FC Bayern im Klinsmann-Dilemma: Und jetzt?

MÜNCHEN - Beim 0:1 gegen Schalke fordern die Bayern-Fans erneut lautstark: „Klinsmann raus!“ Am Tag danach trifft sich der Vorstand zur Krisensitzung. Präsident Beckenbauer sagt: "Wenn wir am Samstag nicht gegen Gladbach gewinnen, wird's auch für Klinsmann eng."
Laufschuhe an und los. Jürgen Klinsmann mischte sich am Sonntagvormittag unter seine Spieler. Er wollte sich zeigen, die Gymnastikeinheit war öffentlich. Weißes Hemd, weiße Turnschuhe, schwarze Stoppuhr. Auslaufen, den Frust rauslaufen. Ein wenig Sport kann ja nie schaden.
Während Klinsmann traben ließ und sein Programm mit der Vorbereitung auf die Partie am nächsten Samstag gegen Gladbach gewohnt akribisch aufnahm, trafen sich die Bayern-Bosse an einem geheimen Ort zur außerordentlichen Vorstandssitzung. Es galt, sich noch einmal Gedanken zu machen nach dem schaurigen 0:1 gegen Schalke vom Vortag. Es war die siebte Pleite der Saison, in der Rückrunde gar schon die fünfte. Noch schwerwiegender: Es war das Spiel mit den lautesten Rufen „Klinsmann raus!“
Dazu passend: Das beharrliche Schweigen der Bosse. Kein Kommentar – weder von Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge noch von Manager Uli Hoeneß. Ein Verein im Zustand einer allumfassenden Lähmung. Die Stimme des Volkes ist eindeutig, sie fordert eine Ablösung von Klinsmann – diejenigen, die über seine Zukunft entscheiden können, reden nur miteinander. Ein Bekenntnis, gar ein Treueschwur zu Klinsmann und seinem Trainerstab könnte in der Folge zu einem gar peinlichen Bumerang werden. Also: Lieber jetzt nicht loben und sich später bei einer eventuellen Entlassung auf das Votum der Basis berufen. Gegen den Willen der Kurve könne man ja ohnehin keine Politik machen, wird es dann wohl heißen.
Klinsmann muss alleine kämpfen. „Ich glaube nicht, dass ich mir Sorgen um meine Position machen muss“, behauptete der 44-Jährige tapfer. „Ich bin ein Kämpfer und mache das Ding weiter. Die Chemie stimmt intern.“ Angesichts der Aussichtslosigkeit seiner Mission wirken diese Sätze als sei es der reine Job-Erhaltungstrieb.
Die Meisterschaft hatte Klinsmann am Samstagnachmittag erstmals gedanklich verabschiedet – bei möglichen sechs Punkten Rückstand auf den VfL Wolfsburg (Spiel bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet). „Sollten die Wolfsburger in Cottbus gewinnen, dann schaut es schlecht aus für uns, für die Meisterschaft. Das ist gar keine Frage“, sagte Klinsmann und schaltete rasch wieder um auf Kämpfer: „Wir lassen trotzdem nicht locker: Wir holen alle Punkte, die wir holen können – und dann sehen wir am letzten Spieltag, wozu es reicht." Verzweifelte Rhetorik eines Gescheiterten.
Das Klinsmann-Projekt des FC Bayern ist mit einem Auto zu vergleichen, das bei mehreren Unfällen einen Totalschaden erlitten hat, aber noch fahrtüchtig ist. Die Kiste holpert weiter vor sich hin obwohl klar ist, dass sie nicht mehr durch den TÜV kommt. Und jetzt? Vor dieser Frage stehen die Bosse: Was tun?
Vier Lösungsmöglichkeiten gibt es – und doch keinen Ausweg? Eine sofortige Trennung, damit der Neue den Schwung ins Heimspiel gegen Gladbach nehmen. Variante zwei: Klinsmann bekommt eine allerletzte Bewährungschance gegen den Abstiegskandidaten. „Dieses Spiel muss gewonnen werden, denn sonst wird es auch für Jürgen Klinsmann eng“, sagte Präsident Franz Beckenbauer. Einer spricht es aus. Lösung drei: Klinsmann darf die Saison zu Ende bringen – doch was, wenn dabei die Qualifikation zur Champions League verpasst wird? Variante vier: Klinsmann bleibt. Und im Sommer schneit’s.
Patrick Strasser