100 Tage Sammer: Nervensäge, Mini-Hoeneß, Motzki
München - Gerade 100 Tage ist es her, da gab’s den größten Paukenschlag der jüngeren Klub-Geschichte: Der FC Bayern stellte Christian Nerlinger den Stuhl vor die Tür, holte Matthias Sammer als Sport-Vorstand ins Boot.
Seitdem gab’s kernige Aussagen en masse und einen handfesten "Kleinkrieg“ (Boss Karl-Heinz Rummenigge) mit Trainer Jupp Heynckes, aus dem Sammer als Sieger hervor ging (AZ berichtete). Von dessen frommen Vorsatz, erstmal "jeden Stein umdrehen“ und dann erst agieren zu wollen, ist in den drei Monaten wenig übrig geblieben.
Seit dem ersten Tag ist Sammer – mit dem Segen der Oberen – omnipräsent, motiviert, kritisiert. "Es hat sich gezeigt, dass wir für diese Position einen Mann brauchen von der Ausstrahlung und von der Stärke nach außen, wie sie Matthias hat“, adelte Uli Hoeneß seinen neuen Hero am Montag im Interview mit dem 2Spiegel“.
Dessen Vorgänger habe schließlich "gewisse Schwächen“ in der Außendarstellung offenbart. Hoeneß: "Diese Sorgen habe ich bei Sammer nicht. Der wird kämpfen bis zum letzten Tropfen.“ Beim öffentlich ausgetragenen Disput mit Heynckes hat Sammer den Gegenentwurf zu Nerlinger bereits gut verkörpert, den Trainer (und dessen Eitelkeit?) allerdings auch ein wenig unterschätzt.
Von Heynckes kam der Vorwurf: den FC Bayern müsse man genau kennen. Sammer ist dabei, ihn kennen zu lernen. Die AZ analysiert, welche Rollen er bereits einnimmt – und wie er sich dabei schlägt.
Sammer, der Retter:
"Transfers? Ich? Ich dachte, ich war der Transfer!“
So begann Sammer am 3. Juli. Ob er denn noch jemanden für die Mannschaft holen werde, wurde er gefragt – und antwortete schlagfertig wie selbstbewusst. Nach der Vize-Saison sollte er Dinge hinterfragen, Verhaltensmuster der Spieler studieren und, wenn nötig, durchbrechen.
"Wir müssen Mut haben, sofort die Richtung vorzugeben“, sagte er in seinem Antrittsplädoyer. Das tut er seitdem. Sammer führt Einzelgespräche, wirkt nach innen – und außen. Der Startrekord mit sieben Siegen? Gewiss auch sein Verdienst.
Sammer, der Mini-Hoeneß:
"’Mia san mia’ gefällt Sponsoren. Aber es ist nur ein Schein!“
Uli Hoeneß war die treibende Kraft hinter dem Sammer-Coup. Auch weil sie identischen Ansichten pflegen. Wie der Präsident monierte Sammer in der Vorbereitung, man ruhe sich zu sehr auf dem Vereinscredo aus. Lethargie nach der Vize-Saison? Nicht mit ihm! "Selbstmitleid – das passt nicht zum FC Bayern.“
Als Hoeneß dann Mario Gomez kritisierte, konterte Sammer. Ein Affront? Hoeneß fand’s gut: "Richtig so. Leute, die sofort in Deckung gehen, wenn der Alte da oben etwas sagt, kann ich nicht gebrauchen.“
Sammer, der Motivator:
"Wir brauchen keine tote Mannschaft. Wir brauchen eine, die lebt, die aggressiv ist!"
Sammer formuliert Ziele ebenso aggressiv, wie er die Spieler auf dem Platz sehen will. Vor dem Supercup gegen Dortmund forderte er: Schluss mit Larifari, Brust raus, Pobacken zusammen! Ab jetzt gilt’s!
So wie er vorher schon beim DFB mehr Hunger nach Titeln gefordert hatte, so verlangt er nun beim FC Bayern Streben nach dem Besonderssein – zu jedem Preis. "Wenn du außergewöhnlich erfolgreich sein willst, kannst du nicht normal ticken“, sagt Sammer. Er selbst ist das beste Beispiel.
Sammer, die Nervensäge:
"Wir werden diskutieren, wir werden auch unterschiedlicher Meinung sein, aber Heynckes muss nie an meiner Loyalität zweifeln!"
Sammer nervt – sagt er selbst. Stillstand und Zufriedenheit nerven dagegen ihn. "Es ist seine Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen. Ich habe 30 Jahre nichts anderes gemacht“, gibt Hoeneß vor.
Deswegen wird erörtert und gestritten, notfalls auch öffentlich – solange die Debatte sachlich bleibt. Loyalität ist Sammer aber ebenso wichtig, deswegen kommt Kritik auch immer nur pauschal, nie persönlich.
Sammer, der Philosoph:
"Bei der Siegermentalität haben wir Reserven in Deutschland. Das ist eine Krankheit!“
Die Jahre als DFB-Sportdirektor und TV–Experte haben Sammers Blick fürs Wesentliche geschärft. Er vereint Fachwissen mit gesundem Menschenverstand. Dass seine Karriere im Leistungssystem der DDR startete, spielt auch eine Rolle.
Siegermentalität und klare Hierarchien sind Sammer besonders wichtig – so wie er es als Spieler kannte. Boss Rummenigge bekräftigte am Montag, das auch er ein Fan der klaren Hackordnung sei. Man spricht also dieselbe Sprache.
Sammer, der Motzki:
"Wir waren nicht wach, wir waren nicht richtig gallig. Wir waren zu lätschern!"
Noch im Juli sagte Sammer: "Wenn wir den Schritt von gut zu sehr gut machen wollen, müssen wir das in allen Teilen des Vereins machen. Wir brauchen absolute Geschlossenheit.“ Nach dem 2:0 in Bremen trat er das bewusst mit Füßen, wollte das Team motivieren.
Den Faktor Heynckes hatte er jedoch außer Acht gelassen. Den Disput gewann er durch die Rückendeckung der Oberen zwar, wird sich so schnell aber nicht nochmal auf ein öffentliches Duell einlassen.