Berlin wendet Blutrache gegen Kundus-Truppe ab
Kabul/Berlin (dpa) - Zum Schutz der Bundeswehr vor Blutrache nach der Tötung afghanischer Zivilisten hat sich die Bundesregierung bei den Angehörigen entschuldigt und ihnen Geld gezahlt.
Zugleich warnte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) nach Gesprächen am Mittwoch in Kabul vor Forderungen zum Abzug der deutschen Soldaten wegen der sich verschärfenden Gefahrenlage. Damit betrieben Kritiker des Einsatzes das Geschäft der Taliban und gefährdeten die Bundeswehr zusätzlich. Jung traf sich mit Präsident Hamid Karsai, dem UN-Sondergesandten Kai Eide und dem ISAF-Kommandeur David McKiernan. In Berlin wurde darüber gestritten, ob die deutschen Soldaten mit der Schutztruppe ISAF im «Kriegs»- oder «Krisen»-Einsatz seien.
Jung zufolge drohen der Bundeswehr vor der im Oktober geplanten Mandatsverlängerung weitere Anschläge in Afghanistan. Die Taliban hätten die Diskussion in Deutschland über die Verlängerung des ISAF- Einsatzes registriert und «gezielt die Bundeswehr als Anschlagsziel ausgesucht», um die Entscheidung zu beeinflussen. Wer nun den Abzug fordere, betreibe das Geschäft jener, «die letztlich unsere Soldaten gefährden». Ex-Generalinspekteur Harald Kujat sagte dagegen dem Bonner «General-Anzeiger» (Donnerstag), es sei vorhersehbar gewesen, dass die Taliban unter dem Druck der Kämpfe gegen die NATO im Süden auch auf die Nordprovinzen ausweichen würden. Der Linke-Politiker Paul Schäfer sagte, die Lage in Afghanistan verschärfe sich, weil Bundesregierung und NATO nur auf militärische Lösungen setzten.
CSU-Chef Erwin Huber räumte ein: «Natürlich haben wir es als Politiker zu akzeptieren, dass kritische Fragen gestellt werden.» Afghanistan sei aber noch nicht in der Lage, selbst für Sicherheit zu sorgen. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck (SPD) sagte, Deutschland bemühe sich, «dass Stabilität in Afghanistan einkehrt».
In der vorigen Woche war ein Hauptfeldwebel bei einem Anschlag getötet worden. Einen Tag später schossen Bundeswehrsoldaten versehentlich auf Zivilisten. Eine Frau und zwei Kinder starben. Jung sagte, Karsai sei dankbar für die Entschuldigung gewesen und habe sie als wichtiges Signal an die betroffenen Familien gewertet. Bislang hatte es keine offizielle Erklärung gegeben, dass die Bundesregierung die Verantwortung für den Tod der Zivilisten eindeutig bei den deutschen Soldaten sieht, die gemeinsam mit afghanischen Polizisten an dem Checkpoint standen. Jung sprach von einem Unfall.
In Berlin teilte das Verteidigungsministerium mit, den Hinterbliebenen sei unter Vermittlung eines paschtunischen Stammesführers ein «Kompensationsgeld» gezahlt worden, um die von der Familie zuvor geschworene Blutrache zu verhindern. Ein Bruder der getöteten Frau habe danach eine «Verzeihung» ausgesprochen. Nach den Gepflogenheiten des Landes sei damit eine Blutrache ausgeschlossen. Die Zahlung, zu deren Höhe nichts gesagt wurde, sei aber kein Eingeständnis, dass den deutschen Soldaten ein Vorwurf gemacht werden könne. Weil ein Wagen trotz Warnzeichen weiter auf die Straßensperre zugefahren sei, hätten sie einen weiteren Selbstmordanschlag befürchtet.
Der Bundeswehrverband warf der Regierung vor, mit «gestelzten Wendungen» die Wahrheit über den Einsatz zu verschleiern. «Wir befinden uns in einem Krieg gegen einen zu allem entschlossenen, fanatischen Gegner», sagte Verbandschef Bernhard Gertz der «Neuen Osnabrücker Zeitung». US-General David McKiernan sagte: «Ob es ein Krieg oder nicht ist, wir kämpfen gegen einen Aufstand.» Soldaten müssten sich verteidigen können, und das erfordere den Einsatz von Kampffertigkeiten. Jung meinte: «Ich verstehe unter Krieg etwas anderes. Natürlich gibt es hier terroristische Kräfte.»
Er berichtete, der UN-Sondergesandte Eide wünsche sich mehr internationale Unterstützung beim Wiederaufbau Afghanistans. Ferner habe sich Eide besorgt über die Situation an der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan geäußert. Auch Jung forderte die beiden Länder auf, «effektivere Grenzsicherung zu gewährleisten», um Rückzugsmöglichkeiten für die Taliban in den pakistanischen Stammesgebieten und Nachschub für Terroristen zu unterbinden. Die pakistanische Regierung müsse dafür sorgen, dass die Taliban sich nicht dorthin zurückziehen und Terroristen in Trainingscamps ausbilden könnten, die dann wieder nach Afghanistan einsickerten.