Abzug aus Incirlik: Truppenverlegung mit Tücken

Der Incirlik-Streit endet mit einem Abzug der Bundeswehr. Die Beziehungen zur Türkei sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Besserung ist nicht in Sicht.
von  Bernhard Junginger
Wird bald vom jordanischen Al-Asrak aus starten: ein Tornado der Bundeswehr in Incirlik.
Wird bald vom jordanischen Al-Asrak aus starten: ein Tornado der Bundeswehr in Incirlik. © Oliver Pieper/dpa

Mit dem bevorstehenden Abzug der deutschen Soldaten vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik erreichen die deutsch-türkischen Beziehungen einen neuen Tiefpunkt. Zum Eklat geführt hatte die Weigerung der türkischen Regierung, deutschen Bundestagsabgeordneten Besuche bei den im Rahmen der Koalition gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Incirlik stationierten Truppen zu erlauben. Außenminister Sigmar Gabriel hatte bei einem Besuch in Ankara keine Einigung über den Streitpunkt erzielen können.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum deutsch-türkischen Zerwürfnis:

Wie geht es nach der gescheiterten Türkei-Reise des Außenministers weiter? Bereits heute soll das Bundeskabinett die Verlegung der Truppen nach Jordanien beschließen. Auch die Zustimmung des Bundestags, der ab dem 19. Juni wieder tagt, gilt als sicher.

Was sind die Hintergründe des immer schärfer werdenden deutsch-türkischen Streits? Die Türkei wirft Deutschland generell mangelnde Unterstützung im Kampf gegen ihre "Feinde" vor. Dazu gehören Anhänger der kurdischen PKK oder der Gülen–Bewegung, die für den Putschversuch im Sommer 2016 verantwortlich gemacht wird. Deutschland gewähre Putschisten sogar noch Asyl, kritisiert Ankara. Mit dem Besuchsverbot sollte Druck auf Deutschland aufgebaut werden. Doch die Bundesrepublik will sich nicht erpressen lassen, verweist auf rechtsstaatliche Normen und das Prinzip der Parlamentsarmee: Abgeordnete müssten stets das Recht haben, die Truppen zu besuchen.

Geht eine Truppenverlegung nach Jordanien denn so einfach? Nein. Neben bis zu 280 Soldaten, sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug müssen rund 10.000 Tonnen Material nach Jordanien transportiert werden.

Leidet der Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) durch die Truppenverlegung? Das ist nicht ausgeschlossen. Wenn ein für die gesamte Anti-IS-Koalition wichtiger Truppenteil seinen Einsatz monatelang unterbrechen muss, kommt das der Terrormiliz sicher nicht ungelegen. Dem IS, der militärisch zuletzt immer stärker in die Defensive geraten war, droht derzeit der Verlust seiner einstigen Hochburgen Mossul und Al-Rakka.

Wie ist die Lage in Jordanien? Jordanien ist eine konstitutionelle Monarchie, der Islam Staatsreligion. In der weltweiten Demokratie-Rangliste (Stand 2015) liegt Jordanien mit Platz 120 noch hinter der Türkei (Platz 97). Auch Jordanien wird immer wieder von islamistischem Terror erschüttert. Außenpolitisch ist es aber seit Jahrzehnten am Westen orientiert. Für die USA zählt das Land zu den wichtigsten Verbündeten außerhalb der Nato.

Könnte der Zwist zwischen der Türkei und Deutschland die Nato schwächen? Das Verteidigungsbündnis steckt in der Krise, seit US-Präsident Trump die Nato als obsolet bezeichnete, Beistandsgarantien in Frage stellt und ein stärkeres finanzielles Engagement gerade Deutschlands einfordert.

Sicher ist: Ein Zwist unter Mitgliedern kommt zum denkbar schlechten Zeitpunkt. Die Türkei könnte sich zunehmend von der Nato entfremden, auch weil die USA im Kampf gegen den IS auf kurdische Truppen setzt – die für Ankara Terroristen sind.

Droht nun auch der Bruch des Flüchtlingspakts mit der Türkei? Wohl eher nicht – glaubt zumindest die deutsche Seite. Denn der sechs Milliarden schwere Flüchtlingsdeal mit der EU ist für die Türkei extrem lukrativ. Würde der türkische Recep Tayyip Erdogan diesen kündigen, entgingen der Türkei nicht nur beträchtliche Einnahmen. Er gäbe auch sein gewichtigstes Druckmittel aus der Hand und würde jede Wieder-Annäherung an Europa auf absehbare Zeit unmöglich machen.     Bernhard Junginger

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