Interview

EVP-Chef Manfred Weber: "Auf Stürme der Weltpolitik in keiner Weise vorbereitet"

Der EVP-Vorsitzende Manfred Weber spricht über die Defizite der Außenpolitik Europas - und warnt vor Putin.
von  K. Pribyl
Manfred Weber ist seit 2014 Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. (Archivbild)
Manfred Weber ist seit 2014 Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. (Archivbild) © picture alliance/dpa/European Parliament

Der 49-jährige Niederbayer Manfred Weber ist Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und stellvertretender CSU-Vorsitzender.

AZ: Herr Weber, wie bewerten Sie die derzeitige Lage in der Ukraine?
MANFRED WEBER: Putin hat seine Maske fallen lassen. Mit seiner Entscheidung verschiebt er auf europäischem Grund und Boden Grenzen, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr der Fall war. Vieles, was seitdem an gemeinsamem Verständnis gewachsen ist, ist jetzt Makulatur.

Bei Putin gerät die Diplomatie an ihre Grenzen

Kann man die Diplomatie als gescheitert erklären?
Diplomatie kommt an ihre Grenzen bei einem Politiker, der zu allem entschlossen ist, der 150.000 Soldaten aufmarschieren lässt und sich aus machtpolitischen Gründen um die Schicksale von Betroffenen nicht schert. Aber natürlich muss eine diplomatische Lösung immer das erste Ziel sein.

Und jetzt?
Das erste Sanktionspaket ist richtig. Damit macht der Westen deutlich, dass wir konkret gegen die Wirtschaftsstrukturen vorgehen. Aber ich wünsche mir, dass wir auch Putin treffen. Er hat entschieden, Völkerrecht zu brechen, deshalb muss auch er spüren, dass es so nicht geht.

Stärke in der Geschlossenheit

Müsste die EU nicht noch viel weiter gehen?
Es ist gut, dass sich die westliche Gemeinschaft abstimmt. Die Vorbedingung für unsere Stärke ist Geschlossenheit. Wir müssen uns im Klaren sein, dass das wahrscheinlich nicht der letzte Schritt von Putin ist. Spätestens wenn es zu unmittelbaren russischen Angriffen kommt, muss das gesamte Sanktionspaket auf den Tisch.

Sanktionen sind nur ein Mittel. Was braucht es noch?
Wir als Europäer müssen uns bewusst machen, dass wir in eine neue Welt kommen, dass es Machthaber gibt, die bereit sind, Tote und Zerstörung zu akzeptieren, um vermeintlich historische Ziele zu erreichen. Vor diesem Hintergrund wird diese Krise uns die zentrale Frage stellen: Wollen wir in außen- und sicherheitspolitischen Fragen endlich aufstehen und sprechfähig werden, um souverän zu sein, oder bleiben wir innerlich geblockt?

"Wir sind auf die Stürme der Weltpolitik in keiner Weise vorbereitet"

Das heißt, die EU sollte schnell Lehren aus der Krise ziehen?
Wir gehen die Sache gemeinsam an, obwohl wir intern viele Spannungen haben. Aber wir sind auf die Stürme der Weltpolitik in keiner Weise vorbereitet. Das ist die Grundbotschaft. Das haben uns schon Afghanistan, Syrien oder Libyen gezeigt. Europa braucht angesichts der Herausforderungen einen Verteidigungspfeiler. Die größte Bedrohung für Putin sind Freiheit und Demokratie, nicht Nato-Soldaten. Deshalb wird er weitergehen. Wenn er wie zurzeit scheibchenweise erfolgreich ist, dann wird er sich mehr und mehr der EU zuwenden, erst schwächeren Staaten wie den baltischen, dann uns. Er wird versuchen, unsere Art zu leben unter Druck zu setzen.

Ist den Europäern klar, dass das auch ihr Krieg ist?
Politik muss jetzt erklären. Ich verstehe, dass viele Menschen meinen, die Ukraine ist weit weg. Aber es geht nicht nur um die Ukraine, sondern um uns. Wir müssen über die weiteren Fakten reden, die mit der aggressiven russischen Politik verbunden sind. Da ist Putins Unterstützung für einen Diktator in Syrien, der Tiergartenmord, wir haben Cyber-Attacken gegen den Bundestag. Der hybride Krieg findet auf europäischem Boden statt. Dem muss politische Führung etwas entgegenhalten.

Weber ist enttäuscht vom Bundeskanzler

War Deutschland trotz der Provokationen aus Russland zu lange zu neutral?
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bis vor wenigen Tagen den Begriff Nord Stream 2 noch nicht einmal in den Mund genommen. Ich hätte mir viel früher einen klaren Kurs gewünscht. Ganz dramatisch war die Botschaft, dass Deutschland 5.000 Helme in die Ukraine schickt. Dieser Vorgang hat ein Schlaglicht darauf geworfen, dass es seiner Führungsrolle nicht nachgekommen ist. Ich erinnere mich, dass wir vor ein paar Jahren Waffen an die Kurden im Nordirak geliefert haben im Kampf gegen Islamisten. Mit politischem Willen geht es.

Führt uns die Krise vor Augen, dass Deutschland eine neue Außenpolitik braucht?
Deutschland muss endlich einen Beitrag dazu leisten, dass wir eine echte europäische Außenpolitik hinkriegen. Entweder wir kommen jetzt aus unserer Komfortzone heraus oder wir spielen in der Welt von morgen keine Rolle mehr. Das zeigen uns die jüngsten Krisen in aller Brutalität. Wir müssen in der Außenpolitik die Einstimmigkeit abschaffen, wir brauchen den Aufbau einer europäischen Verteidigungsstruktur und einen echten EU-Außenminister, der für diesen Kontinent sprechen kann. Wenn das, was wir jetzt erleben, als Weckruf nicht reicht, dann weiß ich nicht, was reichen soll.

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