"War eine schöne Idee": Warum dieser Benko-Plan für München eigentlicher ein guter war
Es ist Freitagnachmittag, die AZ trifft sich mit Wolfgang Fischer in einem Café am Rindermarkt. Bestes Wetter. Fischer ist wie so oft mit seinem Geländemotorrad unterwegs. Zeit für eine selbstgedrehte Zigarette und Espresso mit Blick Richtung Sendlinger Tor – und Zeit für ein Gespräch über die Innenstadt.
Ein Blick auf Münchens Innenstadt mit Wolfgang Fischer
AZ: Herr Fischer, Sie vertreten ziemlich viele Geschäftsleute. Wie viele eigentlich?
WOLFGANG FISCHER: Etwa 200, branchenübergreifend. Händler, Gastronomen, Rechtsanwälte, Hotels, Ärzte, Immobilieneigentümer...
Prozentual beziffert?
Schwer zu sagen. Von den Mittleren und Größeren aus den genannten Branchen ist es die überwiegende Mehrheit, die bei uns Mitglied ist. Viele Traditionshändler.
Corona als Wendepunkt: Leerstände und Verwerfungen in der Innenstadt
Mitunter die größten Verwerfungen hat Corona gebracht, oder?
Die Münchner Innenstadt war in der Nachkriegszeit von einem stetigen Aufwärtstrend geprägt, mit wenig Fluktuation. Niemand hatte annähernd die Fantasie, nicht mal in den kühnsten Albträumen, den Effekt von Corona vorherzusehen. Teils menschenleer, wie in einem dystopischen Film. Keiner wusste, wie es weitergeht.
Die Ladenmieten hatten zuvor ungeahnte Höhen erreicht.
Das ging bei manchen Ladenflächen in Bestlage – vor allem bei den kleineren – hoch bis mehr als 300 Euro je Quadratmeter. Aber das ist ein sehr weites Feld. Traditionsunternehmen, deren Mietverträge noch auf Din-A4-Papier handschriftlich aufgesetzt wurden, haben deutlich geringere Mietpreise.
"Sogar Jeans Kaltenbach ging in die Knie"
Sehr viele Läden haben den Besitzer gewechselt. Bei welchem Unternehmen hat es Sie besonders gewundert?
Bei Jeans Kaltenbach haben wir es alle sehr bedauert, dass die Mischung aus Corona und Online-Konkurrenz sogar so ein Traditionsunternehmen in die Knie gezwungen hat. Ich hab ja in München studiert. Und da kauften die Studenten schon in den 80ern ihre Jeans, auch ich selbst. Ich kenne Norbert Kaltenbach persönlich.
Es war auch die Phase, in der René Benko einige Immobilien aufgekauft hat.
Unter dem Eindruck der positiven Entwicklung bis 2020 dachten viele, es geht immer so weiter. Auch Benko.
Haben Sie ihn jemals getroffen?
Nein, der schwebte in anderen Höhen.
Aber Sie kennen bestimmt Leute, die ihn getroffen haben.
Ich habe immer nur Positives gehört, dass er ein umgänglicher Mensch und Gesprächspartner sei.
Im Nachhinein muss man sagen, ein guter Blender?
Eine riesen Blase.
Hätten Sie sich gewünscht, dass all die Baupläne Benkos aufgehen?
Ja! Die Idee, diesen Innenhof der Alten Akademie zu öffnen, dieses großartige Gebäude für alle Münchner zugänglich zu machen, Handel, Gastronomie, Wohnungen. Das war eine schöne Idee. Wissen Sie, wie die Lage dort zuvor war?
Vom Statistischen Landesamt zur Ruine: Die Alte Akademie im Wandel
Nein, tatsächlich hatte ich diesen Ort nie im Blick.
Nichts gegen Statistiker, aber vorher war das Statistische Landesamt drin, mit riesigen Servern. Weil auch andere staatliche Stellen ihre Rechnungen dort abwickelten, war das ein Hochsicherheitstrakt, völlig abgeriegelt. Ein riesen Areal, in der 1A-Lage der bestbesuchten Fußgängerzone Deutschlands. Ich persönlich wünsche mir schon immer eine Freischankfläche am Richard-Strauss-Brunnen. Traumhaft.
Und jetzt eine Ruine.
Das ganze Kartenhaus Benkos ist zusammengebrochen. Die Baustelle ist zwar zum großen Teil zurückgebaut. Aber es regnet rein.
Was es auch nicht besser macht.
