Wer hat das letzte Wort? EuGH urteilt zu Polens Justiz
Der Gerichtshof der Europäischen Union urteilt heute über die Weigerung des polnischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheidungen des höchsten europäischen Gerichts als verbindlich anzuerkennen. EU-Recht könne nur beachtet werden, wenn es der polnischen Verfassung entspreche, hieß es damals von polnischer Seite. Die EU-Kommission hatte das Land deswegen vor dem EuGH in Luxemburg verklagt.
"Es wird eine ganz grundsätzliche Frage über das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht entschieden, an der auch die Funktionsfähigkeit der gesamten Europäischen Union hängt", sagte der Europarechtsexperte Franz Mayer von der Universität Bielefeld der Deutschen Presse-Agentur. "Es wäre in diesen Zeiten schon wichtig, dass der EuGH sehr deutlich macht: Wer bei diesem Club dabei sein will, soll sich an die Regeln halten."
Hintergrund des Falls sind zwei Urteile des polnischen Verfassungsgerichtshofs (Trybunal Konstytucyjny) aus dem Jahr 2021, die nach Ansicht der EU-Kommission gegen einen Grundsatz verstoßen: EU-Recht hat Vorrang. Der Verfassungsgerichtshof befand, dass der EuGH seine Kompetenzen überschreite, wenn er sich in die polnische Justiz einmische. Zu der Zeit führte die nationalkonservative PiS-Regierung das Land. Diese hatte das polnische Justizsystem umgebaut und damit nach Einschätzung von Experten die Gewaltenteilung eingeschränkt. Der EuGH wollte bestimmte Reformen stoppen, später erklärte er sie für EU-rechtswidrig.
"Armdrücken" zwischen EuGH und Verfassungshütern
Dass Europarecht dem nationalen Recht - und auch den Verfassungen - vorgeht, ist ein für das Funktionieren der EU wichtiger Grundsatz, den der Europäische Gerichtshof schon seit Jahrzehnten betont. Mehrere nationale Verfassungsgerichte - darunter auch das deutsche Bundesverfassungsgericht - hielten aber fest, dass EU-Recht nicht in die nationale Verfassungsidentität eingreifen dürfe.
Der zuständige EuGH-Generalanwalt bezeichnete das in seinem Gutachten zu dem Fall als "Armdrücken" zwischen den nationalen Verfassungshütern und der Rechtsordnung der Union. Er betonte, dass am Ende der EuGH das letzte Wort haben müsse. Dem polnischen Verfassungsgerichtshof warf der Generalanwalt aber eine "beispiellose Rebellion" vor. Eine so offene Absage an den Vorrang des EU-Rechts wie das polnische Verfassungsgericht hatten andere nationale Gerichte bisher nicht gewagt.
Vorwürfe betreffen auch Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofs
Der zweite zentrale Vorwurf an den Verfassungsgerichtshof betrifft seine Zusammensetzung. Die EU-Kommission bemängelte Unregelmäßigkeiten bei Ernennungen von Richterinnen und Richtern, etwa von Julia Przylebska im Jahr 2016 zur Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs. Sie ist eine enge persönliche Bekannte des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski.
Nach der Regierungsübernahme durch den liberal-konservativen Donald Tusk erkannte Polen die Verstöße vollumfänglich an. Die umstrittene Richterin Przylebska ist seit gut einem Jahr nicht mehr am Verfassungsgerichtshof tätig. Der EuGH muss die Vorwürfe dennoch prüfen.
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