"Thomas Müller steht in einer Reihe mit Beckenbauer und Kahn"
München Vor dem Topspiel zwischen dem FC Bayern und Leverkusen spricht Reiner Calmund im AZ-Interview über Schweinsteigers Nachfolger und Neuzugang Vidal.
AZ: Herr Calmund, wo erreichen wir Sie?
REINER CALMUND: Ich bin auf einem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer unterwegs. Teils Urlaub, es steht aber noch der eine oder andere Termin an. Dann sind Sie ja am Samstag beim Topspiel zwischen dem FC Bayern und Ihrem Ex-Verein Bayer Leverkusen gar nicht vor Ort. Der Samstag ist mein letzter Abend auf dem Schiff, da gibt es eine Veranstaltung hier, wir werden uns das Spiel gemeinsam anschauen, mit Moderation und einer Prognose von mir. Wird sicher ein schöner Abend.
Mit Arturo Vidal steht bei Bayern seit diesem Jahr ein ehemaliger Leverkusener im Kader. Ein guter Transfer?
Vidal passt wie die Faust aufs Auge, er ist ein absoluter Volltreffer. Der FC Bayern brauchte im Mittelfeld unbedingt noch einen richtig aggressiven, kampfstarken Defensivspieler, der auch offensiv kreativen Fußball spielt. Jupp Heynckes hat in Leverkusen aus dem wilden Vidal einen klugen Fighter und einen seiner Lieblingsspieler gemacht, es gab national und internationale keine bessere Lösung. Er wollte ihn damals schon mit nach München nehmen, was ja nicht geklappt hat. Er zeigt schon jetzt außergewöhnlich gute Leistungen, hatte in den letzten Spielen viele Ballkontakte und war Dreh- und Angelpunkt im defensiven und offensiven Bayern-Spiel.
In Leverkusen haben Sie immer wieder gute Erfahrungen mit Brasilianern gemacht. Bei Bayern trumpfte zuletzt Neuzugang Douglas Costa richtig auf.
Costa ist dynamisch, schnell, trickreich und torgefährlich, der Brasilianer ist ein Knaller. Er ist für die Münchner eine optimale Verstärkung und viel mehr als nur ein Ersatz für die oft verletzten Super-Stars Robben und Ribéry.
Thiago hat seinen Vertrag verlängert, bleibt jetzt auch Pep Guardiola?
Dass mit Thiago einer der Lieblings-Spieler von Guardiola seinen Vertrag verlängert hat, kann durchaus auch ein positives Signal für die Vertrags-Verlängerung des Bayern-Trainers sein. Im Endeffekt wird die weitere Zusammenarbeit von Guardiola und dem FC Bayern in erster Linie jedoch von Ergebnissen, Emotionen und Stimmungen abhängen. Ich sehe die Chancen, dass er bleibt, bei 50:50.
Wer könnte ein möglicher Nachfolger sein?
Da gibt es mit Sicherheit einen kleinen Bus voll mit internationalen Top-Trainern, die in Frage kommen. Auf dem deutschen Markt sehe ich Jürgen Klopp. Auf dem internationalen Wunschzettel dürfte Ancelotti mit drei Champions-League-Siegen weit oben stehen.
Hat Thomas Müller das Zeug, die Schweinsteiger-Rolle als Anführer zu übernehmen?
Thomas Müller ist für mich ganz klar der legitime Nachfolger von Bastian Schweinsteiger. Ich sehe ihn als Bayern-Anführer und Leistungsträger in einer Reihe mit den Legenden Sepp Maier, Gerd Müller, Franz Beckenbauer, Oliver Kahn und Co. Seine Bilanz ist großartig, er feierte mit 26 Jahren schon vier Meistertitel, drei Pokalsiege, gewann die Champions League, die Weltmeisterschaft. Bereits 2010 wurde er als junger Kerl WM-Torschützenkönig. Müller ist authentisch, sympathisch, intelligent, witzig. Er ist – mehr noch als der etwas introvertiertere Schweinsteiger – ein Weltstar zum Anfassen.
Zum Spiel: Wo sehen Sie mögliche Schwächen beim FC Bayern?
Die Bayern sind ein absolutes Dream-Team, dennoch könnte man die Defensive verbessern. Mit Lahm, Alaba und Boateng haben sie in diesem Bereich drei Weltklasse-Kicker an Bord, trotzdem fehlt aus meiner Sicht noch ein Innenverteidiger vom gleichen Format.
Wird Roger Schmidt auch gegen die Bayern seinen bedingungslosen Offensivfußball spielen lassen?
Er ist in Leverkusen als Cheftrainer komplett angekommen. Neben seinen fachlichen Qualitäten konnte man nach dem Champions-League-Erfolg gegen Lazio Rom sehen, wie er von den Spielern gefeiert und geherzt wurde. Schmidt wird sein Team in München sicherlich nicht total offensiv einstellen, aber nur zu mauern, das kommt bei ihm auf gar keinen Fall in Frage.
Gibt der Sieg gegen Lazio Rückenwind?
Es war vermutlich der wichtigste Sieg der Saison. Die Leverkusener haben sich damit in den letzten fünf Jahren viermal für die Champions League qualifiziert. Das sorgt für Ruhe, Selbstvertrauen und zusätzliche Kohle.
Hat Leverkusen das Zeug, den Bayern in der Meisterschaft auf den Fersen zu bleiben?
Leverkusen wird sich mit Dortmund, Wolfsburg, Mönchengladbach und Schalke um Platz zwei und die weiteren Ränge für das internationale Geschäft streiten. Bayern München hat in der Spitze und Breite eindeutig die bessere Spieler-Qualität. Wenn die Bayern von einem außergewöhnlichen Verletzungspech verschont bleiben, werden sie erneut Meister.
Was trauen Sie den deutschen Vereinen in der Champions League zu?
Wenn alle vier Teams bis zur Winterpause von größerem Verletzungspech verschont bleiben, werden die Bayern zu 100 Prozent die K.o.-Runde erreichen. Die Chancen von Leverkusen und Wolfsburg sehe ich trotz schwerer Gruppen-Gegner bei 65 Prozent. Borussia Mönchengladbach muss sein Comeback in der Champions League nach 38 Jahren mit Manchester City, Juventus Turin und dem FC Sevilla in der Hammergruppe bestreiten. Ich drücke den Jungs von Lucien Favre die Daumen, aber reden wir nicht drum herum: Das Achtelfinale wäre schon eine faustdicke Überraschung.