Beim ehemaligen Hettlage-Gebäude stehen nur noch Außenmauern, die auch das Umfeld massiv belasten. Wenn Sie sich die Kapellenstraße mit dem Abstützgerüst anschauen, zwischen Alter Akademie und Bettenrid, das ist ein einziges Gerippe.
Kann man sagen, vom Regen in die Traufe?
Es ist traurig. Gerade wenn man das ehemalige Hertie-Haus anschaut, das war schon eine Nummer für die Münchner. Viele Generationen haben dort von Lebensmitteln bis Sportklamotten alles gekauft.
Baustellen-Drama: Hauptbahnhof und Benko-Immobilien als Hemmschuhe
Eine weitere Ewigkeitsbaustelle: der Hauptbahnhof.
Grundsätzlich sieht unser Verband den Neubau des Hauptbahnhofs positiv. Das wird ein Kristallisationspunkt der Stadt, wenn er mal fertig ist. Aber da ist uns allen die Zeitschiene ein wenig davongelaufen.
2037 soll alles fertig werden?
Das ist auch mein Stand. Wenn Sie am Hauptbahnhof ankommen und die Stadt sehen wollen, ist es für Besucher erschreckend, erst mitten auf einer Baustelle zu stehen. Und das noch mindestens zwölf Jahre.
Wie ist die Lage im ehemaligen Hertie-Haus, wissen Sie das?
Sendepause. Wir versuchen immer wieder, Infos zu bekommen. Es heißt immer, es gebe Interessenten für die Benko-Ruinen, ob neue Eigentümer oder in Erbpacht, aber mehr weiß ich auch nicht.
Hoffnungsschimmer Olympia 2040: Ein Motivationsschub für München
Sind Sie zuversichtlich, dass der ganze Spuk tatsächlich 2037 ein Ende hat, rund um Hauptbahnhof und Benko-Ruinen?
Unsere Hoffnung ist, dass München die Olympischen Sommerspiele 2040 bekommt und das den Planungen einen ähnlichen Schub für die Akteure gibt, wie damals vor der letzten Olympiade 1972. Dann wäre ich ganz zuversichtlich.
Welche Akteure meinen Sie?
Natürlich die Bahn und weitere Akteure im Hintergrund. Aber unser Verband ist grundsätzlich optimistisch. Schauen Sie sich die Passantenzahlen an der Alten Akademie an. An der Michaelskirche hatten wir über 30 Millionen Passanten pro Jahr.
Laufkundschaft als Chance: Die Innenstadt lebt von ihrem Einzugsgebiet
Imposant. In etwa 2,5 Millionen Passanten pro Monat?
Richtig. Und ich denke mir: Da muss es doch Interessenten geben, die dort investieren wollen. So viel Laufkundschaft haben Sie sonst nirgends in Deutschland.
Und der Online-Handel?
Während Corona haben ein paar Leute vorausgesagt: Leute, das war es jetzt. Und als dann die Pandemie vorbei war, sind die Menschen wieder in die Innenstädte geströmt. Gehen Sie mal bei schönem Wetter zum Viktualienmarkt. Da können Sie kaum ein Streichholz fallen lassen. Innenstädte werden immer mehr zum Treffpunkt. (Ein Paar geht vorbei) Salut! Wie geht’s? Gut, ja? Danke! Das sind die Inhaber der Rosen-Apotheke gewesen.
Auch ein guter Standort.
München hat enorm viel zu bieten. Rund um die Adele-Konzerte hatten wir das Feedback, dass die Besucher nicht nur zum Konzertabend da waren, sondern ein paar Tage in München verbracht haben. Hofbräuhaus, Schloss Nymphenburg, das komplette Programm.
Noch mal zum Thema Online-Shopping: Gibt es einen Trend zurück zum realen Einkauf?
Wie Sie wissen, ist nebenan der Sport Schuster. Wer Tourenski kaufen will, kann sie natürlich online kaufen und 20 Mal zurückschicken, bis man die passenden Stiefel hat. Da ist eine Beratung wie im Sporthaus nebenan sinnvoller. Es ist wieder ein Bewusstsein für Qualität und räumliche Nähe entstanden. Dennoch sind wir von den Passantenfrequenzen her noch nicht bei 2019, vor Corona.
Die Probleme: Erreichbarkeit und Verkehrschaos
Sie sagten mal, Benko ist nicht das größte Innenstadt-Problem. Benko?
Nein, der ist nicht unsere größte Sorge, nicht im Alltag.
Sondern?
