Das Renten- Dilemma
Augen zu und durch: Nach diesem Motto hat das Kabinett die Rentenerhöhung formell beschlossen. Milliardensummen sollen nun ausgegeben werden, aber beim Einzelnen kommt davon fast nichts an. Zwei fatale Wahrheiten und die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
BERLIN Wahrheit A: Die Rentenerhöhung ist viel zu niedrig, weil die paar Euro nicht mal die Inflation ausgleichen – bittere reale Kaufkraftverluste für Menschen, die jahrzehntelang eingezahlt haben. Wahrheit B: Die Rentenerhöhung ist viel zu hoch, weil sie Milliarden verschlingt, für die Arbeitnehmer und Arbeitslose aufkommen müssen – während sie selbst im Alter noch viel schlechter dastehen werden. Das Fatale: Beide Wahrheiten stimmen. Das ist das große Renten-Dilemma. Es werden Milliardensummen ausgegeben, beim Einzelnen kommt zu wenig an. Aber Augen zu und durch: Nach diesem Motto hat das Kabinett die Rentenerhöhung am Dienstag formell beschlossen.
Was kommt?
Die 20 Millionen Rentner bekommen zum 1. Juli 1,1 Prozent mehr. Das sind 0,64 Prozentpunkte mehr, als es nach der gesetzlichen Rentenformel wären. In Zahlen: Der so genannte Eckrentner (der 45 Jahre lang den Durchschnittssatz eingezahlt hat), bekommt dann 13,05 Euro im Monat mehr statt 5,44 Euro.
Was kostet das und wer zahlt?
Das außerplanmäßige Plus kostet bis 2011 rund zwölf Milliarden Euro. Zur Hälfte sollen die Kosten aus der allgemeinen Staatskasse finanziert werden – was den Finanzminister und den Bund der Steuerzahler aufschreien lässt. Die andere Hälfte muss das Sozialministerium bezahlen. Das trifft drei Gruppen: Erstens die Hartz-IV-Empfänger (der zweite große Ausgabenblock des Ministeriums). Bei ihnen muss nun gekürzt werden, sagt die CDU. Zweitens die Rentner selber, weil das Sonderplus zum Teil durch extra niedrige Anhebungen nach der Wahl ausgeglichen wird. Und drittens vor allem die heutigen Arbeitnehmer, weil geplante Beitragssenkungen ausfallen oder verschoben werden. Einige Experten befürchten sogar Beitragssteigerungen, was Jobs kosten würde. Apropos Kosten: Viele Rentner argumentieren, dass immer wieder Geld aus der Rentenkasse für andere Zwecke verwendet wird. Das stimmt – jedoch fließt deutlich mehr anderes Geld (rund 80 Milliarden Euro aus dem Haushalt) in die Rentenkasse als umgekehrt.
Was sagen die Rentner?
Sie finden die Erhöhung immer noch deutlich zu niedrig. „Unerträglich“ niedrig, sagt VdK-Chef Walter Hirrlinger. Denn die Inflation liegt bei 3,1 Prozent, das ist fast dreimal soviel. Und der Preisauftrieb ist für Rentner sogar noch schlimmer, weil sie einen hohen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen: Ihre Inflationsrate liegt sogar bei rund sechs Prozent. Dazu kommen die höheren Pflegebeiträge ab Juli (plus 0,25 Prozent). Bei den Bürgern finden 52 Prozent die Erhöhung zu niedrig, unter den Rentnern sogar 68 Prozent.
Was sagen die Jungen?
„Das Wahlgeschenk an die Rentner kostet die Jungen lang- und mittelfristig viel Geld“, erklärte Jens Spahn (27) von der CDU – und steckte so viel Prügel ein, dass er sich nun nicht mehr äußern will. Die Senioren-Union versucht, ihn aus dem Bundestag zu drängen und seine Wiederwahl zu verhindern. Experten verweisen darauf, dass die heutige Rentnergeneration finanziell so gut dasteht wie keine vor ihr und keine nach ihr. Das mag im Einzelfall wie Hohn klingen, und „im Vergleich gut“ heißt nicht „toll“: Aber von den über 64-Jährigen leben zwei Prozent von der Grundsicherung (das Pendant zu Hartz IV), bei der übrigen Bevölkerung sind es 13 Prozent.
Was sagt die Politik?
Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte ein, dass es sich bei der Erhöhung „nicht gerade um ein ordnungspolitisches Meisterwerk“ handele. Im übrigen rüffelte sie den zuständigen Minister Olaf Scholz massiv: Dass die Wohltat öffentlich so schlecht ankäme, sei seine Schuld. „Das war ein kommunikatives Desaster.“
Anja Timmermann
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