"Unter aller Sau": Auf Spurensuche in der Heimat von Hubert und Helmut Aiwanger
Rottenburg an der Laaber - "Lächerlich", "Kinkerlitzchen" – das sind Worte, die am Dienstag in Rottenburg bei einer Umfrage zur Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger fallen. Die SZ hatte berichtet, dass er in seiner Schulzeit ein Flugblatt mit antisemitischen Inhalt verfasst haben könnte.
Inzwischen hat sein Bruder Helmut Aiwanger, der in Rottenburg einen Waffenladen betreibt, eingeräumt, dass er das Flugblatt verfasst habe. Dennoch hat die Affäre ein politisches Beben ausgelöst.
Flugblatt-Affäre: In Rottenburg fordert niemand den Rücktritt von Hubert Aiwanger
Von am Ende circa 30 Befragten ist kein einziger dabei, der den Rücktritt Aiwangers gefordert hätte. Der Tenor durch die Bank: Eine Jugendsünde. "Wer denkt in diesem Alter schon daran, was das später für Auswirkungen haben könnte?", meint einer der Befragten. Die meisten möchten nicht namentlich genannt werden. Nur zwei wollen am Ende mit Bild und Namen in die Zeitung: Suene Hüftlein und Harald Hübner. Hüftlein knapp 40 ist sehr gut informiert.
Kennt auch den Inhalt des Flugblatts – die Mehrheit weiß bei der Umfrage nur vage Bescheid. Der Verfasser hatte eine Ausschreibung für einen Bundeswettbewerb umgeschrieben mit dem Titel "Wer ist der größte Vaterlandsverräter"; "1. Preis: Ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz", heißt es auf dem Flugblatt unter anderem weiter.
Spitzname "Heller": Bruder von Hubert Aiwanger will Verfasser der Flugblätter sein
Helmut Aiwanger, Bruder von Hubert Aiwanger gibt nach der Berichterstattung in der "SZ" schließlich zu, dass er das Flugblatt verfasst habe. Hubert Aiwanger erklärt, dass eines oder wenige Exemplare in seinem Rucksack gefunden wurden. Beide Brüder waren Schüler am Burkhart-Gymnasium Mallersdorf-Pfaffenberg, wo sie 1990 ihr Abitur machten. Helmut Aiwanger war sauer, weil er durchgefallen war, erklärt er in Medienberichten zum Grund für das Verfassen des Flugblatts.
In der Abizeitung 1989 ist er auf einem Bild zu sehen, gut gelaunt, Spitzname "Heller", auf der Seite mit den "Sitzen gebliebenen". Drüber steht "In guter Erinnerung". In Rottenburg führt er einen Waffenladen. Seine Kundschaft: Hobbyschützen und Jäger. Vor ein paar Jahren – die Autorin hatte ihn zur Berichterstattung zu steigenden Zahlen bei Waffenscheinen besucht – berichtete er, dass immer mehr Otto-Normalbürger sich um ihre Sicherheit sorgen. Sie erkundigten sich bei Helmut Aiwanger zu Schreckschusswaffen.
Helmut Aiwanger führt einen Waffenladen in Rottenburg
Der Laden ist laut Aushang täglich nur bis 14 Uhr geöffnet. In der Nachbarschaft ein paar Geschäfte. Die Mitarbeiter dort berichten, dass sie kaum was mitkriegen von ihm und seinem Laden, vielleicht mal ein Päckchen annehmen. Von anderen Rottenburgern hört man, dass Helmut Aiwanger im Gegensatz zu seinem Bruder sehr wenig in Vereinen und Co. unterwegs ist. Helmut Aiwanger reagiert mit Aushängen im Laden. Trotz mehrmaliger Versuche unserer Mediengruppe mit Helmut Aiwanger Kontaktaufzunehmen, gibt es keine Antwort.
Der Laden ist am Dienstag zu. Stattdessen Aushänge an der Eingangstür. Eine Buchempfehlung: Heinrich Böll, "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Ein Buch, in dem es darum geht, dass eine Frau, die einem radikalen Rechtsbrecher zur Flucht verhilft, in den Fokus der Boulevardpresse gerät. Unten an der Tür kleben zwei weitere Zettel mit Fragen: "Was will Scholz aufgeklärt wissen?" und "Wer war Baldur Springmann? Wer war Werner Vogel?".

Beides waren Persönlichkeiten, die in Zeiten des Nationalsozialismus unter anderem bei der SA waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber wurden sie später wieder politisch aktiv. Oben auf den Zetteln mit den Fragen und der Buchempfehlung prangt jeweils die Visitenkarte des Ladens.
Einwohner von Rottenburg sehen "Schmutzkampagne" gegen Hubert Aiwanger
Als "Schmutzkampagne" sieht Suene Hüftlein das Stecken des Flugblatts an die Presse. "Hubert Aiwanger selbst hat ja nichts verfasst", glaubt Hüftlein. Dass er Kontakt mit seinem Bruder habe, sei doch klar. Den Inhalt des Flugblatts findet er "unter aller Sau, sowas brauchen wir in Deutschland nicht mehr", erklärt er. Was genau im Flugblatt steht, wissen bei weitem nicht alle Befragten. Sie, aber auch diejenigen, die den Inhalt kennen, halten die Sache großteils für eine Jugendsünde. Vielmehr stört es sie, dass das nun nach 35 Jahren wieder ausgegraben wird, noch dazu so kurz vor der Landtagswahl.