Münchens Innenstadt lebt vom Einzugsgebiet, also von Südbayern. Die Münchner allein hätten zu wenig Kaufkraft, um den Stadtkern geschäftlich am Leben zu halten. Die Besucher kommen sogar vom Bodensee, oft aus der Schweiz. Da spielt natürlich der starke Schweizer Franken eine Rolle. Gerade an den Adventswochenenden dehnt sich das Einzugsgebiet gewaltig aus bis nach Innsbruck, Salzburg, Tirol.
Die Gäste aus den USA dominieren ja seit Jahren die Übernachtungszahlen.
Wussten Sie, dass es für US-Touristen günstiger war, samt eines Kurztrips in München ein Taylor-Swift-Konzert zu besuchen, als in den USA nur aufs Konzert zu gehen?
Unglaublich.
Aber Sie hatten ja nach dem größten Problem gefragt. Es ist die Erreichbarkeit.
Privat und ÖPNV?
Wir hatten kürzlich Lange Nacht der Musik, Heimspiel FC Bayern, Giro di Monaco und das Jubiläum des Deutschen Museums. Ausgerechnet dann fuhren die S-Bahnen auf der Stammstrecke nicht. Das ist katastrophal.
Ungünstig.
Kaum gehen die Pfingstferien los, wird’s Ersatzverkehr zwischen Isartor und Ostbahnhof geben.
Da gibt es eine kleine Häufung von so ungünstigem Timing?
Eine extreme Häufung.
Wünschen Sie sich bessere Absprachen?
Es gibt einen Stadtratsantrag, um Gesprächsrunden mit der Bahn anzustoßen. Wir stellen nur fest, dass die Infos über Sperrungen sehr spät bei uns ankommen. Es geht nicht um Vorwürfe. Viele Planungen haben anderthalb Jahre Vorlauf. Mein Eindruck ist, dass die Infrastruktur 50 Jahre lang nicht ausreichend gepflegt wurde. Jetzt ist alles hinüber und muss auf einmal gemacht werden. Ein riesen Problem – auch für die Beschäftigten. Samstag ist der wichtigste Tag für Handel und Gastronomie. Aber bei der Erreichbarkeit mit dem Auto sieht es mit dem Baustellenchaos auch nicht gut aus.
"Optisch ist in der Innenstadt aber noch viel Luft nach oben"
Was macht Ihnen Hoffnung?
Ein Lichtblick ist, dass die Accumulata die ehemalige Benko-Immobilie Karstadt Sport schon umgebaut hat. Da ist demnächst Einzug. Die ehemalige Signa-Immobilie in der Rosenstraße kommt gut voran. Die hat ja ein Rechtsanwalt gekauft. Der Abriss geht echt schnell. Baubeginn war im Januar.
Viele infrastrukturelle Baustellen werden noch Jahre dauern.
Die öffentliche Hand sollte mit Baustellen schneller vorankommen. Es darf nicht immer so lange dauern wie bei der Ludwigsbrücke. Vor allem darf nicht tage- oder wochenlang alles stillstehen oder schon am Freitag um 11 Uhr arbeitet keiner mehr.
Wie steht’s um die Sendlinger Straße, die Passantenfrequenz?
Die steigt stetig. Das Problem war vor Jahren der Abriss und der Neubau des Parkhauses am Oberanger und das Labyrinth rund um die U-Bahn-Baustelle Sendlinger Tor. Beides vorbei.
Der Immobiliendachverband sieht die Meile als Sorgenkind.
Weil der IVD die Passantenzahlen mit denen in der Neuhauser Straße vergleicht. Ich finde das nicht richtig. In der Sendlinger Straße gab es Wechsel, ja. Aber es gibt ja Breuninger, im ehemaligen Abercrombie ist jetzt ein Möbelladen und viele hochwertige Outdoormarken. Am Sendlinger Tor wurde aus einem Filialisten ein wunderbarer, inhabergeführter Schreibwarenladen, gegenüber ein Gewürzladen. Dazu die Traditionsgeschäfte. Tolle Mischung.
Klingt optimistisch.
Das bin ich. Optisch ist in der Innenstadt aber noch viel Luft nach oben. Die Hälfte des Weges vom Hauptbahnhof bis zum Marienplatz lädt derzeit nicht zum Verweilen ein. Die Resonanz ist, dass Unternehmen auf Standortsuche in München zwischen Marienplatz und Michaelskirche suchen, danach bitte nicht mehr, heißt es.
Ein letzter Satz an Benko, nachdem er die Innenstadt verschandelt hat?
Nein, eigentlich nicht. Was würd ich sagen? Ich glaub einfach: Des war nix.