Der Mann hinter Baumgartner erzählt: So riskant waren die Stunts wirklich
Wer sich mit Stefan Aufschnaiter trifft, um über seine Erlebnisse mit Felix Baumgartner († 56) im Red-Bull-Kosmos zu plaudern, sollte Zeit mitbringen. Denn fast alle Spektakel, die der am 17. Juli in Italien verunglückte Extremsportler von 1999 bis 2012 vollbrachte, hat Aufschnaiter – Spitzname Stau (nach seinem Journalisten-Kürzel) – nicht nur fotografiert, sondern auch inszeniert und medial vertrieben.
Will sagen: Ohne Stau hätte die Welt von Baumgartners Sprüngen nichts mitbekommen – und die Marke Red Bull würde eher für süße Brause stehen als für nervenaufreibenden Actionsport.
Baumgartners Kameramann: "Es muss spektakulär sein"
Aufschnaiter ist Anfang 60, stammt aus Oberndorf bei Kitzbühel, wurde in jungen Jahren von Red Bull als Downhill-Skater gesponsert, hat aber zunächst als Agentur-Fotograf und Journalist für Tiroler Tageszeitungen und den ORF gearbeitet.
1996 kam die Anfrage, ob er das Action-Spektakel "Dolomiten-Mann" (ein Teamwettstreit von Bergläufern, Paraglidern, Wildwasser- und Mountainbike-Fahrern) in Lienz betreuen könne, was prima klappte und den Beginn einer wohl einmaligen Karriere markierte. "Bei den ersten 150 Red-Bull-Events habe ich Fotos gemacht, Texte geschrieben, Interviews geführt und die Agenturen und Sender angerufen", erzählt er. Sein Verteiler: fast 40.000 Kontakte.

Die Prämissen aller Events: "Es muss spektakulär und relevant sein – und seriös! Es darf keine Schleichwerbung sein! Das Branding muss so sein, dass es dem Foto-Redakteur nicht unangenehm auffällt, sonst schmeißt er es raus. PR-Fuzzis schauen ja zuerst, ob das Logo passt, aber das ist für den Fotoredakteur nicht entscheidend. Ich wollte niemanden in Verlegenheit bringen, wenn er mein Bild druckt."
Baumgartners Kameramann: 1000 Events in 25 Jahren für Red Bull
15 Jahre lang ist seine Mailadresse media@redbull.com, fest angestellt ist er nie, aber zuständig für das Paket Medienservice, als Head of communication für Projekte wie Air Race, Cliff Diving, Crashed Ice, X-Fighters und zig andere.
Seiner Schätzung nach hat er 1000 Events in 25 Jahren betreut. Mitte der 90er- bis Anfang der 2000er-Jahre seien die "goldenen Zeiten" gewesen: "Wir brauchen einen Hubschrauber? Kein Problem! Geld hat keine Rolle gespielt."

In 14 Sprachen an die jeweiligen Märkte angepasst wurde nach jedem Event Content rausgehauen – was auch notwendig war, denn es habe nur ein Event gegeben, bei dem Medien wegen Fotos nachgefragt haben: Stratos, Baumgartners Sprung aus dem Weltall im Herbst 2012, Höchstgeschwindigkeit: 1357 km/h. "Sonst hat sich kein Mensch für das Zeug interessiert", sagt Aufschnaiter.
Sein Anspruch: "Auch mit einem Wald- und Wiesen-Event in Slowenien auf die Titelseite der 'New York Times’ kommen! Und: Wir brauchen immer was Neues!"
Baumgartner heimlich vom höchsten Turm Hongkongs gesprungen
Einer, der auf manch verrückte Idee kam, war Baumgartner. Sein Bewerbungsvideo bei Red-Bull-Boss Dietrich "Didi" Mateschitz: ein Sprung vom fahrenden Lkw über die Absperrung der 190 Meter hohen Europabrücke bei Innsbruck. Mateschitz hob den Daumen und sponserte ihn von 1997 an.
Zwei Jahre später springt Baumgartner von den Petrona Towers in Taipeh, damals das höchste Gebäude der Welt. Aufschnaiter erinnert sich an die Vorbereitungen: "Wir haben zwei hübsche Blondinen engagiert, die mit großen Taschen an der Security vorbei den Fallschirm ins Gebäude geschmuggelt und auf der Toilette versteckt haben.
Auch einen Trupp Breakdancer haben wir zur Ablenkung besorgt." Nach getaner Tat flüchten beide nach Hongkong und schicken die Aufnahmen von dort los: 8800 Euro Roaming-Kosten. Egal, Geld spielt ja keine Rolle.

