl auch den Rekord für die schnellsten Tränen aufgestellt hat. Sie hatte kaum die Ziellinie überschritten, da wurde sie von ihren Gefühlen übermannt. "Es ist einfach nur überwältigend, dass ich jetzt die Silberne in den Händen halten darf. Ich kann es noch nicht realisieren", sagte Berreiter. Bronze ging an die Russin Tatjana Iwanowa.
Weltmeisterin Julia Taubitz (Oberwiesenthal/1,979) verpasste nach ihrem Sturz vom Vortag als Siebte das Podest deutlich. "Alle sagen zu mir: In vier Jahren gibt es die nächste Chance", sagte Taubitz, "das stimmt, aber es sind vier verdammte Jahre."
Im Vorfeld der Spiele hatte Geisenberger offen über einen Verzicht nachgedacht. Zu verstörend empfand sie die Ereignisse eines mehrwöchigen Aufenthalts in China vor dem Saisonauftakt. Obwohl die Athleten alle negative Corona-Tests vorweisen konnten, mussten alle Athleten durchgehend in Isolation bleiben. Sie bekamen Essen serviert, das den Namen kaum verdiente, sie durften die Zimmer nur zum Training verlassen.
Die Athleten mussten ihr Geschäft in einen Kanister verrichten
Als negativen Höhepunkt blieb Geisenberger eine stundenlange Busfahrt im Gedächtnis. Die Athleten durften nicht auf die Toilette, stattdessen wurde ein Kanister gereicht. Herabwürdigend, demütigend, menschenverachtend. Die Teilnahme an einem Weltcup in China schloss Geisenberger kategorisch aus. Zum Glück trat sie aber bei den Spielen an - und krönte sich mal wieder zur Rodel-Queen.
Geisenberger ist erst die zweite Mama mit olympischem Rodel-Gold. Vor ihr fuhr nur Steffi Martin 1984 als Mutter ganz nach oben.
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