Ehemaliger FC-Bayern-Spieler Norbert Nachtweih: "Später bekamen meine Eltern Besuch von der Stasi"
München - Norbert Nachtweih gewann mit dem FC Bayern u.a. viermal die Bundesliga, mit Eintracht u.a. den Uefa-Pokal.
AZ: Herr Nachtweih, Sie haben in der Bundesliga 325 Mal für Bayern und Frankfurt gespielt, mit beiden Vereinen zahlreiche Titel gewonnen. Im direkten Duell für wen schlägt dann Ihr Herz?
NORBERT NACHTWEIH: Wenn es gegen die Bayern geht, bin ich immer für die Eintracht. Schließlich bin ich schon seit rund 20 Jahren bei der Eintracht angestellt, arbeite in der Charly-Körbel-Fußballschule. Außerdem gewinnen die Bayern doch eh meistens die Meisterschaft (lacht).
Der November 1976 war der Wendepunkt Ihres Lebens. Während einer Reise der U21 der DDR gelang Ihnen die Flucht. Ohne Ihren Kumpel Jürgen Pahl hätten Sie das Ganze nicht durchgezogen.
Ja, das war nicht geplant, Zufall. Ich hätte mich das nicht getraut, hatte aber eine große Klappe.
Nach dem U21-Länderspiel in Bursa hat sich Pahl, ein Torhüter, an der Hotelbar mit einem Amerikaner unterhalten.
Sie tranken Bier, ich habe nichts verstanden. Um 23 Uhr war Zapfenstreich, den hatten wir überschritten. Als die Oberen aus dem Lift kamen und uns mit bösen Blicken maßregelten, hat der Amerikaner uns seine Zimmernummer zugeflüstert. Wir haben Whisky getrunken und den Fluchtplan für den nächsten Tag, für Istanbul, besprochen. Dort wurde uns Spielern vor dem Rückflug zwei Stunden Freizeit gewährt, um über den Bazar zu schlendern und unser Taschengeld auszugeben.
Ihre Chance. Wie hoch war der Puls?
Ich habe immer gehofft, dass der Jürgen das nicht wirklich durchzieht. Ich war der Beifahrer, er der Antreiber, hätte es auch ohne mich gemacht. Ich war mit meiner Familie in der Heimat verbunden, habe mich zu Hause immer am wohlsten gefühlt. In Jürgens Familie war der Hass auf das System, auf das SED-Regime sehr ausgeprägt. Sein Vater hatte sehr gelitten.
Nachtweih erzählt: Eltern haben von der Flucht "durch die Nachbarn, die es im Radio gehört haben" erfahren
Und als der Moment kam – jetzt oder nie. . .
. . .durfte ich auf keinen Fall an meine Eltern denken. Schnell rein ins Taxi und ab in das Hotel, in dem der US-Amerikaner auf uns wie verabredet wartete. Dann sind wir in die US-Botschaft, danach in die deutsche Botschaft.
Dabei war die Motivation, zu fliehen, bei Ihnen nicht groß.
Eben. Uns ging es im Osten ganz gut, aber wir waren eingesperrt, durften nicht reisen. Das hat für mich als Teenager keine große Rolle gespielt, ich durfte schon mit 14 Jahren in der Sportschule in Halle an der Saale trainieren. Als 17-Jähriger habe ich bereits Oberliga gespielt, habe als Junioren-Nationalspieler Prämien bekommen, eine Adidas-Ausrüstung, Südfrüchte. Plötzlich habe genau so viel verdient wie mein Vater. Er war Bergmann.
Wie haben Ihre Eltern von der Flucht erfahren?
Durch die Nachbarn, die es im Radio gehört haben. Ein Schock. Ich konnte Kontakt aufnehmen, sie beruhigen. Später bekamen meine Eltern Besuch von der Stasi, die hatten ein paar Fragen. Sie haben meinem Vater das Parteibuch weggenommen. Darüber war er traurig (lacht).