Monate später der ikonische Sprung von der Jesus-Statue in Rio: Auch da gehen die Bilder erst fünf Tage später um die Welt, weil sich die beiden außer Landes und in Sicherheit bringen müssen.
Aufschnaiter sagt: "Tricksereien gab es schon, aber wir haben nie an den Bildern herumgeschraubt."
Baumgartners Kameramann: "Seitdem weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man stirbt"
Der Weltraumsprung, hoch über Roswell, New Mexico, sei "ein endloses Projekt" gewesen, "aber auch recht knifflig, was den technischen Vertrieb angeht", sagt Aufschnaiter, der sich selbst wundert, dass "immer alles geklappt hat".
Ein paar Mal war es aber schon eng, zum Beispiel bei Baumgartners "Wettfliegen" gegen ein Flugzeug über dem Lake Powell in Utah. Ein Foto, das Bild des Monats bei "Sports Illustrated" wurde. Aufschnaiter erinnert sich: "Wenn ich aus dem Flugzeug heraus fotografiere, trage ich entweder Fallschirm oder bin per Seil fixiert. Auch für dieses Foto musste Felix zig Mal springen, weil ich mehrere Varianten haben wollte. Ich lehne mich also hinaus, die Kamera um den Arm – und rutsche plötzlich über die Kante, weil wir das Seil nicht verkürzt hatten! Seitdem weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man stirbt: als würde der Körper außen eine harte Kruste werden und dann nach innen fallen. Ein Wunder, dass ich die Kamera nicht ausgelassen habe!"

Beim Foto-Shooting zu Robbie Naishs Wellenritt von Tarifa nach Tanger gerät er als Hubschrauber-Passagier in den Kriegsausbruch zwischen Marokko und West-Sahara und schafft es nur dank einiger Dosen Red Bull als Bestechung wieder zurück nach Spanien.
"Wird nicht funktionieren": Wilde Stunts trotz Bedenken
Wichtig bei allen Harakiri-Aktionen mit Baumgartner: "Die coolen Sachen immer mit ganz wenig Leuten machen! So hat man die Hand direkt an der Action." Red Bull sei eine riesige Firma geworden, "mit riesigen Abteilungen, die sich nur noch mit sich selbst befassen. Da passiert nix mehr". Und so bringt Aufschnaiter seine vogelwilden Ideen eben selbst in die Welt.
Zum Beispiel die von den zwei Wingsuit-Fliegern, die im Flugzeug landen. Er sucht einen Ex-Wingsuiter auf, der nun in der Konzernzentrale in Fuschl in der Hausverwaltung arbeitet ("Die werden ja auch älter") und erzählt von der Idee. "Wird nicht funktionieren, sonst hätten es die Wingsuiter selbst schon gemacht", heißt es. Aufschnaiter zieht ab, Minuten später klingelt das Handy: "Na ja, könnte schon gehen…"
200 Trainingssprünge in Spanien später stürzen sich die Wingsuiter vom Matterhorn, landen tatsächlich im Flieger – und schaffen so "das bis heute erfolgreichste Social-Media-Event von Red Bull, das gar nicht involviert war", sagt Aufschnaiter.
Aufschnaiter findet Baumgartners Tod "gespenstisch"
Von all den legendären Partys hat er da noch gar nicht erzählt. Als beim World Stunt Award in Hollywood ein Stuntman per Backflip in den Pool vor der Polizei flüchtete. Oder von dem geräumten Hotel in Dallas, nachdem Motocross-Star Ronnie Renner nachts zu einer Zimmer-Party im zwölften Stock kam – natürlich mit seinem Motorrad!
Das tragische Ende von Felix Baumgartner empfindet Aufschnaiter als "gespenstisch": "Vor zwei Wochen habe ich noch einen Vortrag zur Erfolgsgeschichte von Red Bull anhand meiner Erlebnisse mit Felix gehalten – und jetzt das!"
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