Letzte Rettung Bayern-Oldies: Neuer und Müller müssen dem DFB helfen
Frankfurt - Also: 1.001 Länderspiele, 1.001 Sorgen. So könnte man die Stimmungslage rund um die Nationalelf nach dem 0:1 beim EM-Test in Polen beschreiben. Diese 215. Niederlage (bei 578 Erfolgen, die nicht unterschlagen werden sollen) war zugleich der erst zweite Erfolg der polnischen Nationalelf gegen ein deutsches Team – im 22. Spiel. So weit, so normal.
Denn diese DFB-Auswahl muss nun wirklich keiner fürchten, diese Zeiten sind vorbei. Der Negativ-Trend unter Bundestrainer Hansi Flick setzte sich fort: In den 15 Länderspielen seit März 2022 gab es vier Siege – und das gegen Israel, Italien (ein absoluter Ausrutscher nach oben), den Oman und Peru. Zwei Mal, wirklich nur zwei Mal, konnte man dabei zu Null spielen.
Diesen Platz belegt Flick im Bundestrainer-Ranking
Eine jämmerliche Statistik. Flicks Punkteschnitt nach dem dritten sieglosen Spiel am Stück ist nach einem fulminanten Start zu Beginn seiner Bundestrainer-Karriere von 3,0 auf 1,89 gesunken. Der 58-Jährige liegt damit nur noch auf Platz acht in der Punkte-Rangliste aller Bundestrainer. An der Spitze steht Berti Vogts (2,18 Punkte). So weit die Zahlen, aber auch die Stimmung ist unten durch knapp ein Jahr vor Beginn der Heim-EM.
In den Katakomben des Warschauer Nationalstadions sprachen die meisten DFB-Akteure davon, dass schlicht Erfolgserlebnisse fehlen, sprich die Ergebnisse. "Wir müssen Spiele gewinnen, das ist das einzige, was wir machen können und was am Ende zählt und die Leute interessiert", sagte der Dortmunder Julian Brandt.
Rudi Völler soll die Euphorie zurückbringen
Und DFB-Direktor Rudi Völler, der ja extra ins Amt gehoben wurde, um eine Begeisterung für die Heim-EM zu entfachen, den deutschen Spielern, aber – und gerade – auch den Fans, den Spaß am Fußball zururückzugeben, meinte am Sonntag: "Wir wollen eine Euphorie erzeugen, die Fans mitnehmen. Das ist noch nicht so gelungen, das gebe ich gerne zu."
Verantwortlich ist dafür neben den Nationalspielern in erster Linie der Bundestrainer, dem Völler aber erneut demonstrativ den Rücken stärkte: "Wir sind uns alle einig, dass Hansi Flick bis zur EM genau der richtige Trainer ist. Es steht nicht zur Debatte (eine Trennung, d. Red.). Wir probieren es am Dienstag gegen Kolumbien, und wenn es da nicht gelingt, probieren wir es im September gegen Japan. Ich bin immer noch optimistisch, dass wir das hinbekommen."
Musiala fordert Optimismus
Die Frage ist nur wann? Wann kommen die Erfolge, die Vorfreude auf die EM erzeugen sollen? Bereits am Dienstag in Gelsenkirchen gegen Kolumbien (20.45 Uhr, RTL)? Musiala: "Das dauert vielleicht noch eine Weile, ein Jahr haben wir noch. Wir müssen positiv bleiben."
Am klarsten sprach Inter-Legionär Robin Gosens – auch wenn das am Sonntag schon wieder etwas anders klang (siehe auch Seite 18) – direkt nach dem Spiel an, worum es nun tatsächlich geht hierzulande: "Die Lage ist todernst. Wir brauchen Siege, wir müssen das Land hinter uns bringen, die Heim-EM muss ein riesengroßes Fußballfest werden."
Was tun? Ist es wirklich nur eine Ergebniskrise, wie die Spieler und ihr Trainer einem weißmachen wollen? Fehlt nicht ganz einfach auch die Qualität? 2014-Weltmeister Bastian Schweinsteiger, für die ARD als Experte vor Ort, befürchtet, "das aktuelle Leistungsniveau" gesehen zu haben, meinte: "Vielleicht müssen wir auch unsere Erwartungshaltung runternehmen."
Ein Experiment folgt dem Nächsten
Die Gründe für die Talfahrt sind hausgemacht. Flick ist es in seiner Ära, die am 1. August 2021 begann, bisher nicht gelungen, eine funktionierende Achse zu bilden. Die Experimente scheinen gar nicht mehr zu enden. In seinem 23. Länderspiel Flick bringt seine 20. unterschiedliche Abwehrformation. Die nicht funktionierende Dreier-Abwehrkette zieht der ehemalige Erfolgstrainerder Bayern stur bis gnadenlos durch.
Der 58-Jährige äußerte Durchhalteparolen wie ein Chefcoach, der knietief im Bundesliga-Abstiegskampf steckt. "Wir brauchen Ergebnisse. Die Überzeugung ist einfach noch nicht da, das müssen wir hinkommen. Wir sind in einer Phase, die nicht ganz so einfach ist. Aber wir werden da rauskommen." Aber wann nur?
Zwei Fußball-Oldies zur Rettung?
Und wie? Mit wem? Als letzte Rettung tauchen zwei Oldies am Horizont auf. Ein 37-Jähriger und ein 33-Jähriger: Manuel Neuer und Thomas Müller, auf den Flick in den Länderspielen im März und nun im Juni nach Absprache verzichtet. Ab September, wenn es dann nur noch neun Monate bis zum Beginn der EM sind, möchte Flick in den Testspielen gegen Japan und Frankreich seinen Kern dabeihaben, also auch Kapitän und Torhüter Neuer (aktuell nach seinem Schien- und Wadenbeinbruch noch im Aufbautraining) sowie Offensiv-Tausendsassa Müller. Dann soll sich eine Stammelf peu à peu einspielen – zu spät?
Die psychologische Komponente
Für die Hoffnungsträger läuft es, sie werden dringend gebraucht. Neuer könnte, wenn er nach der Reha an seine alte Topform herankommt, mehr Ruhe und Selbstverständlichkeit in die Defensive bringen. Am ehemaligen Welttorhüter könnten sich die Abwehrspieler orientieren und aufrichten. Neben dem Kapitän wäre Müller als psychologische Komponente enorm wichtig.
Müller könnte mit seinem Witz, seiner Lockerheit und seinem Charme schon die Pressekonferenzen vor den Spielen "gewinnen" und für eine Aufbruchstimmung sorgen. Dieser Optimismus-Minister fehlt dem so schwermütigen DFB-Tross momentan...