Interview

Unbequeme Ansichten: Wer ist der Täter des Reichstagsbrands 1933?

Als das Feuer heute vor 90 Jahren im Berliner Reichstag den Plenarsaal vernichtete, begann die bis heute andauernde Diskussion, wer es war. Journalist und Autor Uwe Soukup über unbequeme Ansichten. Der Erziehungswissenschaftler, freie Journalist und Autor forscht zu zeitgeschichtlichen Themen.
Martina Scheffler
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Der brennende Reichstag in der Nacht des 27. Februar 1933.
Der brennende Reichstag in der Nacht des 27. Februar 1933. © dpa/Ullstein

AZ: Herr Soukup, um die Frage, wer den Reichstag in Brand gesteckt hat, gibt es eine jahrzehntelange Debatte. Warum ist es Ihnen persönlich wichtig, diese zu führen?
UWE SOUKUP: Es geht mir darum, zu klären, was damals wirklich passiert ist. So wie es sich in der Geschichtswissenschaft weitgehend durchgesetzt hat - also die Nazis haben mit der Brandstiftung nichts zu tun -, kann es nicht gewesen sein. Ich bin gespannt, ob es möglich ist, eine falsche Theorie endlich, nach Jahrzehnten, in Frage zu stellen und ob man andere Sichtweisen endlich akzeptiert. Das haben schon viele versucht, vielleicht klappt es diesmal. Wobei ich ganz klar sagen muss, dass es meinen Versuch ohne die früheren Versuche nicht geben könnte.

Uwe Soukup.
Uwe Soukup.

Reichstagsbrand-Akten: Genaueste Untersuchungen ignoriert?

Warum?
Ich profitiere von den Pionieren, die teilweise seit Jahrzehnten, seit die Reichstagsbrand-Akten zur Verfügung standen, geforscht haben und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen publiziert haben. Als ich feststellte, dass selbst die genauesten Untersuchungen ignoriert oder unfair abqualifiziert wurden, hat es mich noch mehr gereizt, es vielleicht mal auf einem anderen Weg zu probieren. Es geht ja hier nicht um eine Kleinigkeit. Wie die Nazis das Volk überrumpelten und in die Knie zwangen - es sind ja nicht alle den Nazis hinterhergelaufen -, um ihre bis heute unvorstellbaren Verbrechen zu begehen, ist ein Vorgang, über den man doch etwas besser Bescheid wissen sollte.

"Marinus van der Lubbe kann es alleine nicht getan haben"

Die verbreitete Auffassung, es habe nur einen Täter - Marinus van der Lubbe - gegeben, beruht auf Forschungen des niedersächsischen Verfassungsschutzbeamten Fritz Tobias. Wie muss man seine Schlussfolgerung, nicht die Nazis, sondern der Niederländer habe den Reichstag angezündet, sowie die Art und Weise, wie er diese belegt, bewerten? Ist nichts davon haltbar?
Es ist ja nicht so, dass Marinus van der Lubbe den Reichstag nicht angezündet hätte. Er wurde im brennenden Reichstag verhaftet und hat alles gestanden, warum auch immer. Das Problem ist nur: Er kann es alleine nicht getan haben. Er hatte keine wirklichen Brandbeschleuniger - Kohlenanzünder kann man bei so einem Großbrand vergessen - und er hatte zu wenig Zeit, um ein derartiges Riesenfeuer im Plenarsaal des Reichstages zu entfachen. Um diese rein naturwissenschaftliche Frage hat sich Tobias nie gekümmert. Die damaligen Brandsachverständigen hat er abqualifiziert. Von der Theorie des Fritz Tobias ist im Grunde nichts haltbar, nein. Dennoch wurde sein Buch mit wissenschaftlichen Weihen versehen - vom Institut für Zeitgeschichte.

Was spricht gegen die Alleintäterschaftsthese?

Was ist für Sie der entscheidende Punkt, die Alleintäterschaftsthese anzuzweifeln?
Zuallererst die Zeit-Problematik. Es gibt keinerlei Möglichkeit, innerhalb weniger Minuten ein derartiges Großfeuer zu entfachen - mit nichts. Vor fünfzehn Jahren hat der "Welt"-Redakteur Sven Felix Kellerhoff versucht, diese Lücke in der Theorie von Fritz Tobias zu schließen, indem er das Phänomen des "back draft" ins Spiel brachte, also eine Ansammlung gefährlicher Gase in einem geschlossenen Raum infolge eines Feuers, dem Sauerstoff fehlt. Wird frischer Sauerstoff in den Raum hereingelassen, etwa durch das Öffnen einer Tür, kommt es zu einer schwerwiegenden Ausbreitung des Feuers, ja, zu einer Explosion. Das klingt gut, kann sich aber so nicht abgespielt haben, wie Brandexperten versichern, denn für dieses Phänomen hätte es stundenlang brennen und schwelen müssen. Wir reden hier aber über einige wenige Minuten.

