Die Matrone der Mitte

Der CSU-Parteitag in Stuttgart: Die Kanzlerin bietet nur Abstraktes gegen die Krise - und wird trotzdem mit beachtlichen 94,8 Prozent der Stimmen als Parteichefin wiedergewählt. Ihr Dauer-Rivale Friedrich Merz stiehlt ihr jedoch die Show.
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STUTTGART - Der CSU-Parteitag in Stuttgart: Die Kanzlerin bietet nur Abstraktes gegen die Krise - und wird trotzdem mit beachtlichen 94,8 Prozent der Stimmen als Parteichefin wiedergewählt. Ihr Dauer-Rivale Friedrich Merz stiehlt ihr jedoch die Show.

Die Zeiten sind ernst, verdammt ernst. Fast alle Granden der CDU haben sich für den dunklen Anzug entschieden, die Chefin für einen schwarzen Blazer. Der Parteitag der CDU hat über weite Strecken den Charakter einer Trauerfeier. Man trifft eine tief verunsicherte Partei, die panisch nach dem Rezept gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise sucht.

Fast verzweifelt wirkt es da, dass jeder Delegierten eine Vitaminspritze an seinem Platz vorfindet. Eine Orange und einen Tetrapack „Bio-Fruchtsaft Orange Mango“, natürlich mit hundert Prozent Saftgehalt. Was man von der technokratischen, knochentrockenen und wieder einmal viel zu abstrakten Rede der Parteivorsitzenden nicht sagen kann.

Ihre Antworten auf die Krise klingen sperrig

Merkel gibt die Matrone der Mitte. „Willkommen in der Mitte“, ruft sie in einem Tonfall, der eher zu „herzliches Beileid“ passen würde. „Die Mitte war und ist Deutschlands Stärke. Die Mitte sind wir. Die Mitte, das ist die CDU Deutschlands." Ihr Hauptthema Krise malt Merkel in den düstersten Farben – Bundeskanzlerin Angela Merkel als Kassandra: Die Politik stehe „vor Herausforderungen, die so noch nicht da waren“. Ihre Antworten darauf klingen sperrig: „Der Staat muss der Wirtschaft Brücken bauen“ und „Die Politik muss international einen Rahmen bauen, der eine unbeherrschbare Weltwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft formt.“ Hm.

Applaus bekommt Merkel, die später mit 94,8 Prozent der Stimmen als Parteichefin wiedergewählt wird, für solche blutleeren Sätze nicht. Die Frau, die die CDU seit 2000 führt, hält vor allem die Rede einer Kanzlerin, nicht einer CDU-Chefin. Sie verzichtet weitgehend auf Polemik gegen die Konkurrenz und kaut mürrisch auf Schwarzbrot herum, statt am Zuckerguss zu naschen.

Schwerpunkte ihrer Regierungszeit sind Merkel nur noch Randnotizen wert. Der ausgeglichene Haushalt? Der verzögert sich, kommt eben irgendwann. Der Klimaschutz? Immer noch wichtig, aber auch nicht zu viel davon: „Wir müssen verhindern, dass Industrien und Arbeitsplätze abwandern.“

Am Ende gequälter, mühsamer Beifall

Was kurzfristige Steuersenkungen gegen die Wirtschaftskrise angeht, bleibt Merkel hart – noch jedenfalls. „Ein Überbietungswettbewerb von immer neuen Vorschlägen, ein sinnloser Wettbewerb um Milliarden ist mit mir nicht zu machen“, sagt sie. Und hält sich eine riesengroße Hintertüre offen: „Wir werden die Lage immer wieder neu analysieren. Deutschland wird sich alle Optionen offen halten.“ Anfang Januar werde der Koalitionsausschuss über das weitere Vorgehen entscheiden.

Am Ende gequälter, mühsamer Beifall. „Des hommer doch anschdändig gmacht“, seufzt eine schwäbische Delegierte erleichtert nach verkrampften Standing Ovations. „Aber was sollsch au saga. Die Rede hatte einen Abschtraktionsgrad, da konntesch bei nix widerschprecha!" Noch schlimmer wird es bei Generalsekretär Ronald Pofalla, der sich mit müden Gags aus der Wahlkampfmottenkiste durch seine Rede quält. In Scharen fliehen die Delegierten aus der Halle. Noch nicht einmal der Brüller-Satz „Die SPD ist im Moment eine schlagende Verbindung“ zündet.

Jeder Satz von Friedrich Merz knallt wie ein Peitschenhieb

Ganz anders Friedrich Merz. Die Delegierten hängen an den Lippen des Merkel-Rivalen, saugen jeden Satz gierig auf. Lange hat der Ex-Unionsfraktionschef öffentlich geschwiegen, jetzt kommt er aus dem Schmollwinkel. Jeder Satz knallt wie ein Peitschenhieb. „Gerade jetzt bräuchten wir funktionsfähige Landesbanken“, stichelt Merz. „Die haben wir aber nicht.“ Für kurzfristige Steuergeschenke gebe es in den öffentlichen Haushalten leider keine Spielräume, giftet Merz weiter – da habe die Regierung in den letzten drei einigermaßen guten Jahre zu wenig gemacht.

Dann der finale Hieb gegen Merkel: „Wir müssen Steuerpolitik in einem Team machen, in dem wir die finanzpolitische Kompetenz nicht ganz den Sozialdemokraten überlassen." Der Parteitag jubelt. Wenigstens kurz. Wenigstens einmal.

Markus Jox

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