Zweite Stammstrecke in München: Muss Markus Söder (CSU) vor Gericht?

Ein Anwalt sieht bei der Zweiten Stammstrecke in München Untreue durch Unterlassen bei der bayerischen Staatsregierung. Er hat Strafanzeige gestellt. Was das für die CSU-Größen Andreas Scheuer, Markus Söder und Florian Herrmann bedeutet.
von  Heidi Geyer
Der rote Sichtschutz der Baustelle am Marienhof. Bis zu kürzeren Fahrzeiten und besseren Kapazitäten wird es noch lange dauern.
Der rote Sichtschutz der Baustelle am Marienhof. Bis zu kürzeren Fahrzeiten und besseren Kapazitäten wird es noch lange dauern. © Foto: Peter Kneffel/dpa

München/Garching - Wann sie wohl wirklich fertig wird, die zweite S-Bahn-Röhre? Und was sie wirklich kostet? Sicher ist nur – bei diesem Projekt ist so viel schief gelaufen, wie nur schieflaufen kann.

2022 war bekanntgeworden, dass es nicht wie ursprünglich kalkuliert 3,85 Milliarden Euro kosten wird, sondern mindestens sieben Milliarden Euro. Hinzu kommen noch die Preissteigerungen nach dem Jahr 2021. Außerdem geht es für die Münchner Bevölkerung nicht schon in fünf Jahren auf das neue Gleis, sondern die Inbetriebnahme verzögert sich auf das Jahr 2037.

U-Ausschuss im Landtag zur Zweiten Stammstrecke: Staatregierung hat das Debakel vertuscht

Auf Betreiben der Opposition hat sich der Landtag in einem Untersuchungsausschuss mit der Thematik befasst. Schließlich kam das Debakel erst spät an die Öffentlichkeit – aus Sicht der Opposition zu spät. Grüne, SPD und FDP kommen zu dem Urteil, dass die Staatsregierung bewusst vertuscht habe. Für die CSU tragen die benachteiligten Politiker keine Schuld.

Das sieht der Anwalt Florian Hinz (35) aus Garching anders. Er hat am 6. August Strafanzeige gegen Ministerpräsident Markus Söder, den ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Staatsminister Florian Herrmann (alle CSU) wegen Untreue durch Unterlassen gestellt.

Florian Hinz
Florian Hinz © privat

"Nach meiner rechtlichen Prüfung bin ich dazu gekommen, dass in dem Vertuschen der Informationen über die Kostenexplosion im Jahr 2020 durch die drei Herren wesentliche haushaltsrechtliche Vorschriften verletzt wurden und so eine sogenannte Haushaltsuntreue verwirklicht wurde", sagt Hinz der AZ.

Zweite Stammstrecke in München: "Haushaltsrechtliche Vorschriften wurden verletzt"

In der Anzeige, die der AZ vorliegt, heißt es: "Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies, dass dem Haushaltsgeber all die Informationen umfassend zur Verfügung gestellt werden müssen, die es für eine sachgerechte Entscheidung mit Blick auf die Zweite Stammstrecke braucht." Das betreffe Angaben über Preis, preisbildende Faktoren und Bauzeit bei einem Bauprojekt. Eben jene Faktoren, bei denen die Bahn gemauert hatte – zumindest hatten viele Zeugen im Untersuchungsausschuss das so dargestellt.

"Ist die Entscheidung zum Bau schon gefallen, so muss folgerichtig auch die unverzügliche Informationspflicht umfasst sein, wenn sich in den genannten Faktoren bedeutende Änderungen ergeben", heißt es weiter. Nur dann könne der Haushaltsgeber als Kostenträger entscheiden, ob die schon getroffene Entscheidung zum Bau der Zweiten Stammstrecke bei Abwägung der Kosten gegen den Nutzen noch aufrecht erhalten werden kann.

Söder, Scheuer und Herrmann im Kreuzfeuer: "Haben seit 2020 Kenntnis von den Informationen"

Aus Sicht von Hinz ist eben das nicht erfüllt. "Die Beschuldigten haben ungefähr Mitte des Jahres 2020 Kenntnis von diesen maßgeblichen Informationen erlangt und deren Bedeutung erkannt", schreibt er in der Anzeige. Der Garchinger Anwalt ist eher zufällig auf das Thema gekommen.

