Wehret der Wehrpflicht! Warum der Kriegsdienst uns keinen Frieden bringen wird

Das war schon eine sehr skurrile Situation, als die Chefin Europas, Ursula von der Leyen, vor Kurzem gefragt wurde, ob auch sie schon bereit sei, eines ihrer sieben Kinder in der Armee dienen zu lassen.
Die Kommissionspräsidentin erklärte lang und breit die Voraussetzungen und den Sinn einer Einberufung und dass das selbstverständlich für alle, also auch für ihre Familie gelte, bis sie endlich doch gefragt wurde, ob denn eines ihrer Kinder bei der Armee diene. Da lachte es aus den Augen der Dame laut heraus – und wie aus der Pistole geschossen – antwortete sie: "Nein!"
Klar vernehmbar wurde im Subtext dieses Neins, dass das auch für immer so bleiben werde. Selten war die Verlogenheit von Politik so auffällig wie in diesem Augenblick.

An den Schreibtischen der machtvollen Politiker werden jetzt die Zukunftsmodelle geschnitzt, mit denen dieses Land "kriegstüchtig" gemacht werden soll. Ausbaden sollen es am Ende die, die ihren Einberufungsbescheid im Briefkasten finden, losgeschickt genau von den Schreibtischen der Ursula von der Leyens allerorten.
Sinnlose Kriege
"Geht einmal euren Phrasen nach, bis an den Punkt, an dem sie verkörpert werden", so lässt Georg Büchner in seinem Revolutionsdrama "Dantons Tod" seinen Helden Danton ausrufen. Selten war dieser Satz so aktuell wie heute.
Wir erinnern uns: Auf den Schlachtfeldern Vietnams starben Tausende von amerikanischen Soldaten, von der Politik geschickt, um die westliche Welt vor dem Untergang zu retten – heute wissen wir: Jeder Augenblick dieses Krieges war sinnlos!
Wir erinnern uns: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt!" So der intellektuell erkennbar unterbelichtete Verteidigungsminister der SPD, Peter Struck, beim Krieg in Afghanistan mit deutschen Soldaten. Heute wissen wir: Dieser Krieg war sinnlos, die deutschen Soldaten starben für nichts, jetzt regieren die Taliban.

Wir erinnern uns: Der kleine George W. Bush rief seine Männer zum Krieg in den Irak. An den Krankenhausbetten der verstümmelten Rückkehrer aus dem Irak schloss er die Augen, weil er das Leid, das er angerichtet hatte, nicht ansehen konnte. Den Krieg führte er dennoch weiter.
Heute wissen wir: Dieser Krieg war sinnlos, nichts im Irak ist für die Menschen dort wirklich besser als damals, auch ohne den schrecklichen Saddam Hussein. Und Tony Blair, der Lügner im Amt des englischen Premiers? Er wusste wohl, dass die Begründung für den Krieg im Irak verlogen war, aber schickte treu ergeben gegenüber dem amerikanischen Präsidenten dennoch seine Männer in ihr schreckliches Schicksal.

Als die Särge von dort zurückkamen, hielt er sein Gesicht mit gebotenem Ernst in die Fernsehkameras und sagte pathetisch: "They have given the biggest sacrifice of all for this country, their lives." (Sie haben das größte Opfer für dieses Land gegeben, ihr Leben.)
Heute sitzt ein Norbert Röttgen (CDU) im feinsten Zwirn in den Talk-Shows dieses Landes und wirbt für die Waffenwelt. Ein Manfred Weber (CSU) erklärt in der ruhigen Sprache des "common sense", wie gefährlich die Welt vom Iran bis Russland nun einmal wäre, und ruft zu den Waffen.
Immerhin die "Heute-Show" entlarvte vor Kurzem die inhaltliche Leere des hemdsärmeligen Verteidigungsminister Boris Pistorius, auch wenn dem Zuschauer bei solcher Entlarvung das Lachen im Halse stecken bleibt.

Geworben wird für die neue Armee, damit das Land sich wehren könne. Erzählt wird allerorten, dass die jungen Menschen das immer besser verstünden. Werbevideos der Bundeswehr zeigen die Armee als Abenteuerspielplatz.
Längst haben wir uns an die aufgeregten Klänge gewöhnt
Und der CSU-Politiker Florian Hahn berichtet glücklich im Bayerischen Fernsehen, dass immer mehr junge Menschen, die ihn in Berlin besuchten, den Sinn eines Wehrdienstes verstünden und Interesse bekundeten. Und im Übrigen sei er stolzer Reservist und habe gerade wieder eine Wehrübung hinter sich. Na, bravo!

Was bleibt, ist der Abstand derer, die zu den Waffen rufen, zu denen, die am Ende an den Waffen sind. Die Sätze, mit denen Politiker und Pseudo-Experten so "Kriegstüchtigkeit" einfordern, sind Sätze der Verführung, denen es lauthals zu widersprechen gilt: Politiker als Schreibtischtäter mit fein gebundenen Krawatten, die eben nicht vertrauenswürdig sind. Ursula von der Leyen lässt grüßen!

