Starkes Auswärtsspiel
Angeschlagen kommen Peer Steinbrück und Christian Ude nach Vilshofen. Doch sie überzeugen eine Rekordkulisse
VILSHOFEN Wunder dauern etwas länger, und der Einmarsch der Gladiatoren bei der SPD auch. Die Halser Musikanten spielen den Erzherzog-Albrecht-Marsch wie in der Endlos-Schleife, während sich Peer Steinbrück und Christian Ude ins Festzelt an der Donau bewegen. Ein Regiefehler? Absicht? Trauen sie sich nicht, bei den aktuellen Umfragezahlen? Egal. Es wurde einer der denkwürdigeren Aschermittwochs-Auftritte der SPD. Vor allem Steinbrück zeigte unerwartet Auswärtsstärke.
Ganz aus dem Häuschen waren sie bei den Sozis, weil das Zelt so groß war am Flussufer von Vilshofen. 5000 passten hinein. Von der „größten politischen Aschermittwochs-Veranstaltung aller Zeiten“, schwärmte Landeschef Florian Pronold, der noch immer nicht weiß, wann es genug ist.
Tatsächlich war das Interesse riesig, 70 Bus-Ladungen schaffte die leidgeprüfte Basis ins Zelt, 200 Journalisten waren da. Sogar Al Jazeera wollte wissen, wie sich der selbsternannte „Fischkopp“ Steinbrück schlägt im tiefen Niederbayern. Und wie der einstige Hoffnungsträger Ude die jüngste Umfrage wegsteckt.
Ihnen gelingt ein kämpferischer Auftritt
19 Prozent, da lässt mancher den Mut sinken. Wie Erich und Rosemarie Gerauer aus Rottal-Münster: „Naa, auf Sieg setzen – des werd schwer“, sagt der 70-Jährige ganz hinten in der Halle, „Der Ude tut mir leid“, sagt sie – vor den Reden.
Doch dem Städter und dem Norddeutschen gelingt ein kämpferischer Auftritt, der zumindest verzagten Parteigängern Mut machen könnte. „Mia san die bayerischen Sozis, und do san mia dahoam.“ So breit wie nie ist Udes Bairisch, es klingt fast wie eine Fremdsprache. „Bayern ist auch unser Land. Nicht der Erbhof einer arrogant gewordenen Partei“.
Man solle sich von „gekauften Umfragen“ nicht beirren lassen. „Die CSU zittert wie Espenlaub im Abendwind." Auf die Nummer mit dem „Drehofer“ ist Ude stolz, womit Seehofers Kehrtwenden verulkt werden sollen: Ob beim Atom, beim Donauausbau oder bei den Studiengebühren: „Diese Regierung ist vollauf beschäftigt, die Spuren ihres Regierungshandelns zu beseitigen.“ Wobei: „Beim Thema Studiengebühren ist die CSU sogar zu doof zum Umfallen“. Das ist ein echter Kracher. Das Volk jubelt. Überhaupt kopiere die CSU alles. „Lasst bloß kein kommunistisches Manifest in der Staatskanzlei rumliegen. Der Seehofer schreibt alles sofort ab.“
Sieben Monate vor der Wahl gelingt es Ude, Kampfgeist zu vermitteln. Er kommt besser an als vor einem Jahr, auch wenn sich das am Applaus nicht messen lässt. Ude unterbricht einen eventuellen Ovations-Wettbewerb. Denn er weiß, er ist nicht der Star heute Mittag: „Es spricht Peer Steinbrück“.
Hang zur unbequemen Wahrheit
Ein paar Flecken hat er im Gesicht, er fletscht sein Haifisch-Lächeln, und er ist gekommen, um zu beißen - nach allen Seiten:
„Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde, liebe Ungläubige.“ Schon die Anrede eine Analyse, in den ersten Worten der Hang zur unbequemen Wahrheit. Aber irgendwie kommt das an. Ja klar: „Alle schießen mal übers Ziel hinaus – ich auch“, sagt er. Die Sache mit dem zu niedrigen Kanzlergehalt, mit untrinkbarem, weil zu billigen Wein, mit den Vortragshonoraren – all die Fettnäpfchen: Auch er neige zu „bajuwarischer Ausdrucksweise“, behauptet er eher rätselhaft: „Und das kommt gelegentlich in den falschen Hals.“
Aber jetzt zum Angriff: „In Passau tagt eine kleine radikale Minderheit“, sagt er zur CSU. „Und wenn die da behaupten, sie hätten 6000 Leute, dann sag ich: Hier sind 10 000.“ Die Bundesregierung, die ist „so beliebt wie Blinddarmentzündung und Wurzelbehandlung zusammen“. Die habe „nichts zustande gebracht außer dieses vollständig idiotische Betreuungsgeld“. Das passe „in die Zeit von Peter Frankenfeld“, und mit Blick in den Juso-Block: „Den kennt ihr nicht, oder?“
"Ich bin kein geölter Kandidat"
Die allermeisten im Zelt allerdings kennen den Showmaster aus den Sechzigern sehr wohl.
Das Betreuungsgeld werde „das Gesetz mit der kürzesten Halbwertszeit“ sagt Steinbrück: „Wenn ich Kanzler bin“. Es klingt, als glaube er daran, und allen Zweiflern schickt er hinterher: „Wir zielen nicht auf die große Koalition.“ Auch eine mangelnde Wechselstimmung spricht er an. „Deutschland steht da wie Alice im Wunderland. Die SPD hat unter Rot-Grün die Grundlagen dafür geschaffen!“ Er donnert es ins Zelt. Er ist schließlich einer der Väter der ungeliebten Agenda 2010.
Bequem ist er nicht, will es nicht sein, „kein öliger und geölter Kandidat“, sagt Steinbrück. Fahnen fliegen, Jubel tost am Ende, und mindestens eine Wählerin hat Steinbrück gewonnen: „Ich fand ihn überraschend gut“, sagt Jennifer Edle von Rueddorfer. Sie lernt PTA, ist erst 17: „Aber im Herbst kann ich ihn wählen.