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Ihr Buch enthält unzählige Hinweise darauf, dass ein Einzeltäter diesen enormen Brand nicht entfacht haben kann, sowie auf eine Beteiligung von NS-Seite. Warum werden diese offenbar von vielen Historikern bis heute ignoriert - sind sie nicht bekannt, gibt es kein Interesse an ihnen?
Schwer zu sagen. Ich fürchte, niemand hat die Größe, aus den alten Schützengraben herauszukommen. Es wäre besser gewesen, sich da gar nicht erst hineinzubegeben, ohne die Sache selbst zu überprüfen. Andererseits: Wenn das Institut für Zeitgeschichte begutachtete, dass Fritz Tobias Recht hat, dann verlässt man sich als Historiker darauf. Historiker sind ja keine Naturwissenschaftler oder gar Brandexperten. Der Kampf um die Alleintäter-Theorie ist immer auch ein ideologischer Kampf gewesen. Tobias, das ist jetzt wörtlich zitiert, wollte mit seiner These "die kommunistische Propagandaflut aus dem Osten" stoppen. So kann man aber nicht wissenschaftlich arbeiten.

Welches Interesse kann es umgekehrt heute daran geben, an der Einzeltäterthese festzuhalten?
Möglicherweise das Problem, einzugestehen, dass man sich geirrt hat. Das ist bedauerlich. Dass es einem seriösen Wissenschaftler darauf ankommen könnte, die Nazis ausgerechnet von dieser Tat, dem Ur-Verbrechen der Nazis, zu entlasten, vermag ich mir nicht vorzustellen.

Der "Spiegel" verteidigt die Alleintäterthese

Sie sehen die Debatte um den Reichstagsbrand auch als Medienskandal - warum?
Vor allem wegen der Rolle, die der "Spiegel" seit Jahrzehnten in der Sache spielt. Er hat 1959 die Alleintäterthese in die Welt gesetzt und seither immer verteidigt. Vor einigen Jahren wurden im "Spiegel" Zweifel an der Alleintäterthese in den Bereich des Obskurantismus verwiesen, laut Duden das "Bestreben, die Menschen in Unwissenheit zu halten, selbstständiges Denken zu verhindern und sie an Übernatürliches glauben zu lassen". Das ist absurd. Obskur ist es doch vielmehr, den Menschen zu erzählen, dass ein Mensch allein ohne Hilfsmittel, nur mit seiner brennenden Kleidung, in wenigen Minuten ein flammendes Inferno erzeugen kann.

Sie erheben Vorwürfe gegen das Institut für Zeitgeschichte in München, es wolle die Chance nicht nutzen, um falsche Erkenntnisse geradezurücken. Was würden Sie sich vom IfZ wünschen und haben Sie zuletzt noch etwas von dort gehört?
Das Institut für Zeitgeschichte beziehungsweise der damalige Direktor Helmut Krausnick wurde von Tobias mit seiner, also Krausnicks, "Nazi-Vergangenheit" erpresst, damit das Institut Tobias den Segen erteilt. So geschah es. Eigentlich hatte man sich im Institut über Tobias eher amüsiert gezeigt. Hans Mommsen spottete in einer langen Rezension 1962 geradezu über Tobias' Buch. Doch 1964 winkte er es durch. Das ist merkwürdig. 2001 hat sich das Institut für Zeitgeschichte von den damaligen Methoden Hans Mommsens scharf distanziert - da ging es darum, wie Mommsen 1962 einen anderen Autor, der das Buch von Tobias im Auftrag des IfZ erschüttern sollte, verdrängt hat - aber das Institut unterschlägt dabei, dass Hans Mommsen das ja nicht alleine getan hat, sondern mit Rückendeckung des Instituts, ja sogar in dessen Auftrag. Noch schwerer wiegt aber etwas anderes: Das Institut hat die Alleintäterthese damals abgesegnet, sich aber niemals von diesem durch Tobias erzwungenen "Irrtum" distanziert. Ich hatte das Institut gebeten, dieses Problem zu "heilen", indem es sich auch von der Begutachtung Mommsens, nicht nur von dessen Methoden, die das Institut ja damals mittrug, distanziert. Leider bekomme ich da die immer gleichen Antworten. Es herrsche im IfZ Meinungspluralismus, was ja zumindest damals nicht der Fall gewesen sein kann. Ich hätte mir vom IfZ etwas mehr davon gewünscht, was man heute Fehlerkultur nennt.

Uwe Soukup: "Die Brandstiftung. Mythos Reichstagsbrand - Was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging", Heyne-Verlag, 22 €
Uwe Soukup: "Die Brandstiftung. Mythos Reichstagsbrand - Was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging", Heyne-Verlag, 22 € © ho

Was erhoffen Sie sich vom Erscheinen Ihres Buches?
Dass die ganze Angelegenheit endlich neu und vorurteilsfrei angeschaut wird. Am besten interdisziplinär, warum nicht durch den Bundestag? Also dass Brandexperten, die über die Entstehung eines Großfeuers Bescheid wissen, sich dazu äußern, Historiker sich mit van der Lubbe beschäftigen, mit der Berliner Gemengelage im Jahr 1933, in der es möglich gewesen war, dass van der Lubbe mit Anarchisten in Kontakt kam, die auf dem Absprung zu den Nazis waren. Es muss eine Erklärung geben, vielleicht nicht mehr für jedes Detail, aber doch eine ganze Menge weitergehende Ergebnisse. Ich bin gespannt, ob jetzt vielleicht doch noch Bewegung in die Sache kommt.


Uwe Soukup: "Die Brandstiftung. Mythos Reichstagsbrand - Was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging", Heyne-Verlag, 22 €

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  • Der wahre tscharlie am 27.02.2023 17:39 Uhr / Bewertung:

    Interessantes Interview.
    Ich persönlich glaube auch nicht an die Allein-Täter-These.

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