Trotz Auftaktsieg: Bayern-Bosse haben Bedenken
Der Auftakt in die Champions League glückt – dank einem „großen, großen Herz“. Trotzdem haben Trainer und Bosse Bedenken.
München - Zur rechten Zeit ein Tritt in den Hintern – kann jeder mal gebrauchen. Als Antrieb, zur Motivation. Aber anstelle eines Schulterklopfers, statt einer Umarmung? Selten gesehen. In der Welt von Bayern-Trainer Pep Guardiola ist der Tritt (im Lackschuh!) die größtmögliche Wertschätzung. Für den Allerwertesten des Abends, für Jérôme Boateng, den Dreipunktebringer durch seinen Treffer zum 1:0 gegen Manchester City im ersten Spiel der Gruppenphase der Champions League.
Als Boateng nach seinem Last-Minute-Volleyschuss ins Glück, weil ins lange Eck, Richtung Bayern-Bank lief, flippten seine Mitspieler aus. Guardiola mittendrin. Unkontrollierter Jubel beim Kontrollfreak, der während der Partie jeden Pass seiner Untergebenen mitspielt, manchmal sogar vormacht, mitunter zwei Meter im Feld steht. Bayerns Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge erklärte Guardiolas Gefühlsausbruch folgendermaßen: „Die Champions League reizt Pep Guardiola natürlich. Das sind Ballnächte für ihn. Und wenn er da den Frack anhat, dann will er natürlich gewinnen.“
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Boateng rannte zu Pep, sie herzten sich so innig, dass akute Verletzungsgefahr bestand – schließlich folgte die katalanische Tätlichkeit. Zack, eins auf den Hintern. Und Gegner Manchester City wird sich aufgrund dieser zähen, nicht klein zu kriegenden Bayern beim Auftakt in die Champions League gedacht haben: „Leck mich am ...“ „Ich habe nicht alles gehört. Da haben so viele geschrien, ich auch“, kommentierte Boateng die Jubelszenen, als seine Kollegen und auch sein Chef Guardiola längst den Kabinentrakt verlassen hatten und auf dem Heimweg waren. „Ich habe mich auch Freude für den Trainer. Er lebt jedes Spiel an der Linie mit.“
Dabei sprach vor Anpfiff des Duells mit dem englischen Meister, bei Buchmachern und Experten ein Halbfinal-Kandidat der diesjährigen Königsklassen-Saison, ziemlich viel gegen die Bayern. Sie haben es hingekriegt – trotz all der Sorgen und Probleme. Mit „großem, großem Herz“ (O-Ton Guardiola) und viel Improvisationskunst. Seit 2003 haben die Bayern nun elf Mal hintereinander ihr Auftaktspiel der Gruppenphase in der Champions League gewonnen – und danach stets das Achtelfinale erreicht.
Mit dem 1:0 gegen die Weltklassetruppe von Manchester City dürfte ihnen das Weiterkommen fast sicher sein. Was Guardiola und Sportdirektor Matthias Sammer allerdings ganz anders sehen: „Ich denke, dass sich die Gruppe erst am letzten Spieltag hier zu Hause gegen ZSKA Moskau entscheiden wird“, sagte Guardiola. Doch Moskau, erster Auswärtsgegner der Bayern in der Champions League am 30. September, dürfte ein bis zwei Klassen schwächer sein, das hat der 5:1-Kantersieg des AS Rom am Mittwoch gezeigt. Es gehört zur Motivationsrhetorik, dass Sammer sagt: „In dieser Gruppe wird Spiel für Spiel ein Endspiel.“ Man kennt ihn, den Sport- und Mahndirektor. Aus all den Worten aber spricht die Sorge über das eigene Leistungsvermögen, die aktuelle Verfassung in einer Periode mit sieben Spielen in 22 Tagen.
Die AZ erklärt, warum Trainer und Bosse Bedenken haben:
Die Verletzten: Javi Martínez (Kreuzbandriss) und Holger Badstuber (Sehnenriss) fehlen noch Monate, dazu Bastian Schweinsteiger und Franck Ribéry wegen ihrer Patellasehnen-Beschwerden auf unbestimmte Zeit. „Bei Ribéry wird es sicherlich etwas schneller gehen als bei Bastian. Der ist jetzt erst in den Anfängen des ganzen Trainingsablaufs“, sagte Rummenigge. Über einen Zeitpunkt von Schweinsteigers Comeback mochte er nicht spekulieren. Er sei kein Arzt, hoffe aber auf eine „schnelle Rückkehr“. Bei Ribéry dagegen sprach er von einer „kurzfristigen und keiner langfristigen Geschichte“. Eine Rückkehr des Franzosen am Samstag (15.30 Uhr) beim Hamburger SV scheint ausgeschlossen. Thiago macht derweil schon Lauftraining.
Die Überbeanspruchung: Alle drei, vier Tage ein Spiel – mit Rafinha und Benatia standen zwei Akteure ohne viel Training und ohne jegliche Spielpraxis gegen Manchester in der Startelf – ein Risiko. Bei Arjen Robben (Sprunggelenksprobleme) reichte es nur zu einem kurzen Joker-Einsatz. „Wir müssen aufpassen und die Jungs gut pflegen, zwischendurch gut regenerieren“, forderte Sammer. Beim HSV könnten Dante, Shaqiri, Rode, Höjbjerg oder gar Gaudino (nur auf der Tribüne) ins Team reinrotieren.
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Die Spielweise: Noch wirkt Guardiola wie ein Suchender. Mal Viererkette, mal Dreierkette – im Spiel stellt er plötzlich um. „Pep weiß, was der Mannschaft guttut“, sagt Sammer. „Wir haben bis jetzt vernünftige Ergebnisse erzielt, bis auf das 1:1 auf Schalke läuft alles nach Plan“, findet Torhüter Neuer, der jedoch fordert: „Natürlich müssen wir auch wieder zu unserem Spiel zurückfinden und schönen Fußball zeigen.“ Momentan zählen nur Siege. Errungen durch Leidenschaft. Die Emotionen lebt Guardiola in der schwierigen Phase als Derwisch an der Seitenlinie vor: „Er hat das Gefühl, mittendrin zu sein, obwohl er draußen steht“, sagt Sammer, dem der herumtobende Coach die Sicht versperrt. „Ich sage es ihm und dann ist es wieder besser.“