Nach dem Finale: Der Frosch und die Könige
Trainer van Gaal hadert, weil Thomas Müller die einzige gute Bayern-Chance versiebt. In Mailand feiern 50.000 Inter-Fans die Helden um Torjäger Milito und Ex-Bayer Lucio – morgens um sechs Uhr
MADRID/MAILAND Die Regel lautet: Sei ein Frosch! Vor allem vor dem Tor. Doch Thomas Müller war nicht cool genug in dieser Sekunde kurz nach Anpfiff der zweiten Halbzeit des Finales. Müller bekam den Ball völlig frei vor Inter-Keeper Julio Cesar. Eine Herzschlagentscheidung, ein Gedanke, ein Impuls – alles falsch gemacht. Müller schob den Ball mit halber Power halbhoch und halbherzig in die Beine des Torhüters. Große Chance, halbe Sache, zurück blieb ein Täter voller Frust.
„Das war ein bitterer Moment für mich“, sagte Müller, „ich werde mir die Chance noch einige Male anschauen und mich drüber ärgern.“ Muss er nicht, sich die Wiederholung im Netz reinzwingen. Er wurde noch am Abend in Madrid immer wieder an sein Versagen erinnert. „Müller kann sich die Ecke aussuchen. Normalerweise ist er vor dem Tor ein kalter Frosch“, meinte Louis van Gaal. Doch diesmal küsste Müller die Bayern nicht wach. Der Trainer weiter: „Er trifft nicht. Milito dagegen schon. Das sind diese Kleinigkeiten, die entscheiden.“ Gefragt, ob er, würde die Partie erneut angepfiffen, irgendetwas anders machen würde, sagte der Holländer: „Nein, aber vielleicht sucht sich die Müller die andere Ecke aus.“ Ein 1:1 in Minute 46? „Dann wäre wahrscheinlich was gegangen“, meinte Präsident Uli Hoeneß. Doch genug der Anklage, schließlich grämte sich der der 20-Jährige selbst am meisten: „Die Enttäuschung ist jetzt viel zu groß. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Die Mitspieler trösteten Müller, der diese Champions-League-Saison als Neuling mit zwei Toren beim 3:0 in Tel Aviv im September 2009 eröffnet hatte. „Er hat eine überragende Saison und meiner Meinung nach auch ein sehr gutes Finale gespielt“, sagte Kapitän Mark van Bommel, „leider nützt er die Chance nicht. Die ganze Saison über schießt er normalerweise die Bälle rein. Aber das ist kein Vorwurf.“ 52 Pflichtspiele, 19 Tore, 16 Vorlagen – die letzte Chance sollte nicht hängen bleiben. „Es war eine super Saison“, meinte Müller, „aber im Moment stehst du als Verlierer da.“
Es wäre übertrieben zu sagen, Müller hätte die Inter-Stars zu Königen gekrönt. Bayern hat den Titel nicht verloren, Mailand hat ihn gewonnen – dank eines argentinischen Frosches, dank Diego Milito. Zwei Chancen, zwei Tore. Kalt, zynisch, effektiv.
Inter feierte den Triumph mit den über 25000 Fans im Santiago Bernabeu, die Kinder der Profis durften mit auf den Rasen – und spielten Fangen. Lucio ging seine ganz persönliche Ehrenrunde bis vor die Bayern-Kurve. Mit Fan-Schal und Tochter Valentina im Arm. Vor der Saison hatte van Gaal ihm gesagt, dass er auf seine Dienste verzichten könne. Nach vier Champions-League-Anläufen in fünf Jahren hat Lucio nun prompt mit Inter den Pott gewonnen.
Die Italiener flogen am frühen Morgen nach Mailand zurück. Rund 2000 Fans empfingen den Tross am Flughafen Malpensa. Und weil viele Anhänger nach 45 Jahren Sehnsucht nach dem Henkelpott eh noch auf den Beinen waren, feierte man im Giuseppe Meazza-Stadion. Es war 6 Uhr früh. Es kamen 50 000 Tifosi.
Trauriges gibt es jedoch aus Turin zu vermelden: ein Todesopfer nach einem Streit in einer Gaststätte. Der 63-Jährige starb an den Folgen mehrerer Messerstiche.
ps
