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Parkhaus-Mord an Charlotte Böhringer: Verurteilter Neffe nach 17 Jahren frei

Der Parkhausmord an der Millionärin Charlotte Böhringer (†59) ist vielen Münchnern noch immer im Gedächtnis. Sie wurde 2006 brutal erschlagen. Jetzt, nach fast 17 Jahren, ist der verurteilte Mörder aus der JVA Straubing entlassen worden.
Natalie Kettinger,
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In ihrem Loft im Parkhaus wurde Charlotte Böhringer getötet.
In ihrem Loft im Parkhaus wurde Charlotte Böhringer getötet. © Archiv

München - Die AZ berichtete am Montagmorgen exklusiv über die Freilassung von Benedikt "Bence" Toth. Nach fast 17 Jahren im Knast ist er wieder ein freier Mann. Er ist aus der JVA Straubing entlassen worden. Seit 2008 saß er nach einem Indizien-Urteil hinter Gittern. Toth beteuert bis heute seine Unschuld.

Mord in Wohnung über Parkhaus am Isartor in München

Dieser Kriminalfall gehört zu den spektakulärsten der jüngeren Münchner Geschichte: Am frühen Abend des 15. Mai 2006 wird die Millionen-Erbin Charlotte Böhringer im Penthouse über ihrer Parkgarage an der Baaderstraße ermordet. Mindestens 24 Mal schlägt der Täter mit einem stumpfen Gegenstand auf die 59-Jährige ein. Sie stirbt an ihren schweren Schädel-Hirn-Verletzungen und dem enormen Blutverlust.

Nur drei Tage später präsentiert die Polizei einen Tatverdächtigen: Benedikt "Bence" Toth (damals 31), Böhringers Lieblingsneffen. Am 12. August 2008 verurteilt ihn das Landgericht München 1 in einem langwierigen, hochumstrittenen Indizienprozess zu lebenslanger Haft wegen Mordes und stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest.

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Neffe von Charlotte Böhringer: Bence Toth aus Gefängnis entlassen

Seit Montag ist Benedikt Toth, der stets seine Unschuld beteuert hat, wieder frei. Am frühen Morgen durfte er die Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing verlassen, in der er einen Großteil der Gefängniszeit verbracht hat. Er wurde von seinen Eltern abgeholt. "A Gaudi war’s ned", sagt Toth der AZ über die fast 17 Jahre in Untersuchungshaft und Strafvollzug.

Der Angeklagte Benedict T. sitzt am 12. August 2008 im Schwurgericht München im Sitzungssaal. (Archivbild)
Der Angeklagte Benedict T. sitzt am 12. August 2008 im Schwurgericht München im Sitzungssaal. (Archivbild) © Tobias Hase/dpa

Die besondere Schwere der Schuld hatte eine Freilassung nach den bei "Lebenslang" üblichen 15 Jahren unmöglich gemacht. "Die Strafvollstreckungskammer Straubing hat die Mindestverbüßungsdauer 2021 auf 17 Jahre festgelegt", so Toths Anwalt, der Münchner Strafverteidiger Peter Witting, zur AZ. Vorausgegangen sei ein ein psychologisches Sachverständigengutachten mit günstiger Kriminalprognose. Vor diesem Hintergrund habe die Strafvollstreckungskammer die weitere Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Darum ist Benedikt Toth frei

Eigentlich wäre die Mindestverbüßungsdauer erst am 17. Mai erreicht gewesen. Über seine Arbeitstätigkeit in der JVA – unter anderem in der Gefängnis-Bibliothek – habe Benedikt Toth jedoch sogenannte Freistellungstage erworben, die ihm gutgeschrieben wurden, erläutert der Jurist.

Dem 48-Jährigen werde nun eine Bewährungshelferin zur Seite gestellt. Während der Haft habe er eine Zusatzausbildung im kaufmännischen Bereich gemacht, in dem er jetzt arbeiten wolle. "Er wird versuchen, nun in Freiheit wieder Fuß zu fassen", sagt Witting.

Bruder von Toth: "Haben es hier mit einem Justiz-Skandal zu tun"

Toths Angehörige und viele Freunde hatten all die Jahre zu ihm gehalten. "Wir haben es hier mit einem Justiz-Skandal zu tun", sagte Bruder Mate einmal im AZ-Interview. "Es ist eine Tragödie", sagte Vater Bence Toth. "Tatsächlich gibt es keinerlei belastbare Beweise dafür, dass er seine Tante getötet hat", sagt Verteidiger Witting. Er hatte den Ermittlern, insbesondere dem mittlerweile verstorbenen Chef der Münchner Mordkommission Josef Wilfling, von Anfang an vorgeworfen, sich zu schnell auf Benedikt Toth als Täter festgelegt und andere Spuren links liegen gelassen zu haben.

