Der Neue aus Deutschland will Europa vorantreiben

Beschwingt von einem erfolgreichen Nato-Gipfel kehrt der Kanzler an den Ort zurück, an dem seine politische Karriere begann. Für die Europapolitik der nächsten Jahre hat er sich einiges vorgenommen.
von  Michael Fischer, Ansgar Haase, Katharina Redanz und Stella Venohr, dpa
Merz kehrt beim Gipfel wieder auf die EU-Bühne zurück.
Merz kehrt beim Gipfel wieder auf die EU-Bühne zurück. © Omar Havana/AP/dpa

Bundeskanzler Friedrich Merz will Deutschland wieder zu einer treibenden Kraft in der EU machen. Er wolle seinen "persönlichen Beitrag dazu leisten, dass Europa erfolgreich in die nächsten Jahre geht", sagte der CDU-Vorsitzende zum Auftakt seiner Gipfelpremiere in Brüssel, bei der mit den Sanktionen gegen Russland, dem Umgang mit Israel und dem Zollstreit mit den USA eine ganze Reihe schwieriger Themen anstehen. "Europa steht vor entscheidenden Wochen und Monaten", sagte Merz. 

Rückkehr nach Brüssel: Merz ist eingefleischter Europäer

Für ihn markiert der Gipfel eine Rückkehr auf die europapolitische Bühne. Merz hatte seine politische Karriere als Mitglied des Europäischen Parlaments begonnen, dem er von 1989 bis 1994 angehörte. Als Oppositionsführer attackierte Merz seinen Vorgänger Olaf Scholz (SPD) mehrfach für sein Agieren in Brüssel. 

"Man muss es leider so sagen: Die Mehrzahl der europäischen Staats- und Regierungschefs hat einfach keine Lust mehr, den deutschen Bundeskanzler zu treffen, der entweder stundenlang schweigend dasitzt oder belehrend die Welt erklärt", schrieb er vergangenen Dezember in seinem Newsletter.

Merz will einiges anders machen und Deutschland wieder in eine echte Führungsrolle in Europa bringen. "Deutschland wird Initiativen ergreifen, um die europäische Idee der Freiheit und des Friedens neu zu beleben, damit Europa seinem Anspruch und seiner Bedeutung in der Welt gerecht wird", versprach er nach seinem Amtsantritt in seiner Regierungserklärung. 

Folgende Themen könnten dabei eine Rolle spielen:

Migration: Treffen mit Hardlinern als erstes Zeichen

Noch vor dem offiziellen Beginn des Gipfels setzte Merz ein erstes Zeichen, indem er sich mit Hardlinern in Bezug auf EU-Migrationspolitik traf – einer Gruppe von EU-Ländern, die von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und dem niederländischen Regierungschef Dick Schoof angeführt wird. Bei dem Treffen ging es etwa darum, Rückführungen zu erleichtern.

Deutschland hatte Mitte September 2024 an allen deutschen Außengrenzen Grenzkontrollen wieder eingeführt und dies mit dem Kampf gegen illegale Migration begründet. Im Mai wurden die Kontrollen unter der neuen Bundesregierung verstärkt und Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze angeordnet – zum Ärger von Nachbarländern wie Polen und Luxemburg.

Merz kompromisslos beim Umgang mit Israel

Starken Gegenwind bekam Merz bei seinem ersten Gipfel beim Thema Israel zu spüren. So warf Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez ihm wegen seiner Ablehnung von Strafmaßnahmen gegen das Land indirekt Doppelstandards vor. Es ergebe keinen Sinn, dass man 18 Sanktionspakete gegen Russland verabschiede und dann nicht in der Lage sei, in Reaktion auf eklatante Menschenrechtsverletzungen im Gazastreifen ein Partnerschaftsabkommen mit Israel auszusetzen, kritisierte Sánchez. Gegnern eines solchen Schrittes warf er vor, mit "zweierlei Maß" zu messen.

Die Frage, wie die EU auf Israels Gaza-Politik reagieren soll, entzweit die Mitgliedstaaten seit Monaten. Seit dieser Woche gibt es allerdings neue Diskussionen über mögliche Konsequenzen. Grund ist ein EU-Prüfbericht, nach dem Israel mit seinem Vorgehen in dem Küstenstreifen gegen festgelegte Grundsätze für eine enge Zusammenarbeit mit der Staatengemeinschaft verstößt. 

Merz lehnt die von Spanien und anderen Ländern geforderten Konsequenzen allerdings strikt ab. "Ein Außerkraftsetzen oder gar eine Kündigung dieses Abkommens kommt mit der Bundesregierung nicht infrage", sagte er zuletzt.

Zollstreit-Kurs als Lackmustest?

Die erste richtig große Bewährungsprobe könnte für Merz der andauernde Zollstreit mit den USA werden. Auf EU-Ebene geht es derzeit darum, die Reihen geschlossen zu halten –trotz zum Teil sehr unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen. Beim Gipfel sollte am späten Donnerstagabend über das Thema gesprochen werden. 

Nach derzeitigem Stand werden neue hohe US-Zölle auf fast alle Exporte aus der EU in die Vereinigten Staaten greifen, wenn bis zum 9. Juli keine Einigung im Handelsstreit erzielt wurde. Die EU würde ihrerseits mit Zöllen auf Einfuhren aus den USA antworten. 

Mehr Druck auf Russland

Wirtschaftlicher Druck ist aus Sicht von Merz das derzeit beste Mittel, um Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu Verhandlungen über ein Ende des Angriffskrieges gegen die Ukraine zu bewegen. Dafür kämpft er seit seiner Kiew-Reise zu Beginn seiner Amtszeit im Mai. 

Freuen konnte ihn deswegen, dass beim Gipfel ein neues Paket mit Russland-Sanktionen beschlossen werden soll. Es wird den Planungen zufolge unter anderem den russischen Finanz- und Energiesektor treffen. 

Guter Draht zu Macron besonders wichtig

Vor allem wird es für Merz darauf ankommen, das er sich gut in die Gruppe der Staats- und Regierungschefs einfügt, die er alle schon kennengelernt hat. Besonders wichtig für ihn: Ein guter Draht zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den sein Vorgänger Scholz nie gefunden hat. Merz will einen "Neustart" in den deutsch-französischen Beziehungen – auch um ganz Europa voranzubringen.

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