Was eine Münchner Helferin in Kiew erlebt hat: "Die Dunkelheit ist bedrückend"
Sibylle von Tiedemann hat sich auf den Weg nach Kiew gemacht. Die Historikerin und Slawistin hat unter anderem die Organisation Munich Kyiv Queer mitgegründet und steht in regem Austausch mit der Münchner Partnerstadt.
Was sie auf ihrer viertägigen Zugreise und in der ukrainischen Hauptstadt gerade erlebt und warum sie über vier Kilo Weihnachtsplätzchen im Gepäck hatte, schreibt sie in unregelmäßigen Abständen in einem Internet-Tagebuch.

"Die Entwicklung in Russland fand ich unheimlich"
Die AZ hat sich per Video mit ihr unterhalten und gefragt, warum sie überhaupt in das Kriegsgebiet gereist ist. "Zum Ersten bin ich Slawistin. Russland ist schon seit vielen Jahren für mich verloren, weil ich die Entwicklung dort unheimlich fand." Jetzt ist da die Angst, auch die Ukraine zu verlieren. Sie wollte zu ihren Freunden fahren und sie in die Arme nehmen, und zwar nicht erst, wenn der Krieg vorbei ist. Über Munich Kyiv Queer hat sie viele Einheimische kennengelernt, mit denen sie seit Jahren in Kontakt steht.
"Damit das Ganze auch einen übergeordneten Sinn hat, möchte ich auch Geld sammeln, um die Menschen vor Ort zu unterstützen." Zwar hätten viele Deutsche bereits großzügig gespendet, aber die Spenden von April oder Mai sind längst aufgebraucht. "Ich war schockiert, wie unglaublich teuer das Leben und auch die Lebensmittel in der Ukraine geworden sind", erzählt Tiedemann.

Alles, was man gerade dringend braucht, etwa Powerbanks oder Batterien, gibt es nicht "und wenn, dann zu verrückten Preisen".
Manchmal gibt es 24 Stunden lang keinen Strom
Stromausfälle sind in der Ukraine an der Tagesordnung. Wer dann kein Ladegerät hat, ist von der Außenwelt abgeschnitten: "Das kann man sich in einer Stadt wie München gar nicht vorstellen." Sie selbst ist gleich zu Beginn ihres Besuchs in Kiew mitten in einem Supermarkt von einem Stromausfall überrascht worden.

Da gehen dann die Lichter aus und man muss sich mit seinem Smartphone selbst leuchten. "Überhaupt ist die Dunkelheit in der Stadt sehr bedrückend", so von Tiedemann. Es komme schon mal vor, dass es 24 Stunden keinen Strom gibt. "Da ist die Wohnung finster. Wenn man dann keine Geräte hat, ist das schlimm."
Strom wird gespart, wo es nur geht. An Weihnachtsbeleuchtung oder Ähnliches ist nicht zu denken. "Zum Glück haben in Kiew die meisten Menschen noch Gasherde", so Tiedemann. Ansonsten könnten sie sich nicht einmal etwas Warmes zu essen kochen. In dieser Hinsicht wären permanente Stromausfälle eine Katastrophe für die meisten Münchner.
Banksy und ein Luftalarm
Um den Kiewern nicht nur mit praktischen Dingen, wie Ladegeräten und Wärmflaschen, eine Freude zu machen, hat Tiedemann auch die Mühen auf sich genommen und die vielen Plätzchen, die die Münchner in den letzten Wochen liebevoll gebacken haben, mitzubringen. Jede Form der Aufmunterung ist dem Menschen in Kriegszeiten willkommen.
Was Tiedemann nach ihrer Ankunft als Erstes sehen wollte, war das Werk des Streetart-Künstlers Banksy in Kiew. Kaum dort angekommen, erlebt sie ihren ersten Luftalarm. In ihrem Blog schreibt sie: "Es ist bedrückend, das schon, aber ich habe keine Angst. Sonst wäre ich vermutlich auch nicht hier. Ich habe mich vorbereitet, so gut es geht, beobachte meine Mitmenschen genau."

Für die meisten Menschen gehört der Krieg zur Routine
Also ist sie, wie alle anderen auch, in eine U-Bahn-Station geflüchtet. Die sind in Kiew besonders tief gebaut. "Und da gibt es überall Internet", erzählt Tiedemann. Viele Leute sind inzwischen routiniert, bringen beim Luftalarm Matten mit und arbeiten einfach im Untergrund weiter.
Wo man in welcher Situation hingeht und was man tut, muss man wissen. Deshalb war Tiedemann auch wichtig, privat unterzukommen.
Vermutlich wird sie länger bleiben als die geplanten zehn Tage. "Durch den Krieg und die ständigen unvorhersehbaren Störungen dauert hier einfach alles viel länger." Auf ihrem Terminplan stehen noch ein Besuch der Deutschen Botschaft und der Heinrich-Böll-Stiftung.
Sibylle von Tiedemann fasst alles in einem Blog zusammen
Ob alles klappt wie geplant, kann man auf dem Blog nachlesen. Zum Teil schreibt Tiedemann ihre Beiträge bei Kerzenschein auf dem Smartphone. Zuletzt ist sie nach Odessa gefahren. Es gehe ihr gut, schreibt sie zuletzt der AZ. "Aber der Sound der Generatoren überlagert die Stadt". Die letzten Angriffe auf Kiew hat sie überstanden.
Wenn Sie wissen möchten, was die mutige Münchnerin noch alles erlebt hat, lesen Sie in ihrem Blog nach. Und wenn Sie vor Weihnachten noch etwas Gutes tun möchten, spenden Sie (an munichkyivqueer.org) und sehen direkt, was mit Ihrem Geld geschieht.
Spenden
Munich Kyiv Queer unterstützt mit einer eigenen, privaten Spendenaktion über www.paypal.me die Menschen in der Ukraine, bitte die Option "Geld an einen Freund senden" wählen. Kennwort #FundReise. Wer kein PayPal hat, kann an das Privatkonto von Conrad Breyer, IBAN: DE42701500000021121454, Geld schicken.
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