Pähl, Müller und der Gurken-Streit
Wie sich das Heimatdorf von Thomas Müller fürs „Jahrhundertspiel” gegen den FC Bayern rüstet: 6000 Zuschauer, 370 Helfer, 100 Kuchen – und die Einnahmen sind für die Fenster der neuen Turnhalle
PENZBERG/PÄHL Peter Schmidhuber zieht seine Runden. Seit 20 Jahren sitzt er auf seinem „Holder Knicklenker” und mäht den Rasen des Penzberger Nonnenwaldstadions. Zurzeit hat er viel zu tun. „Da vorn muss ich aufpassen, dass er mir nicht verbrennt”, meint er und zeigt auf ein von der Hitze angegriffenes Stück Rasen. Drei Mal pro Woche bügelt er über das Grün, auf dem sonst Schulsport stattfindet sowie ab und zu Jugend- oder Altherrenspiele. Bis Sonntag wird er so manche Sonderschicht eingelegt haben – wegen des längst ausverkauften „Jahrhundertspiels”: TSV Pähl gegen den FC Bayern.
Schmidhuber winkt ab: „Ach, hatten wir schon mal, vor 20 Jahren. Bayern gegen FC Penzberg. Alle waren dabei: Wiggerl Kögl, Effe, Auge, Sternkopf, Mic und Mac, Dorfner Hansi. Wir haben nur 2:1 verloren, hatten am Schluss noch eine Riesen-Chance, als Bezirksoberligist! Bayern-Trainer war: Jupp Heynckes.” 4200 Zuschauer kamen damals. Am Sonntag werden es 6000 sein. Parkplätze sind rar, Schmidhuber empfiehlt, die Shuttle-Busse vom Roche-Werk zu nutzen. Es wird ein Auflauf, wie ihn die kleine Stadt noch nicht erlebt hat.
„Vor dem Spiel kommt die Polizei mit den Spürhunden. Da müssen wir alle nochmal raus aus dem Stadion”, erzählt Schmidhuber, der früher mit Kögl gekickt hat. „Heut’ kommt er manchmal und fragt: ,Peter, kannst du mal aufsperren? Ich hätt’ wieder einen.’ Dann trainiert er mit denen. Der Wiggerl ist ja jetzt Spielervermittler.” Und Berater von Thomas Müller. Das ist der Bogen zum TSV Pähl.
Der ist 30 Kilometer weiter westlich zu Hause: Pähl, 2400 Einwohner, ein Oberbayern-Idyll, Bergblick und Schlösschen inklusive. Auf dem Sportplatz am Ortsende hat Thomas Müller seine ersten Spiele bestritten, ehe ihn die Bayern-Späher fanden. Umgezogen hat er sich damals im TSV-Sportheim, einem 50er-Jahre-Bau, der seine besten Zeiten hinter sich hat. Dieter Fottner, 2. Vorsitzender des TSV und in der AK 55 der Tennismannschaft aktiv, erzählt: „Nach dem Spiel lade ich die Gegner zum Duschen zu mir nach Hause ein – ins Sportheim kann man niemanden mehr rein lassen: zu peinlich.”
So entstand vor vier, fünf Jahren die Idee: neues Vereinsheim plus Sporthalle nebenan. Kostenpunkt: 2,4 Millionen Euro. Mit Zuschüssen von Gemeinde und Bayerischem Landessportverband bleiben 300000 Euro Kosten für den Verein, dessen Jahresetat gewöhnlich bei 80000 Euro liegt. Ergo: Hilfe holen! Warum nicht beim FC Bayern?
Uli Hoeneß sagte spontan ein Freundschaftsspiel zu, quasi als Dankeschön für die Grundausbildung von Thomas Müller. Im Herbst begannen die Arbeiten an der Schulturnhalle, der Rohbau steht, doch nun stockt der Geldfluss der Gemeinde – weil die Kosten für den Grundschulanbau explodiert sind. Im März trat der CSU-Bürgermeister zurück, Nachfolger Werner Grünbauer von der Unabhängigen Liste muss das Durcheinander ausbaden. Damit weiter gebaut werden kann, hat die Gemeinde weitere 300000 Euro bewilligt, „damit das Dach drauf kommt”, so Fottner. Die Einnahmen vom Bayern-Spiel, etwa 90.000 Euro, „das sind die Fenster”, meint Fottner. Im Frühjahr soll alles fertig sein.
Seit sechs Wochen dreht sich in Pähl alles um das Spiel gegen die Bayern. „Beim Organisations-Treff war der Pfarrsaal voll: 370 Helfer”, erzählt Fottner, „wir konnten alle Aufgaben verteilen. Und die Frauen haben hundert Kuchen versprochen.” 3000 Wurstsemmeln werden die Pähler mitbringen, „je 1500 von den zwei Bäckern im Ort – damit’s keinen Streit gibt”. Den gab’s doch – weil die Frauen für Gurken in der Semmel plädiert haben. Abgelehnt, meint Fottner, der ein Machtwort im Gurken-Streit sprach, „weil die weich werden”.
Es ist an Vieles zu denken: vier Toilettenwagen, ein Fallschirmspringer, der den Spielball einfliegt, Bierbänke mit Rückenlehne als Reservebank, 80 VIP-Plätze auf der Stadion-Terrasse, wo die Halbe Bier sonst 1,80 Euro kostet. Pähler Blasmusik und Trommlerzug bestreiten das Rahmenprogramm. In der Halbzeit gibt es Elfmeterschießen: fünf Zuschauer und die Bürgermeister aus Penzberg und Pähl. Letzterer ist schon heiß: „Dem Neuer wichs ich einen rein.” Früher hat er in der ersten Mannschaft des TSV gekickt, nun läuft er in der AH auf.
Für einen weiteren TSVler ist es ein besonderes Spiel: Simon Müller, Thomas’ jüngeren Bruder. „Tag und Nacht waren die früher auf dem Platz”, erzählt Fottner. Simon ist Spielmacher des Kreisligisten, während der Bruder öfter mal am Flügel gebraucht wird. Der Bürgermeister schwärmt: „Simon könnte locker drei, vier Klassen höher spielen, mindestens 3. Liga. Er ist nicht so weit weg von seinem Bruder, hat die gleichen Spielanlagen.” Vier Mal hat er mit Vater Müller gewettet, erstmals, als Thomas 14 war: dass er Bundesliga spielen würde. Danach sagte Grünbauer eine Karriere bei Bayern, in der Nationalelf und eine Sonderrolle bei der WM voraus. Papa Müller verlor vier Träger Bier und sagte: „Mit dir wette ich nie mehr!”
Sohn Simon ist aus dem selben Holz, wird rot, wenn Grünbauer von der 3. Liga spricht und meint zum Spiel: „Wenn wir unter 20 bleiben, ist es ein Erfolg.” Gerade hat er sein Abi gebaut, ein Praktikum beim FC Bayern gemacht, im Herbst beginnt er ein BWL-Studium. Und die Kicker-Karriere? Ewig Kreisliga vor 100 Zuschauern? „Ich hatte noch kein Angebot”, meint er, „bei Bayern war ich in der E-Jugend mal beim Probetraining.” Das Spiel am Sonntag wird der erste offizielle Wettkampf der beiden gegeneinander sein. „Es wird schon zum Bruderduell kommen”, sagt Simon. Und der Bürgermeister schlägt vor: „Man sollte mit dem Schiedsrichter vereinbaren, dass er die Müller-Zweikämpfe nicht abpfeift.”