Uli Hoeneß und die Suche nach dem nächsten Thomas Müller: Woran es bei der FC-Bayern-Ausbildung noch hakt
München - Uli Hoeneß hätte kaum stolzer sein können an jenem heißen Augusttag 2017. "Ich bin überzeugt, dass wir damit die richtige Antwort auf die Entwicklung im internationalen Fußball geben können, auf den ganzen Transferwahnsinn und die Gehaltsexplosionen", sagte der damalige Bayern-Präsident.
Gerade hatte der Rekordmeister der Öffentlichkeit eines seiner größten Prestigeprojekte vorgestellt: den FC Bayern Campus. Ein nagelneues Nachwuchsleistungszentrum, das ein kleines Stadion für 2.500 Zuschauer, sieben weitere Fußballfelder, einen Fitnesshügel, ein Klubheim, eine Sporthalle, eine Mensa und ein Internat für 35 Talente umfasst. Hier, im Norden Münchens, sollten sie ausgebildet werden, die neuen Thomas Müllers. Spieler mit höchstmöglichem Identifikationspotenzial, die das Mia-san-mia-Gen von klein auf in sich tragen.
FC Bayern: Jamal Musiala ist nur zu einem kleinen Teil ein Campus-Spieler
Zur Eröffnung des 70 Millionen Euro teuren Prestigeprojekts war neben den Vereinsgranden auch Oberbürgermeister Dieter Reiter und sogar der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer zu Gast. Die Zukunft beginnt jetzt, so der Eindruck, der damals unisono vermittelt wurde.
Nun, sechseinhalb Jahre später, lässt sich konstatieren: Besonders viel Ertrag hat das Luxus-NLZ noch nicht gebracht. Als Vorzeigespieler wird noch immer Jamal Musiala genannt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der heutige Nationalspieler erst im Alter von 16 Jahren als fast fertiger Spieler vom FC Chelsea nach München wechselte und bei den Bayern lediglich den Feinschliff erhielt. Zwischen seiner Verpflichtung und seinem Debüt bei den Profis lag nicht einmal ein Jahr – der Anteil des Campus an Musialas Ausbildung ist also einigermaßen überschaubar.
Wer nun zu dem Schluss kommt, dass im NLZ des Rekordmeisters keine guten Spieler ausgebildet werden, der irrt jedoch. In den vergangenen Jahren wurden im Münchner Norden immer wieder junge Talente ausgebildet, die den Sprung in den Profifußball geschafft haben – nur eben nicht beim FC Bayern.
Angelo Stiller erhielt beim FC Bayern keine Chance – nun mischt er mit Stuttgart die Liga auf
Angelo Stiller etwa, der mit dem ehemaligen Münchner Nachwuchstrainer Sebastian Hoeneß und dem VfB Stuttgart in dieser Saison die Bundesliga aufmischt. Der gebürtige Münchner hat sich mittlerweile zu einem der hoffnungsvollsten Sechser Deutschlands entwickelt und darf sich durchaus Chancen auf eine Nominierung für die Heim-EM im kommenden Sommer ausrechnen.

Dass der mittlerweile 22-Jährige diesen Weg nicht in München gehen durfte, lag auch an mangelndem Vertrauen und fehlender Geduld seitens der Verantwortlichen. Dabei hätte man sich seines Potenzials durchaus bewusst sein können, wenn nicht sogar müssen. Stiller war im Alter von neun Jahren zum deutschen Rekordmeister gekommen und hatte dort die Jugendmannschaften durchlaufen.
NLZ-Chef Sauer: "So etwas wie mit Angelo Stiller sollte uns nicht mehr passieren"
Obwohl er unter Hoeneß bei der Drittliga-Meisterschaft der U23 2020 zu den wichtigsten Stützen gehörte, blieb ihm eine echte Chance in der ersten Mannschaft verwehrt. Stattdessen wurde ihm in Marco Roca ein Neuzugang aus dem Ausland vor die Nase gesetzt, der sich als Flop entpuppen sollte.
Dass man dem Mittelfeldspieler, den man selbst über zehn Jahre hinweg ausgebildet hatte, nicht die Möglichkeit auf Profi-Einsätze gegeben und ihn stattdessen ablösefrei hat ziehen lassen, sorgt am Campus rückblickend für Unmut. Schließlich hätte er genau das Profil erfüllt, das man am meisten sucht: ein bodenständiges Münchner Kindl mit klarem Kopf und großer Identifikation zum Klub.
"So etwas wie mit Angelo Stiller sollte uns nicht mehr passieren", sagte daher auch NLZ-Chef Jochen Sauer im Dezember dem Nachrichtenportal "t-online". "Da hätten wir die Früchte unsere Ausbildungsarbeit besser ernten müssen."
Stiller, Stanisic, Zirkzee: Der FC Bayern bildet zu oft für andere Klubs aus
Josip Stanisic, der aktuell auf Leihbasis bei Tabellenführer Bayer Leverkusen spielt, zählte seinerzeit ebenfalls zur Drittliga-Meister-Mannschaft von 2020. Dass ihn die Münchner im vergangenen Sommer ohne Not abgegeben haben, sorgt bei Fans und Experten noch immer für Verwunderung. Auch Joshua Zirkzee, der sich im Trikot des FC Bologna zu einem der Senkrechtstarter der Serie A gemausert hat und zuletzt sogar mit einem Wechsel zu Manchester United in Verbindung gebracht wurde, ist bei den Bayern ausgebildet worden.

Eines der jüngsten Beispiele ist Frans Krätzig. Der 21-Jährige zählte zum ersten Jahrgang, der 2017 in den neu gegründeten Campus eingezogen ist. Er wurde zuletzt an Austria Wien verliehen, da er bei den Bayern in der Rückrunde nicht die nötige Spielzeit erhalten hätte. Ob er eine Zukunft beim Rekordmeister hat oder – wie so viele andere hoffnungsvolle Talente vor ihm – seinen Weg bei einem anderen Klub fortsetzt, wird sich zeigen.
Bei Aleksandar Pavlovic wurde der FC Bayern zu seinem Glück gezwungen
Noch immer tun sich die Bayern schwer damit, den Juwelen aus dem eigenen Unterbau eine wirkliche Chance in Form von Spielpraxis zu geben. Auch Aleksandar Pavlovic, der in den vergangenen Wochen und Monaten bei seinen ersten Profi-Einsätzen zu beeindrucken wusste, hätte wohl kaum das Licht der Bundesliga erblickt, wäre der Transfer von Joao Palhinha am Deadline-Day des Sommer-Transferfensters nicht geplatzt und der ohnehin schon dünne Kader durch Verletzungen nicht weiter dezimiert gewesen.
So wurden die Bayern gewissermaßen zu ihrem Glück gezwungen und dürfen sich freuen, dass sich endlich wieder ein Talent aus dem eigenen Unterbau bei den Profis zu etablieren scheint. Der 19-Jährige bringt als gebürtiger Münchner großes Identifikationspotenzial mit und hat mit seiner unbekümmerten, selbstbewussten Art das Zeug zum neuen Thomas Müller – wenn auch auf seine ganz eigene Weise.
Die Arbeit am Campus wird neben der Kaderplanung eine der Hauptaufgaben von Sportdirektor Christoph Freund sein. Der Österreicher hat während seiner Zeit in Salzburg gezeigt, dass er ein außergewöhnliches Auge für junge Talente hat und soll das NLZ deutlich stärker mit der ersten Mannschaft verzahnen. Um noch viele weitere Spieler zu formen, wie sie Hoeneß wohl vor dem inneren Auge hatte an jenem heißen Augusttag 2017.
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