"Viele Ärzte sind mit behinderten Frauen einfach überfordert"

Prof. Gerlinde Debus (64) über die besonderen Probleme von Menschen mit Handicap, die einen Kinderwunsch hegen.
Nina Job |
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Bernadette Gradl und Ulrich Ochs sind beide behindert - und haben trotzdem eine Familie gegründet. Geht das? Klar, sagen die beiden.
Nina Job Bernadette Gradl und Ulrich Ochs sind beide behindert - und haben trotzdem eine Familie gegründet. Geht das? Klar, sagen die beiden.

AZ: Frau Professor Debus, Sie haben die erste gynäkologische Spezialambulanz für behinderte Frauen in Deutschland gegründet. Wie kam es dazu?

GERLINDE DEBUS: Ausgangspunkt war, dass ich 1999 von der Gründung der „Netzwerkfrauen Bayern“ am Ostbahnhof in der Zeitung las. Das ist ein Zusammenschluss von und für Frauen mit Behinderung. Ich arbeitete damals in Neuperlach, quasi in der Nachbarschaft. Daraufhin habe ich Kontakt zu der Leiterin Ute Strittmatter aufgenommen, um meine Unterstützung anzubieten. Wir haben sehr schnell festgestellt, dass es einen großen Bedarf gibt. Allerdings hat es sieben Jahre gedauert, bis wir die Zulassung bekommen haben.

Ist es so schwierig für eine behinderte Frau, eine Frauenärztin zu finden?

Bis zur Gründung der Spezialambulanzen war es das. Ich denke, dass die meisten niedergelassenen Gynäkologen schlicht und einfach überfordert sind. Ihnen fehlt die Erfahrung mit nicht gesunden Körpern. Die Praxis muss auch entsprechend ausgerüstet sein. Dazu kommt, dass sich der Arzt drei bis vier Mal so viel Zeit nehmen muss, die Behandlung aber genauso vergütet wie die eines nichtbehinderten Patienten.

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Berichten Ihnen Patientinnen von negativen Erfahrungen mit früheren Ärzten?

Ja, das gab es früher häufiger. Da fragten Ärzte zum Beispiel: „Warum haben Sie denn einen Kinderwunsch, wenn Sie das Kind nicht großziehen können?“ So etwas verletzt eine Frau bis ins Innerste.

Verstehen viele das vielleicht einfach nicht?

Ja, das ist eine Sache, die in den Köpfen von den Nicht-Behinderten ist. Wenn man länger mit behinderten Menschen arbeitet, stellt man fest, dass ihr Körper gelernt hat, mit der Behinderung umzugehen. Viele sind ja von klein auf damit aufgewachsen. Für sie gehört die Behinderung zu ihrem Leben – genauso wie der Kinderwunsch.

Wann raten Sie von einer Schwangerschaft ab?

Bei bestimmten Erkrankungen mit schwersten Behinderungen. Da gibt es zum Beispiel eine fortschreitende Lähmung der Skelettmuskeln. Durch eine Schwangerschaft würden diese Frauen noch sehr viel mehr beeinträchtigt werden. Bei Frauen mit Multipler Sklerose liegt die Wahrscheinlichkeit bei jeweils einem Drittel, ob sich die Krankheit der Mutter verbessert, verschlechtert oder gleichbleibt. Darüber muss man die Patientin aufklären.

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Denken Sie, dass der kleine Raphael in einer toleranteren Gesellschaft groß wird, als die, in der seine Eltern heranwuchsen?

Ja, das denke ich. Heute wird deutlich mehr gegen Ausgrenzung unternommen als früher. Das ist politisch gewollt. Der Leitgedanke der UN-Behinderrechtskonvention, die 2008 in Kraft getreten ist, ist die Idee der Inklusion. Staat und Gesellschaft müssen dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderung nicht diskriminiert und benachteiligt werden.

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