Nachtweih erhielt eine 14-monatige Spielsperre aufgrund der Flucht von der Fifa
Sie landeten im Notaufnahmelager in Gießen...
Das war schlimm dort, ist es immer noch. Wir hatten Glück. Wolfgang Mischnick von der FDP vermittelte uns zu Eintracht, weil er dort im Verwaltungsrat saß.

Was wussten Sie von der Eintracht, von der Bundesliga?
Ich kannte die Stars. In der DDR konnte ich West-Fernsehen schauen. Als Jugendliche haben wir von der Bundesliga geträumt. Einmal da auflaufen. . .
Die Realität im Westen hieß 1976: eine 14-monatige Spielsperre aufgrund der Flucht, auferlegt vom Weltverband Fifa.
Wir haben fleißig trainiert und für die Amateure gespielt. Und Frankfurt bestens kennengelernt, sind abends im Bahnhofsviertel um die Häuser gezogen. Was sollen zwei 19-jährige, ledige Jungs denn auch machen? Trainer Gyula Lorant taufte mich "Nachtfalter".
Erst im Zuge der Veröffentlichung Ihrer Biografie "Zwischen zwei Welten – meine deutsch-deutsche Fußballgeschichte", (Verlag Edel Sports, 288 Seiten, 22 Euro) haben Sie Einblick genommen in Ihre Stasi-Akte.
Wir haben nicht eine Sekunde gedacht, dass die uns die ganze Zeit beobachtet haben. Die hätten uns eine Pille ins Glas werfen können und fertig. Zunächst war eine Rückführung geplant, irgendwann galt ich aber nicht mehr als DDR-Bürger. Glück gehabt.
Wechsel zum FC Bayern: Nachtweih erzählt vom Anruf von Uli Hoeneß
Mit der Eintracht wurden Sie 1980 Uefa-Pokal-Sieger, gewannen 1981 den DFB-Pokal. Dann rief Uli Hoeneß an.
Hallo Norbert, hier ist Hoeneß. Oh, oh, oh. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, meinte nur: Schön! Bayern-Trainer Pal Csernai wollte mich haben. Das Problem: Drei Wochen zuvor hatte ich meinen Vertrag bei der Eintracht um vier Jahre verlängert. Hoeneß und Präsident Willi O. Hoffmann haben das geregelt. 1,55 Millionen DM Ablöse, dazu die Einnahmen aus einem Freundschaftsspiel.

Sie galten als schneller, flexibler Außenverteidiger mit Drang zum Tor und hartem Schuss.
Als Jugendlicher war ich Stürmer, wollte immer nur Tore machen. Je älter ich wurde, desto mehr rückte ich zurück. 1987 musste Klaus Augenthaler, unser Kapitän und Libero, an der Bandscheibe operiert werden. Er war mein Freund, wir lagen sieben Jahre gemeinsam auf dem Zimmer. Plötzlich wurde ich Libero, mit Norbert Eder als Vorstopper. Es funktionierte. Als Auge zurückkam, musste er ins Mittelfeld. Erst unter Jupp Heynckes, der immer sehr korrekt war, habe ich wieder hinten rechts gespielt.
Welcher war Ihr schönster Titel mit dem FC Bayern?
1986 als wir die Bremer am letzten Spieltag noch überholt haben nachdem am Spieltag zuvor Kutzop den Elfmeter im Spiel gegen uns an den Pfosten gesetzt hatte.
Und die bitterste Niederlage?
Das Europapokalfinale der Landesmeister 1987 in Wien gegen Porto. Wir haben 1:0 geführt durch das Kopfballtor von Wiggerl Kögl. Wir dachten, es geht nur noch um die Höhe des Sieges. Leider haben wir das zweite Tor nicht nachgelegt und 1:2 verloren. Schade, aber man kann nicht alles haben im Leben. Ich habe viel Glück gehabt.
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