Dazu kommt regelmäßig ein narzisstisch schwer gestörter Professor der Bundeswehruniversität München mit seinen Hilfstruppen, der in den Talk-Shows fast schon allabendlich die Armeen an der Ostflanke der Nato aufmarschieren lässt; und jetzt auch noch ein neuer Generalinspekteur der Bundeswehr, der das Ineinandergreifen von Truppenteilen in einem Gefecht begeistert mit dem Spiel eines Symphonieorchesters vergleicht. Dabei hat er einen Blick in den Augen, als hätte er gerade zwei Linien Kokain in seine Nase gezogen.
Wo sind wir hingeraten? Die simple Gegenfrage lautet regelmäßig: "Ja, wollen Sie sich denn in einem Krieg nicht wehren?" Und auch: "Ist nicht Abschreckung der einzige Weg, einen Krieg zu verhindern?" Natürlich – Wehrfähigkeit ist notwendig. Aber doch nicht auf diese Art und Weise! Der Ton macht die Musik!

Längst haben wir uns an die aufgeregten Klänge der neuen Marschmusik gewohnt. Längst wird der Krieg als normales Szenario der Weltgeschichte wieder von vielen akzeptiert und allabendlich im Fernsehen lustvoll zelebriert. Und die Politik in Deutschland hat längst begriffen, dass die dramatischen Probleme der Autoindustrie in diesem Land durch eine gesteigerte Rüstungstätigkeit kompensiert werden könnten.
Das soll dann am Ende helfen, die eigene Macht stabil zu halten. Ganz gleich, wohin diese Waffen exportiert werden, da werden beide Augen zugedrückt.
Die sinnvolle Gegenwelt dazu: Die eigene Friedensfähigkeit sich nicht von der Gewaltbereitschaft des potenziellen Gegners aus der Hand schlagen lassen. Die eigene Kultur der Friedfertigkeit nicht gegen die Lust am Zivilisationsbruch einzutauschen. In jedem Menschen steckt ein Krieger, wir sollten darauf verzichten, ihn lustvoll zum Leben zu erwecken!
Auch wenn schon Georg Büchner vor 200 Jahren seinen Revolutionär Danton an der Lebenslangeweile des Alltags erkranken lässt. Danton: "Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen."

Aber soll Krieg dazu eine sinnhafte Alternative sein? Sind wir buchstäblich verrückt geworden? Wir wissen heute, dass bei gewaltfreien Lösungsversuchen von Konflikten die Chance auf eine Lösung exakt doppelt so hoch ist wie bei gewaltbereiten Ansätzen. (Studie von Maria J. Stephan und Erica Chenoweth von der Harvard Kennedy School über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren, nachzulesen in der "Zeit" vom 9. Oktober).
Arme Schweine, genau wie die auf der anderen Seite
Natürlich: "Der Weg des Friedens hat seine Risiken, aber weiter auf Waffen zu setzen, ist kein bisschen weniger riskant. Der Zwang zum ewigen Wettrüsten verwüstet die Seele und bindet gewaltige Ressourcen, die sonst zur Verfügung stünden für den Kampf gegen Hunger und eine gute medizinische Versorgung aller", so Papst Franziskus in seiner klugen Autobiografie "Hoffe", ein Antikriegsbuch erster Güte von einem Mann, der beileibe kein Weichei war.

Von seinem Großvater, der im Ersten Weltkrieg Soldat war, hat er die entscheidende Weisheit: "Mit der Zeit begriffen die meisten, dass die Feinde, aus der Nähe betrachtet, von Auge zu Auge, keineswegs die missgestalteten Ungeheuer waren, als die sie von der Kriegspropaganda gezeichnet wurden. Sie waren arme Schweine, genau wie die auf der anderen Seite. Alle krochen sie durch denselben Dreck und wurden auf dieselbe Weise bestraft."
Die, die Einsatzbefehle gegeben hatten, waren da aber nicht dabei! Mit Blick auf die Kriege der Gegenwart schreibt er wenige Tage vor seinem Tod im Frühling dieses Jahres: "Wir verwechseln nicht Angreifer und Angegriffene. Wir leugnen auch nicht das Recht auf Selbstverteidigung: Doch wir sind überzeugt davon, dass Krieg niemals 'unvermeidlich' und dass Frieden immer möglich ist. Den Hass und die Gewalt der Tyrannen und Mörder nachzuahmen, ist der beste Weg, um schließlich ihren Platz einzunehmen."

In dieselbe Richtung argumentiert der Philosoph Jürgen Habermas, wenn er mit Blick auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht von der Rücknahme eines "weltgeschichtlichen Lernprozesses"spricht, "der auf der auf den Schlachtfeldern und in den Kellern des Zweiten Weltkriegs gewachsenen Einsicht" beruhe, "dass diese mörderische Form der Gewaltausübung menschenunwürdig" sei.
Er erschrecke über die geplante "beispiellose Aufrüstung" des Landes. Wem wollen wir am Ende vertrauen? Politikern, die die Einsatzbefehle für die Söhne und Töchter dieses Landes unterschreiben, aber sich selbst fein heraushalten wollen – oder weisen und die Zeichen der Zeit verstehenden Menschen wie Papst Franziskus oder Jürgen Habermas?