Münchner USA-Experte erklärt das Trump-Urteil: "Der Staat entzieht Straftätern das Wahlrecht"
München – In allen 34 Anklagepunkten sprach die zwölfköpfige Jury den ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, in der Schweigegeld-Affäre schuldig. In einigen Wochen entscheidet das New Yorker Gericht nun über das Strafmaß. Die AZ hat mit einem Münchner Experten darüber gesprochen, wie es jetzt weitergeht.
LMU-Historiker Markus Hünemörder: "Das Urteil ist nicht gut für Donald Trump"
AZ: Herr Hünemörder, noch nie wurde ein ehemaliger US-Präsident in einem Strafverfahren verurteilt. Welche Durchschlagskraft hat der Schuldspruch auf politischer Ebene?
MARKUS HÜNEMÖRDER: Das kann momentan noch niemand sagen. Das Urteil ist nicht gut für Donald Trump, andererseits werden es seine eingefleischten Anhänger nur als Beweis nehmen, dass Trumps Erzählung von einer politischen Hexenjagd korrekt ist. Bei seinen politischen Gegnern ist er sowieso unten durch. Die Frage ist, wie sich das auf die kleine Gruppe von Wechselwählern auswirken wird. Laut Umfragen gibt es einen nennenswerten Prozentsatz von Stimmberechtigten, die ihre Wahlentscheidung noch mal überdenken würden, wenn Donald Trump strafrechtlich verurteilt würde.
Wie groß ist diese "kleine Gruppe"?
Das ist schwer zu sagen. Man kann feststellen, dass in den letzten 20 Jahren die politische Mitte der Wechselwähler immer kleiner geworden ist. Es geht unter anderem um Menschen, die in den republikanischen Vorwahlen für Nikki Haley gestimmt haben und um Menschen, die eigentlich eine republikanische Wirtschaftspolitik bevorzugen würden, aber eben nicht unbedingt einen Präsidenten Donald Trump.

Trump-Sympathisanten hatten noch darauf gehofft, dass ein Geschworener ausschert, auf "nicht schuldig" plädiert und damit der Prozess als "Mistrial" platzt. Wie sehr erstaunt Sie das Urteil?
Ich war ein wenig überrascht, dass es so schnell ging. Andererseits ist der Sachverhalt klar. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, dass mehrere Geschworene den Hauptzeugen Michael Cohen für so unglaubwürdig befinden, dass ein "reasonable doubt" (begründeter Zweifel, d. R.) an der Schuld von Donald Trump besteht. Offensichtlich kamen sie aber nicht zu diesem Schluss.
Gefängnisstrafe für Donald Trump? "Theoretisch wäre auch eine Art von Hausarrest möglich"
Mit welchem Strafmaß, das am 11. Juli verkündet werden soll, ist zu rechnen?
Dass er tatsächlich ins Gefängnis kommt, ist unwahrscheinlich. Eine Bewährungsstrafe mit Auflagen wäre eher denkbar. Theoretisch wäre auch eine Art von Hausarrest möglich.
Sehen wir dann einen Präsidentschaftskandidaten, der mit Fußfessel von zu Hause aus in den Wahlkampf zieht?
Das Problem ist, dass Donald Trump mittlerweile in Florida lebt. Da müssten dann die New Yorker Behörden mit denen aus Florida zusammenarbeiten. Das halte ich für unrealistisch. Es ist außerdem seine erste strafrechtliche Verurteilung. Darüber hinaus reden wir über ein Verbrechen, bei dem es nicht um Gewalt geht, Fluchtgefahr ist auch nicht wirklich gegeben.
Wenn Trump gewählt wird, könnte er sich dann selbst begnadigen?
Nicht in New York, weil das eine Verurteilung nach dem New Yorker Strafrecht ist. Und in den USA haben die 50 Bundesstaaten ihr eigenes Strafrecht. Der Bund hat auch ein Strafrecht – beide gelten, aber unabhängig voneinander. Der Präsident kann Begnadigungen nur im Rahmen des Bundesrechts aussprechen.
Rechtlich gesehen haben die Prozesse keine Bedeutung für die Wahl, weil Kandidaten das passive Wahlrecht in den USA nicht verlieren. Könnte Trump dann aus dem Gefängnis auf Stimmenfang gehen?
Wenn das passiert, betreten wir Neuland. Jedenfalls könnte er zur Wahl antreten und dennoch sein aktives Wahlrecht verlieren. Er ist als Wähler in Florida registriert. Der Staat entzieht Straftätern das Wahlrecht, bis ihre gesamte Haftstrafe oder Bewährung abgeleistet wurde.
Drei weitere Verfahren: Wo außerdem gegen Donald Trump ermittelt wird
Welche anderen Verfahren laufen noch gegen den ehemaligen US-Präsidenten?
Es gibt einen weiteren Prozess in Georgia – wegen der versuchten Einflussnahme auf das Wahlergebnis in diesem Staat. Es gibt außerdem zwei Bundesverfahren. Eines wird in Florida geführt, weil er geheime Dokumente aus dem Weißen Haus mit dorthin genommen und versucht hat, diesen Vorfall zu vertuschen. Zudem gibt es ein Bundesverfahren in der Hauptstadt, das sich auf Donald Trumps Rolle am 6. Januar 2021 bezieht. Da ist der Vorwurf die Behinderung der Amtsfunktion des Kongresses. Da geht es aber nicht wirklich um den Sturm auf das Kapitol, sondern um den Plan, mit falschen Wahlmännerlisten die Ratifizierung des Wahlergebnisses so zu stören, dass das Repräsentantenhaus über die Präsidentschaftswahl entscheiden müsste. Die Bundesverfahren liegen aber beide auf Eis – bis der Supreme Court (Oberster Gerichtshof der USA, d. Red.) im Juli entscheidet, ob er in seinem Amt strafrechtlich immun war.
Zuletzt gab es Bedenken, dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte, wenn Trump schuldig gesprochen wird. Wie ist die Lage?
Schwere Ausschreitungen sehe ich nicht kommen. Wir haben am 6. Januar genau sowas gesehen, aber bei den Kongresswahlen 2022, wo die Kandidaten von Trump und den Republikanern wirklich schlecht abgeschnitten haben, ist gar nichts passiert. Ich denke, dass die Infrastruktur der amerikanischen Demokratie besser als ihr Ruf ist. Man weiß aber natürlich nicht, was passiert, wenn er die Präsidentschaftswahl verliert. Da könnte es möglicherweise zu tumultartigen Szenen kommen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hünemörder.
- Themen:
- Donald Trump
- Weißes Haus