Louis van Gaal: „Alle lieben ihn“
MADRID - Auch die Niederlage von Madrid ändert nichts: Louis van Gaal und Bayern – das passt
Louis van Gaal nahm seine Spieler nach dem 0:2 im Champions-League-Finale gegen Inter Mailand in die Arme, tröstetet, sprach Mut zu. Dann bahnte er sich den Weg zu Jose Mourinho, dem Trainer der Mailänder, seinem alten Lehrling zu gemeinsamen Barcelona-Zeiten. Er schaute Mourinho tief in die Augen, reichte ihm die Hand, umarmte ihn. Der Ritterschlag für Mourinho, eine große Geste des großen van Gaal in diesem Moment der schmerzlichen Niederlage. Der Abschluss einer unglaublichen Saison.
Im letzten Match, in der letzten Schlacht, passierte es. Ein Sieg fehlte. Es war das 53. Pflichtspiel einer langen Saison, auf den letzten Metern eines Marathons verpasste Louis van Gaal das ganz große Ziel, das Triple. Er wäre der erste gewesen. Ein Triple-Pionier in der Bundesliga. Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger waren die Bayern dieses Jahr schon geworden, „als Kirsche oben auf die Sahne der Torte“ wie es Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge nannte, sollte nun der Henkelpott im Finale gegen Inter Mailand hinzukommen. José Mourinho, einst Lehrling von van Gaal, schlug die Kirsche in letzter Sekunde von der Torte.
Als fünfter Trainer in der Geschichte des FC Bayern hatte es van Gaal geschafft, ein Finale des wichtigsten europäischen Wettbewerbs zu erreichen. Eben nach Lattek (1974 und 1987), Cramer (1975, 76), Csernai (1982) und Hitzfeld (1999 und 2001). Nur der letzte Schritt hat gefehlt.
„Einer wird gewinnen“, haben sich Mourinho und van Gaal vor dem Finale per SMS versichert. Nun aber hat der Holländer einen gewichtigen Grund, seinen Zweijahresvertrag beim FC Bayern auf jeden Fall zu erfüllen – er kann sich nächste Saison nun tatsächlich steigern. Auch wenn es nur um dieses eine Spiel, diesen einen Sieg ging. Er wird weitermachen. Van Gaal sieht sich und sein Team noch nicht nahe genug an der Perfektion.
Die Titel sind die eine Seite, van Gaal aber will den schönsten Fußball zeigen. „Selbst wenn wir gegen Inter gewonnen hätten, sind wir nur die zweitbeste Mannschaft in Europa. Ich würde Barcelona trotzdem noch immer über den FC Bayern stellen.“
Die Spielweise von Barca, diese Dominanz, diese Ordnung ist sein Leitmotiv, seine Idee vom erfüllten Fußball. Den Bayern will er diese Philosophie einimpfen. „Ich möchte, wenn ich einmal tot bin, dass man sich an die Spielweise meiner Mannschaften erinnert. Ich kann nicht damit zufrieden sein, wenn wir Spiele auf eine schlechte Art gewinnen“, sagte er in „Bild“: „In Deutschland ist man zufrieden, wenn man gewonnen hat. In Italien noch mehr. Ich kann das nicht. Es muss auf eine schöne Weise passieren. Wenn ich Bayern einmal verlasse, ist es mir wichtiger, dass die Leute sagen: Der FC Bayern hat unter Louis van Gaal einen sehr attraktiven Fußball gespielt, als dass sie sich nur an die Titel erinnern. Ich bin nicht so materialistisch.“
Dabei sind Erfolge und Titel sein Antrieb. Es ist eine Sucht. Wie Mourinho kann er jeden noch so kleinen Pokal samt Finale, Verlauf, Ergebnis und Torschützen aus dem Gedächtnis abrufen. Ehrgeiz ist nur die Vorstufe zur Titelgier, zur Sucht nach Trophäen.
Die Beziehung des Trainers zur Mannschaft ist ähnlich durch ein Herbsttal gegangen wie die zu den Bossen. Nach den beiden Champions-League-Pleiten gegen Bordeaux schien seine Zeit bereits beendet. „Ja, es ist kurz darüber gesprochen worden“, erklärte Ehrenpräsident Franz Beckenbauer kurz vor Anpfiff auf die Frage, ob van Gaal im Herbst vor der Entlassung stand. „Louis war am Anfang sehr unnahbar, er hat aber die Spiele nicht gewonnen. Dann wurde es eng. Er hat auch eine eigenwillige Lebensweise. Aber Turin war der Turning point. Jetzt lieben ihn alle.“
Die Liaison begann mit dem Weckruf, dem 4:1 im Dezember bei Juventus, seitdem liebt van Gaal dieses Team. Das war die Wende. Die Bosse Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind lange skeptisch geblieben, oft irritiert, zugleich beeindruckt von der Sturheit des Holländers. Er scheut er keinen Konflikt. Im Gegenteil: Er sucht die Konfrontation, um Reibung zu erzeugen. Energie ist für van Gaal gleich Erfolg. Der 58-Jährige ist ganz anders als der geschickte Moderator Ottmar Hitzfeld, bis heute der erfolgreichste Bayern-Trainer aller Zeiten, der perfekt zwischen Vorstand und Spielern seine Position fand. Van Gaal lässt sich nichts sagen, lässt sich nicht reinreden. Nun hat er alle überzeugt. Das Beinahe-Triple soll nicht das Ende sein. „Hier hat er die Chance, eine neue Ära einzuläuten“, sagte Präsident Hoeneß der „SZ“, nirgendwo gebe es einen besseren Arbeitsplatz als bei Bayern. Der Niederländer sei klug genug zu sehen, „dass er für seine Arbeit nirgendwo bessere Bedingungen bekommt“.
Zwei Titel hatte van Gaal in den letzten Wochen gewonnen: Meisterschaft und Pokal. Sich selbst bezeichnete er als „Feierbiest“ und „Womanizer“ – an dieser Stelle soll er noch zum „Champions-League-Sieger der Herzen“ gekrönt werden. Er, der beliebteste Holländer in Deutschland seit Rudi Carrell. Und das ist so was van genial.
Patrick Strasser