Kahn über seinen Abschied: „Die Jungs fehlen mir“
Oliver Kahn, für die AZ-Leser Sport-Persönlichkeit des Jahres 2008, über die ersten Monate nach dem Rücktritt, Probleme mit dem Puls – und warum ein Jahr zuvor schon fast alles vorbei gewesen wäre
AZ: Herr Kahn, die AZ-Leser haben Sie nicht vergessen. In der Kategorie „Ehrenpreis“ bei Münchens Sportlern des Jahres 2008 haben Sie mit deutlichem Abstand gewonnen. Spüren Sie, dass Sie auch acht Monate nach Ihrem letzten Pflichtspiel als Bayern-Torhüter im Mai 2008 immer noch so beliebt und präsent in den Köpfen der Menschen sind?
OLIVER KAHN: Das merke ich schon. Ich spüre nicht nur Respekt, sondern auch viele Sympathien. Während der Karriere nimmst du das gar nicht so wahr. Du eilst von Spiel zu Spiel oder von Erfolg zu Erfolg und registrierst viel um dich herum kaum.
AZ: Sie selbst haben kürzlich gesagt, dass ein halbes Jahr Abstand vom FC Bayern wie ein Face-Lifting wirkt.
OLIVER KAHN: Ja, der FC Bayern macht einen nicht jünger. Das Schönste ist: Ich muss nicht mehr jeden Tag meinen Körper quälen – vor allem nicht derzeit bei so einem Wetter. Auch sonst wird man offener und aufmerksamer. Als Profi bist du in einer ganz anderen Welt, hast ständig im Kopf: Wann ist Training? Wann das nächste Spiel? Wie sind die Abläufe, die Termine? Für diesen Job, beim FC Bayern, benötigst du eine Menge an Energie. Kürzlich habe ich mir gedacht: Zwei Jahre kann man das schon mal machen, aber 14
AZ: Alles eine Frage der Disziplin.
OLIVER KAHN: Als Hochleistungssportler hast du das drin, du kennst es nicht anders. Das ist ein großer Vorteil für uns was spätere Aufgaben betrifft.
AZ: Haben Sie in den ersten Monaten nach dem Karriere-Ende nicht die Lust verspürt, sich einmal so richtig gehen zu lassen?
OLIVER KAHN: Was meinen Sie damit?
AZ: Keine Termine zu machen und jeden Tag nach Lust und Laune auszuschlafen.
OLIVER KAHN: Das habe ich ja manchmal gemacht. Und vier Wochen Urlaub. Ich habe gedacht, das schaffe ich nicht. Es ging. Aber für mich hieße, sich gehen lassen' drei Monate zu verschwinden, etwa mit dem Rucksack durch Finnland zu trampen oder durch Indien. Aber ich brauche das nicht.
AZ: Als Profi brauchten Sie den Erfolg, die Bestätigung, die Auszeichnungen, die Titel. Was fehlt Ihnen jetzt?
OLIVER KAHN: Es ist weniger der Applaus der Zuschauer, als viel mehr der Zusammenhalt in der Gruppe. Gemeinsam ein Ziel vor Augen zu haben, es dann womöglich zu erreichen, der Flachs in der Kabine – die Jungs fehlen mir. Was einem dann noch abgeht, ist die Anspannung, das Adrenalin, der Kick vor besonderen Spielen. Man muss sich vor dem Karriere-Ende als Sportler damit auseinandersetzen, dass so etwas nie wieder kommen wird. Also braucht es neue Herausforderungen, diese können aber jene Extreme nicht ersetzen. Was das betrifft, ist es ein Abschied für immer.
AZ: Wie schwierig war es, den rechten Moment des Karriere-Endes zu treffen?
OLIVER KAHN: Ich wollte ja nicht fortgejagt oder ausgepfiffen werden, sondern nach 14 Jahren einen würdigen Abschied haben – das ist eine der größten Herausforderungen, die es für einen Sportler gibt. Dieses Geschäft ist gnadenlos. Es geht nicht darum, was du geleistet hast. Es geht nur darum, was du leistest. Es spielt sich alles immer nur in der Gegenwart ab. Außerdem habe ich in der letzten Saison auch das nötige Glück gehabt.
AZ: Was meinen Sie?
OLIVER KAHN: Wenn ich an die Ellbogen-Operation im Oktober 2007 denke, dann muss ich im Nachhinein sagen: Das war schon grenzwertig, was ich da gemacht habe.
AZ: Inwiefern?
OLIVER KAHN: Da hieß es: Hopp oder Topp. Entweder es geht noch mal oder es funktioniert überhaupt nicht mehr. Da hätte alles schon vorbei sein können. Im Oktober war der Ellbogen so schwer verletzt, ich hatte 10 oder 12 freie Gelenkkörper, es gab nur zwei oder drei Ärzte, die sich an diese Operation rangetraut hätten. Eine sehr kritische Situation.
AZ: Warum haben Sie das nicht publik gemacht damals?
OLIVER KAHN: Es ist besser, wenn du das für dich behältst. Sonst sagt jeder bei einer Unsicherheit: Schau an, der ist doch nicht fit. Ich wollte das letzte Jahr optimal durchziehen.
AZ: Das haben Sie geschafft. Und jetzt mal ehrlich: Was macht der Body?
OLIVER KAHN: Die Frage ist berechtigt. Es ist ja nicht nur eine psychologische, sondern auch eine physiologische Umstellung nach dem Karriere-Ende. Der Körper ist es gewohnt, permanent in einer hohen Belastungssituation zu sein, er muss sich erst an die neuen Gegebenheiten anpassen.
AZ: Was tun sie?
OLIVER KAHN: Ich mache viele Waldläufe, spiele Golf, aber ich merke: Ich muss auch mal einen Sport wie Tennis ausüben, bei dem der Puls hochschnellt. Ich bin ja ein sehr intensives Torwarttraining gewohnt, also: Puls schnell hoch, Puls wieder runter. Eigentlich habe ich es ja einfach. Wirkliche Ausdauerathleten wie Ruderer oder Leichtathleten müssen über Monate unter sportlicher Aufsicht ihren Körper gezielt abtrainieren.
AZ: Körper und Geist – wann packen Sie wieder richtig an?
OLIVER KAHN: Ich habe mich etwas ausgeklinkt, aber von Tag zu Tag spürst du, wie neue Energie entsteht. Es kristallisieren sich die Dinge heraus, die ich tun möchte.
Interview: Gunnar Jans, Patrick Strasser
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