Indizienprozess nach Mord an Charlotte Böhringer

Zeugen für den Mord an Charlotte Böhringer gab es nicht. Die Tatwaffe ist bis heute nicht gefunden. Und Toths vermeintliches Motiv (aus Angst enterbt zu werden, habe er der Tante verheimlicht, dass er sein Jura-Studium abgebrochen hatte) wurde vom Steuerberater der reichen Society-Lady bereits in der Hauptverhandlung erschüttert.

Dennoch schmiedete die 1. Strafkammer des Landgerichts München I unter Richter Manfred Götzl – später Vorsitzender im NSU-Prozess – eine Kette aus 14 Indizien, die sich wie ein "Ring" um den Angeklagten schlössen, wie es in der Urteilsbegründung heißt.

Bemerkenswert ist ein Satz, der weiter unten folgt: "Die Kammer ist sich bewusst, dass es sich dabei nicht um einen zwingenden Schluss handelt". Zur Höchststrafe verurteilt wurde Benedikt Toth trotzdem.

Anwalt wollte stets Wiederaufnahme des Verfahrens 

Seither versucht Anwalt Witting, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Zwei Anträge scheiterten, ein dritter wird derzeit von der Augsburger Staatsanwaltschaft geprüft. Die Falschaussage einer Freundin der reichen Erbin und ein geplatztes Alibi sind die Haupt-Argumente, die Witting diesmal ins Feld führt: Ein neuer Zeuge gibt an, ein Böhringer-Bekannter, dessen Sohn von der Millionärin bedacht worden war, sei am Tat-Nachmittag deutlich kürzer in der Sauna gewesen, als behauptet.

Nicht nur juristisch, auch gesellschaftlich regte sich Gegenwind: Zwei Unterstützerkreise – zu einem gehören Prominente wie der Münchner Alt-OB Christian Ude und die Autorin Amelie Fried – tragen ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils immer wieder medienwirksam in die Öffentlichkeit.

Der Antrag auf Wiederaufnahme laufe weiter, auch wenn Benedikt Toth nun aus der Haft entlassen worden ist, sagt Peter Witting. "Es bleibt unser Ziel, dieses Urteil, für das er 17 Jahre im Gefängnis war, zu Fall zubringen."

Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, sei allerdings unklar. "Es gibt dafür keinen festgesetzten Zeitrahmen. Beim ersten Mal hat es über zwei Jahre gedauert", so der Jurist. Im Idealfall würde das Verfahren dann erneut stattfinden – "und bei einem Freispruch müsste Benedikt Toth selbstverständlich entschädigt werden". Witting weiter: "Die Vorstellung, dass jemand für eine derart lange Zeit unschuldig in Haft sitzt, ist einfach unerträglich."


Wie Sky Deutschland am Montag mitteilte, wird über den Fall aktuell eine Dokuserie unter dem Arbeitstitel "Der Parkhausmord" gedreht. Produziert von der BAvaria Fiction soll es exklusive neue Interviews, unter anderem mit Bence T. geben. Die Ausstrahlung ist für 2024 auf Sky und WOW geplant. 

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22 Kommentare
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  • Mallory am 25.04.2023 17:32 Uhr / Bewertung:

    Na klar .... alles ein riesiger Justizskandal. Der Verdächtige wurde ohne irgendwelche Beweise/Indizien vom Richter aus Lust und Laune zu Lebenslänglich verurteilt und weil dem Richter gerade danach war, hat er auch noch die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Und weil die Richter am Bundesgerichtshof auch so viel Arbeit hatten, haben sie das Urteil im Revisionsverfahren gleich durchgewinkt.
    Glaubt der verurteilte Mörder wirklich, dass in einem Wiederaufnahmeverfahren die juristisch ausführlichst begründeten Urteile des Landgerichts und Bundesgerichtshofs aufgehoben werden?
    Vielleicht erklärt der Mörder mal, wie ein mit Blut der Ermordeten befleckter Geldschein in seine Brieftasche kommt?

  • Ironü am 24.04.2023 18:34 Uhr / Bewertung:

    Der/Die Gewinner dieser Geschichte sind wie immer: die Anwälte. €€€

  • Witwe Bolte am 24.04.2023 15:29 Uhr / Bewertung:

    Das Erbe von der schwerreichen Ermordeten hat vermutlich ihre Schwester (die Mutter des Verurteilten) geerbt - einen zweistelliger Millionenbetrag.
    Davon war ein nicht unerheblicher Teil als Erbschaftsteuer fällig. Es ist jedenfalls genug Geld da, um mit den besten Anwälten ein neues Wiederaufnahmeverfahren in die Wege zu leiten. Im günstigsten Fall gibts zusätzlich noch eine Haftentschädigung.
    Ein Trostpflaster für die lange Haftzeit ist jedenfalls, dass die Familie für den Rest ihres Lebens finanziell ausgesorgt hat.

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