Manche von Ihnen erklären, nicht unbedingt Aiwanger-Fans zu sein, finden das "Aufbauschen" der Geschichte durch die Medien trotzdem furchtbar. Manche Befragte winken beim Ansprechen sogar gleich ab. "Unmöglich, was die Presse daraus macht", heißt es. "Ich hab in meiner Jugend Schlimmeres gemacht", verrät eine Frau, die aber nicht namentlich genannt werden will. Sie zieht Vergleiche mit anderen, Donald Trump, Silvio Berlusconi - die hätten wesentlich Schlimmeres gemacht. Da sind das ja nur "Kinkerlitzchen".
"Hubert Aiwanger sagt das, was die Leute denken"
Eine andere Frau kennt den Inhalt des Flugblatts, findet es nicht gut. Aber es sei in der Jugend gewesen, über 30 Jahre her. Heute sage Aiwanger das, was sich die Leute auch denken. Deshalb wird er ihre Stimme auch weiterhin bekommen, erklärt sie. Harald Hübner, 57 Jahre alt, ist der Zweite, der sich auch namentlich zitieren lässt.
Er berichtet, dass sie gerade auch vor der Mittagspause in der Arbeit über Aiwanger und die Flugblatt-Geschichte diskutiert hätten. Eine Kollegin sei dabei gewesen, die auch für den Rücktritt sei. Der Rest und auch Hübner selbst sahen das anders. Er findet es nicht wichtig, was Aiwanger vor über 30 Jahren gemacht hat. Ob man in dem Alter die Auswirkungen eines solchen Flugblatts schon umreißen kann, sei für ihn die Frage.

Rottenburgs Bürgermeister Alfred Holzner (Freie Wähler) hält die ganze Sache für eine Kampagne: "Wenn man dann so ein Flugblatt nach 35 Jahren, sechs Wochen vor der Wahl am Markt bringt, dann glaub ich, ist auch klar, was man damit erreichen wollte, nämlich nur beschädigen, und um das ist es gegangen und um sonst gar nichts", so Holzner. Er bedauert, mit welchen Methoden gearbeitet wird, nur um die Machtspielchen so für sich zu entscheiden.
Hubert Aiwanger saß ab 2008 für elf Jahre im Rottenburger Stadtrat. Holzner und einige befragte Stadtrats-Kollegen erklärten, dass Aiwanger immer sehr konstruktiv gearbeitet habe, und niemals irgend eine rechte Äußerung dort fiel. Holzner dazu: "Ich kann überhaupt nicht sagen, dass Hubert mal in die rechte Richtung diskutiert hätte, im Gegenteil, er war immer einer, der sich um Kompromisse bemüht hat und versucht hat, alle Parteien mit einzubinden und mitzunehmen. Er war immer einer, der eher deeskalierend mit eingewirkt hat".
"Hubert Aiwanger war immer ein ganz normaler Stadtrat, war sehr entspannt"
Das bestätigten auch einige seiner Stadtratskollegen wie Franz Gumplinger (SPD), der lange dabei war und erst kürzlich ausgeschieden ist: "Aiwanger war immer ein ganz normaler Stadtrat, war sehr entspannt"; "Konstruktiver kann man mit jemanden fast nicht zusammenarbeiten", berichtet FW-Stadtrat Sigi Schnarr. "Auch wenn im Stadtrat mal ein Thema gepuscht worden ist, hat er versucht, eine Lösung zu finden."
Auch Mathilde Haindl (CWSU) bekräftigt, dass die Zusammenarbeit mit Hubert Aiwanger immer konstruktiv war, und dass er auch immer für alle Parteien offen war und mit ihnen gesprochen hat. Während sich in München am Dienstag eine Sondersitzung mit Aiwanger und Söder abspielt, und beispielsweise die Bayern-SPD vehement den Rücktritt fordert, schreibt Helmut Aiwanger auf dem Zettel mit der Buchempfehlung. "Keine Sorge, nur Heinrich Bölls Prosa endet dramatisch".
SPD-Landtagsabgeordnete Ruth Müller fordert: "Amt Ruhen lassen"
Für Ruth Müller, Landtagsabgeordnete und Generalsekretärin der Bayern-SPD, sieht die Sache anders aus: Als Abgeordnete aus der Nachbargemeinde Pfeffenhausen trifft sie bei Terminen oftmals auf ihren Landtags-Kollegen und inzwischen Minister Hubert Aiwanger. Für sie steht fest, dass eine weitere Zusammenarbeit schwierig ist. Dass er rechte Äußerungen von sich gab, die mit dem Nationalsozialismus zu tun haben, das verneinte auch sie.
Doch aus ihrer Sicht sei Aiwanger "maximal populistisch unterwegs, hetzt gegen Minderheiten und spaltet die Gesellschaft", so Müller. Dass ein Flugblatt mit einem solchen Inhalt als Satire gedacht war, kann sie nicht verstehen - solche Witze seien auch damals nicht salonfähig gewesen. Auf die Frage, ob auch Sie für einen Rücktritt sei, erklärt sie "Er müsste sein Amt mindestens ruhen lassen."
- Themen:
- Freie Wähler
- Hubert Aiwanger
- München
- Politik