Zehn Jahre nach Freilassung: Gustl Mollath will Deutschland verlassen
München - Wer in Bayern an Justizskandale denkt, kommt am Namen Gustl Mollath nicht vorbei. Der heute 67-Jährige saß 2.747 Tage zu Unrecht in der Psychiatrie – dafür bekam er 2019 eine sechsstellige Entschädigung zugesprochen. Vor zehn Jahren, im August 2013, kam er frei.
Gustl Mollath: Als psychisch krank abgestempelt
Zur Erinnerung: Er wollte Schwarzgeldgeschäfte der Bank, in der seine inzwischen verstorbene Frau arbeitete, aufdecken. Doch ihm glaubte niemand. Er wurde als psychisch krank abgestempelt. Erst viel später kam ans Licht: Mollath hatte die Wahrheit gesagt.
Die Bank, Behörden und diverse CSU-Politiker kamen gehörig unter Druck. Der Freistaat Bayern war zu zehn Prozent an der besagten Bank beteiligt. Das alles hat Mollath zusammen mit Autor Wilhelm Schlötterer im Jahr 2021 in seinem Buch "Staatsverbrechen – der Fall Mollath. Das vorsätzliche Verbrechen an Gustl Mollath zwischen Schwarzgeld-Millionen, Vertuschung und der Rolle der CSU" (FBV; 22,99 Euro) umfassend aufgearbeitet.
"Finnland ist nicht schlecht, auch Norwegen ist einen Blick wert"
Damals sagte Mollath der AZ im Interview: Er will weg aus Deutschland. Auswandern. Vielleicht nach Finnland. Was ist aus diesen Plänen geworden? Die AZ hat nachgefragt. "Im Moment bin ich noch in Deutschland", sagt Mollath nun der AZ.
"Es muss eine vernünftige Alternative sein. Noch vor Jahren hätte man gesagt: Italien ist doch so schön." Politisch kann er das jetzt nicht mehr unterschreiben. Er sagt: "Das ist nicht so einfach. Ich habe mir schon einiges angeschaut. Finnland ist nicht schlecht, auch Norwegen ist einen Blick wert."
Mollath über Söders TV-Auftritt: "Das motiviert natürlich bei der Suche"
Einen Seitenhieb gegen die CSU kann er sich nicht verkneifen. Letztens habe er den bayerischen Ministerpräsidenten in einer Talkshow im Fernsehen gesehen: "Das motiviert natürlich bei der Suche."
Für ihn ist ein wichtiger Punkt: wer maßgeblich die Geschicke im Land steuert. Und wieder kommt er auf die CSU und Markus Söder zurück. Der hatte zuletzt gesagt, sein Platz sei in Bayern und nicht in Berlin. Mollath kommentiert: "Die Aussage ist keinen Schuss Pulver wert. Er hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er seine Meinung um 180 Grad ändern kann."
Freilassung bedeutete für Gustl Mollath keine Gerechtigkeit
Mollath lebt in Norddeutschland, er verfolgt dennoch auch zwei Justizskandale in Bayern, die gerade Schlagzeilen machen: den Badewannen-Mord vom Tegernsee (das Verfahren um den verurteilten Hausmeister wird wieder aufgerollt) und den Münchner Parkhaus-Mord.
Benedikt "Bence" Toth sei nun zwar zumindest raus aus dem Gefängnis, "aber das ist ja noch lange keine Gerechtigkeit". Selbst für Laien ergäben sich in dem Fall große Fragezeichen bei der vermeintlichen Beweislage. Und Mollath weiß aus eigener Erfahrung, wie lange es bis zu einer vollständigen Aufklärung dauern kann. 2006 wurde er in die Psychiatrie eingewiesen, 2013 freigelassen, 2014 freigesprochen - und erst 2019 bekam er seine Entschädigung vom Freistaat.
Mollath beunruhigt über Klimawandel und Rechtsruck
Der 67-Jährige schaut mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: "Man kann nicht beruhigt leben angesichts der Rahmenbedingungen, die wir haben und zu erwarten haben." Stichwort: Klimawandel. "Eine Katastrophe!"
Genauso beunruhigt ihn der Rechtsruck. Oder auch die Putinversteher in Deutschland, die "galoppierende Inflation" – und dann auch wieder Themen wie der U-Ausschuss zum Zukunftsmuseum in Nürnberg (seine Heimatstadt). "Das ist so unglaublich."