Deutschland unterstützt Juncker auch gegen Widerstand
Berlin/Brüssel - "Es ist kein Drama, wenn wir auch nur mit qualifizierter Mehrheit abstimmen werden", sagte Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch im Bundestag angesichts von Widerständen gegen Juncker vor allem aus Großbritannien. Vor dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel sprach sich Merkel klar gegen eine Lockerung der Euro-Stabilitätskriterien aus.
Nach Angaben von EU-Diplomaten in Brüssel wird beim Gipfel nur über Juncker und nicht über ein umfassendes Personalpaket entschieden werden. Dafür zeichne sich ein zweistufiges Verfahren ab: Ein Sondertreffen der "Chefs" sei noch im Juli möglich, um die Nachfolge der Außenbeauftragten Catherine Ashton zu regeln. In ein Personalpaket würde auch die Nachfolge von Herman Van Rompuy an der Spitze des Europäischen Rates gehören. Der Belgier scheidet Ende November aus.
Beim einem Treffen im Juli könnte der britische Premierminister David Cameron "wieder mit ins Boot geholt" werden. Der konservative Politiker aus London will am Freitag Juncker ablehnen. Er verlangt auch eine förmliche Abstimmung in der Gipfelrunde. Das wäre ein Novum. Bisher wurde der Chef der EU-Behörde einvernehmlich nominiert.
Merkel kündigte vor dem Treffen ein "überzeugendes Paket aus inhaltlichen Prioritäten und ersten Personalentscheidungen" an. Alle Konsultationen sollten in einem "europäischen Geist" erfolgen, die Anliegen aller Mitgliedstaaten würden ernst genommen.
Die CDU-Chefin bekräftigte, dass die Bundesregierung Juncker als Kandidaten der konservativen Parteien unterstützen werde. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte: "Niemand will, dass Großbritannien die EU verlässt. Aber es kann auch kein Vetorecht gegen erfolgreiche Spitzenkandidaten geben."
Nach Angaben der Zeitung "Die Welt" haben die sozialistischen und sozialdemokratischen Regierungschefs auf schnelle Personalbeschlüsse und ein Gesamtpaket gedrungen. Als EU-Ratspräsidentin sei die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Dänemarks, Helle Thorning-Schmidt, vorgesehen. Der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos solle neuer Chef der Eurogruppe werden. Er wäre dann Nachfolger des Niederländers Jeroen Dijsselbloem. Der SPD-Politiker Martin Schulz soll EU-Parlamentspräsident werden.
Mit Blick auf die Debatte über den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt sagte Merkel, dieser biete hervorragende Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung. Er enthalte Leitplanken und Grenzen, aber auch eine Vielzahl flexibler Instrumente: "Beides müssen wir nutzen." In der EU fordern etwa Frankreich und Italien stärkere Wachstumsimpulse.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte mit Blick auf den Stabilitätspakt: "Ich habe keine Regierung gesehen, die vorgeschlagen hat, die Regeln zu ändern." Die Kommission als Hüterin der gemeinsamen Währung wende die Regeln bereits flexibel an - so habe sie Defizitsündern bereits mehr Zeit zum Sparen eingeräumt.
Die Bundesregierung rechnet beim EU-Gipfel nicht mit einer kontroversen Debatte über den Stabilitätspakt. "Die Regeln als solche stellt niemand infrage", hieß es aus Regierungskreisen. Das gelte auch für den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Neben Italien hatten auch Frankreich und andere sozialdemokratisch regierte Länder mehr Wachstumsimpulse und eine Lockerung der Sparauflagen gefordert.
Der Gipfel wird am Donnerstag mit einer Gedenkfeier im flämischen Ypern beginnen. Anlass ist der Beginn des Ersten Weltkriegs vor einhundert Jahren. Am Freitag werden die Staatenlenker die Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine, Georgien und Moldau unterzeichnen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird in Brüssel sein und mit den "Chefs" über die Lage in seinem Land sprechen. Beim Gipfel geht es auch um die Frage, ob Sanktionen gegen Russland verschärft werden sollen - Diplomaten halten dies im Moment für unwahrscheinlich.