Der Bulle, der Bubi und der Alte

Die Spitzenkandidaten von CDU, Grünen und SPD sind grundverschieden, aber es gibt erstaunliche Berührungspunkte.
von  Matthias Maus

Die Spitzenkandidaten von CDU, Grünen und SPD sind grundverschieden, aber es gibt erstaunliche Berührungspunkte.

Stuttgart
- Schicksalswahl, Wasserscheide, Zeitenwende. Es geht um viel am Sonntag in Baden-Württemberg – und es geht um drei Männer, die zur Sensation, zur tragischen Figur oder zum Überraschungssieger werden könnten: Stefan Mappus, der Ministerpräsident, Nils Schmid, der „Nobody” von der SPD, und Winfried Kretschmann, der älteste Kandidat in der jüngsten Partei. Der Lehrer hat beste Chancen, zum ersten grünen Regierungschef eines Flächenlandes zu werden.

Am meisten zu verlieren hat Stefan Mappus . Der 44-jährige Amtsinhaber wirkt nicht nur massig, wie ein Bulle stürmte der CDU-Mann durch die konservativen Institutionen. Zwar hat er einen ruhenden Vertrag als Vertriebler bei Siemens, aber für den Mann aus Pforzheim gab es nie anderes als Politik. JU seit 83, mit 23 in den Landtag, zwei Jahre später Staatssekretär, dann Umweltminister. 2005 gewann der Pforzheimer die Kampfabstimmung um den CDU-Fraktionsvorsitz. Und als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2009 ihren Widersacher Günther Oettinger erfolgreich nach Brüssel weggemobbt hatte, da zögerte Mappus keine Sekunde. Er wollte den Job und bekam ihn.

Sorgsam hat er sein konservatives Profil gepflegt. Dazu gehört klarer Kurs pro Stuttgart 21 und glühendes Bekenntnis zur Kernkraft. Die Geschichte zeigt: Der Vater zweier Söhne hat keine Fortüne mit seinen Themen. Als die Geißler-Schlichtung die Brisanz aus der Bahnhofs-Geschichte genommen hatte, flog Fukushima in die Luft.

Mappus, der zuvor seinen CDU-Parteifreund und Umweltminister Norbert Röttgen wegen zu wenig Pro-Atom-Engagement gerüffelt hat, steht auf verlorenem Posten. Mappus könnte nach 58 Jahren die CDU-Herrschaft im Land verlieren. Der Super-Karrierist würde ins Bodenlose fallen. Fast verzweifelt sein letzter Auftritt im Landtag „Ich bin kein Atom-Ideologe.”
Von Winfried Kretschmann , dem 62-jährigen Spitzenkandidaten der Grünen, behauptet das niemand: Er will „den Turbo-Atomausstieg” und „die Wirtschaft auf Grün stellen”. Er sieht dabei aber aus wie ein katholischer Oberstudienrat. Und genau das ist er auch. Der Mitbegründer der Grünen gibt Bio und Chemie, und als ihm seine Grünen zu versponnen waren Anfang der 90er, da ging er wieder ins Sigmaringer Klassenzimmer. Doch der ehemalige Ministerialrat in Joschka Fischers hessischem Umweltministerium kam 1996 zurück in die Politik. Seitdem schneiden die Grünen konstant gut ab im „Ländle”. „Kretschs” Grüne haben keine Berührungsangst mit dem Bürgertum, mit Oettinger plante er 2006 Schwarz-Grün, ein gewisser Stefan Mappus torpedierte das. Das Projekt hat sich mit der schwarzen Atomwende erledigt, sagt Kretschmann: „Wir gehen doch nicht den gefährlichen Weg rückwärts!”

Die politische Entfremdung geht nicht ins Persönliche: „Ich bin mit dem halben Kabinett per Du”, sagt Kretschmann, das schließt Mappus und die CDU-Vize Annette Schavan mit ein. Der Respekt beruht auf Gegenseitigkeit, das Bodenständige kommt an. Wenngleich auch graue Studienräte träumen: „Wir bleiben auf dem Teppich”, pflegt Kretschmann angesichts blühender Umfragewerte zu sagen: „Aber der fliegt.”

38 Prozent CDU, 24 Prozent für die Grünen, genau soviel für die SPD prophezeien die letzten Umfragen: Könnte also sein, das ein 37-jähriger lachender Dritter und Ministerpräsident wird.
Nils Schmid , Dr. jur. ist der Frontmann der SPD: „Der sieht auf den Plakaten bescheuert aus”, sagt eine Genossin über das Bubi-Foto: „In Natur ist er viel lockerer.” Entertainer ist der gebürtige Nürtinger keiner, das weiß er selbst, Zu Weihnachten verschenkt er Rauchmelder: „Die Schwiegereltern Freude sich.” Die sind Türken, „und wegen der Enkel im Land geblieben”, sagt Schmid.

Gerade sucht er eine Wohnung – „ohne Garten, ich bin Geistesarbeiter”. Seine Trockenheit lappt ins Selbstironische, die SPD könnte mit dem unbekannten Herrn Schmid ein Überraschungs-Ass im Ärmel haben. Schmid will am liebsten Rot-Grün, oder Grün-Rot, aber auch Schwarz-Rot hat er nicht ausgeschlossen. Für die Südwest-SPD wäre das ein Comeback sondergleichen. Bei den letzten Wahlen gab’s 19,3 Prozent: „Und auch die vermutlich nur aus Mitleid”, sagt Schmid. 

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