"Man hat halt als Jurist manchmal ein Störgefühl, wenn man bestimmte Sachverhalte liest", erklärt Hinz seine Motivation. Medienberichte haben sein Interesse schließlich geweckt. Ein politisches Kalkül stecke nicht dahinter – Hinz sagt der AZ, er sei parteipolitisch nicht aktiv. Betroffen sei er lediglich als Nahverkehrsnutzer, auch einen persönlichen Vorteil ziehe er nicht.

Geraten wegen der Zweiten Stammstrecke unter Druck: Bayern Ministerpräsident Markus Söder (li.) und der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.
Geraten wegen der Zweiten Stammstrecke unter Druck: Bayern Ministerpräsident Markus Söder (li.) und der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. © dpa / Peter Kneffel

Warum er sich lieber stundenlang durch Akten wühlt statt am Starnberger See zu liegen? "Ich will den Sachverhalt aufklären!", sagt Hinz. "Wenn man was verbockt, dann muss man dafür gerade stehen." Irgendwann sei er an den Punkt gekommen, wo er es einfach habe ausprobieren wollen. Über mehrere Monate habe er als Hobby recherchiert, "aber nicht Vollzeit". Um persönliche Profilierung gehe es ihm nicht.

Zweite Stammstrecke: Grüne richten schwere Vorwürfe gegen Andreas Scheuer (CSU)

Bereits jetzt hat sich aus dem Untersuchungsausschuss eine Strafanzeige ergeben. Die Grünen werfen nämlich Scheuer vor, falsch ausgesagt zu haben. Er hatte angegeben, einen Brief der damaligen bayerischen Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr, Kerstin Schreyer aus dem Oktober 2020, in dem sie bereits auf "deutliche Verzögerungen bei der Realisierung der Zweiten Stammstrecke für die S-Bahn München" hingewiesen hatte, nie erhalten zu haben. Auch an ein Telefonat konnte er sich nicht erinnern.

Offen bleibt auch noch ein Vorgang aus der nicht-öffentlichen Zeugenaussage Söders. Denn im Gegensatz zu Scheuers Aussage soll es nach AZ-Informationen einen dokumentierten Termin zwischen Söder und Scheuer zur Zweiten Stammstrecke in der Staatskanzlei gegeben haben. Söder konnte sich an den Termin nicht erinnern. Scheuer hatte ausgesagt, lediglich "zwischen Tür und Angel" über das Thema gesprochen zu haben.

Klage gegen Markus Söder und Scheuer wegen der Stammstrecke? "Sehe keinen Ansatzpunkt"

Für den SPD-Landtagsabgeordnete und Haushaltspolitiker Harald Güller kommt es sehr darauf an, wie die Anzeige formuliert sei. "Per se sehe ich überhaupt keinen Ansatzpunkt", sagt der Sozialdemokrat im Gespräch mit der AZ. Hintergrund sei, dass für das Projekt in den einzelnen Haushaltsjahren nichts eingeplant wurde – "wir haben ja nur gegebenenfalls Verpflichtungsermächtigungen und Absichtsbekundungen".

Denn grundsätzlich können Zahlungsverpflichtungen des Landes nur für das laufende Haushaltsjahr eingegangen werden. Bei Projekten wie der Stammstrecke ist es jedoch so, dass bereits für künftige Jahre Zahlungsverpflichtungen einzugehen sind. Dazu werden Verpflichtungsermächtigungen beschlossen.

Welche Rolle spielt die Stammstrecke bei der Landtagswahl für Söder und die CSU?

Güller schätzt es jedoch derzeit so ein, dass man noch nicht an dem Punkt sei, wo die jetzigen eingegangenen Verpflichtungen höher seien, als das was der Landtag beschlossen habe. "Dass das Parlament getäuscht geworden ist, wurde im Minderheitenbericht (im U-Ausschuss, d. Red.) deutlich festgestellt", sagt Güller. Nur an den Tatbestand der Untreue glaubt er nicht. Andernfalls hätte die SPD schließlich selbst Strafanzeige gestellt.

Auch seitens der Grünen klingt die Rückmeldung zur Strafanzeige eher verhalten. Markus Büchler, Mitglied im U-Ausschuss, findet, dass die Milliarden an versenktem Steuergeld juristisch aufgearbeitet werden müssen. "Allerdings kann so ein Ermittlungsverfahren sehr lang dauern – die Menschen in Bayern können aber schon jetzt mit der Landtagswahl ein klares Signal an die CSU senden", so Büchler zur AZ. Stiller klingt es aus den Reihen der CSU: Sowohl Andreas Scheuer als auch die Staatsregierung wollten sich auf AZ-Anfrage nicht äußern.

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