Böser Stürmer, guter Stürmer
Van Gaal erteilt Luca Toni den Marschbefehl. In Italien heißt es, der FC Bayern würde seinen einstmals besten Torjäger in der Winterpause sogar zum Nulltarif ziehen lassen
Böser Stürmer
Luca Toni war in Italien. Die ganze Woche über, seit die Bayern am Montag nach Turin gereist waren, um Juventus dann Tags darauf auseinanderzunehmen. Toni ist immer noch präsent in seiner Heimat – allerdings, und das dürfte sehr schmerzhaft sein, nur unterm Bruch. So nennen das Zeitungsmenschen, wenn sie über die untere Hälfte einer Seite sprechen. Da, quasi im Keller, finden die nicht ganz so wichtigen Nachrichten und Geschichten statt. Wie die von Toni.
Am Montag sollte er laut „Gazzetta dello Sport“ Kontakte zu Juventus haben, am Dienstag für die Rückrunde zu Inter Mailand wechseln, am Donnerstag schaltete sich der „Corriere dello Sport ein“: Der AS Rom sei nun der wahrscheinlichste Abnehmer.
Toni im Keller seiner Laufbahn, in der Cantina, wie man in Italien sagt. Aber jetzt darf er raus, ins Schaufenster: Die Bayern bieten ihn zum Nulltarif an. Zwei Wochen vor Weihnachten. Luca Toni, 32 Jahre alt, üppigstes Salär, üppigste Torquote (das war einmal), jedoch schmalste Selbstvertrauen-Brust, da ihn Trainer Louis van Gaal aussortiert hat. Tonis Visitenkarte 2009/2010: Ein Tor, ein unwichtiges. Das 4:0 beim 4:0 bei Eintracht Frankfurt im Pokal.
Der stolze Luca, ein Weltmeister mit Italien 2006 in Berlin, gerät zum Give-away. Gratis zu haben.
Wer will? Wer mag? „Ich schließe nicht aus, dass Toni gratis an einen Klub verliehen werden könnte. Wir haben uns Zeit genommen, um diese Situation zu überprüfen“, wird Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge von „Corriere dello Sport“ zitiert.
Auch Louis van Gaal kommt in dem Blatt vor und zu Wort. Zitat: „Mit Toni gibt es nichts mehr zu klären. Er hat gesagt, dass er gehen will, daher muss er sich eine andere Mannschaft suchen.“ Und: „Es ist zu spät, er hätte früher daran denken sollen. Toni hat sich für ein bestimmtes Verhalten entschieden. Er hat unseren Erwartungen nicht entsprochen.“ Der „Sportinformationsdienst“ meldete, dass van Gaal und Rummenigge diese Aussagen bestritten hätten. Ob das aber etwas an der Sachlage ändert?
Toni arbeitet mit seiner fortgesetzten Motzerei seinem Abschied aus München entgegen. Der einstige Torjäger, der sich 2007 in seinem ersten Bayern-Jahr noch die Kanone des Ligabesten gesichert hatte, macht sich verzichtbar. Sie haben ja Gomez. Olic. Klose. Toni ist draußen.
Und bald am Tiber? Nach Angaben von Tonis Manager, Tullio Tinti, gibt es noch kein konkretes Angebot aus Italien. „Es ist noch zu früh, von Klubs wie AS Rom und Inter Mailand zu sprechen“, meinte Tinti, der einen Verbleib Tonis in München jedoch ausschließt. „Die Wahrheit rund um diese Geschichte ist noch nicht herausgekommen.“ Klingt nach: bösem Blut.
Guter Stürmer
Am Donnerstag war frei für die Stammspieler des FC Bayern. Ivica Olic konnte seinen Akku aufladen. Den Körper-Akku. In Turin hatte der Kroate gegen Ende der Partie ja gewissermaßen geblinkt. Achtung: Fast leer.
Und so zeigte Olic an, dass er runter müsste. Die zehn Kilometer-Marke hat der 30-Jährige nicht ganz voll gemacht, exakt 9,79 Kilometer war er beim 4:1 in Turin unterwegs.
Als Beobachter mochte man meinen, es sei mindestens ein Halbmarathon, den Olic wegrackert pro Partie. „Was Ivica gelaufen ist, davor kann ich nur den Hut ziehen“, sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Doch Olic ist nicht nur ausdauernd, sondern auch schnell. Bei der EM 2008 wurde bei ihm die höchste Geschwindigkeit aller Akteure gemessen. Rasend auch seine Effektivität: Ein Kopfball an den Pfosten, ein Foul, das zum Elfmeter durch Butt führte, das 2:1 per Abstauber. Olic war in Turin allgegenwärtig. Artig erfüllte er, nein, übererfüllte er alle Aufgaben. Ein guter Stürmer.
Und einer, mit dem vor Beginn der Saison niemand gerechnet hatte. Mario Gomez war für über 30 Millionen Euro vom VfB Stuttgart verpflichtet, Miroslav Klose und Luca Toni nicht verkauft worden. Da schien für den Kroaten Olic, ablösefrei vom Hamburger SV gekommen, nur die Reservisten-Rolle zu bleiben. Eine nette Ergänzung, mehr nicht. Nun dürfte er und nicht der zu oft verletzte Ribéry, und nicht der noch nicht wieder fitte Robben zum „MVP“, zum „Most Valuable Player“ der Hinrunde gewählt werden. Denn Olic hat die Dosenöffner-Tore gemacht, die Gegner geknackt. Ob es das erste Saisontor beim 1:1 in Hoffenheim war, die Treffer gegen Nürnberg und in Hannover oder die Champions-League-Surviver gegen Haifa und nun in Turin. „Es ist ein Hochgenuss, ihm zuzuschauen“, sagte Vorstandsberater Paul Breitner der AZ, „bei Ivica spürt man von der ersten Sekunde an diese Kraft, diesen enormen Einsatzwillen – das spürt man bis rauf auf die Tribüne. Dieses Feuer, das er in sich trägt, springt auf die Mitspieler über.“ So einer reißt alle mit, wenn er jedem Ball wie ein Wahnsinniger hinterherrennt, jeden Zweikampf eröffnet als entscheide dieses eine Eins-gegen-eins über den Sieg der Mannschaft. Und laut Paul Breitner noch viel wichtiger: „Dieses Feuer überträgt sich auch auf die Fans.“
Bei den Bayern-Anhängern ist Olic mittlerweile die klare Nummer eins. Kein anderer wird nach Toren oder Auswechslungen derart mit Sprechchören gefeiert. Olic spricht nicht viel, lässt nur ab und an etwas Privates raus. Wenn dann etwas, das die Fans erfreut. Neulich erzählte er, dass seine Söhne, die tatsächlich Luka und Toni heißen, sich bei Autofahrten immer die Klubhymne des FC Bayern „Stern des Südens“ wünschen. Guter Stürmer. Guter Papa.
Patrick Strasser