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AZ-Report: Sendlinger Straße ohne Flaneure

Nur mit Schnelltest zum Shoppen? Die neue Regel macht nur wenigen Münchnern Lust auf einen Bummel in der City. Ein AZ-Besuch in der Sendlinger Straße, die bei bestem Wetter fast ausgestorben ist.
Irene Kleber |
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Kaum Flanierer und viele Geschäfte geschlossen: die Sendlinger Straße in der City am Freitagmittag. Nur vor dem Schnelltestzentrum am Hackerhaus stehen Menschen an.
Kaum Flanierer und viele Geschäfte geschlossen: die Sendlinger Straße in der City am Freitagmittag. Nur vor dem Schnelltestzentrum am Hackerhaus stehen Menschen an. © Sigi Müller

Altstadt - Es könnte eine prächtige Rennstrecke sein an diesem Freitagmittag, für Radler, für E-Roller, für Jogger sogar, weil man auf kaum Hindernisse träfe. Die Zahl an Bäumen ist überschaubar, Autos sind keine mehr da, seit die Stadt 2019 Fußgängerzonenplatten verlegen hat lassen.

Jetzt fehlen auch noch: die Menschen. Man muss das leider so sagen, die bildschöne Sendlinger Straße mitten in der Münchner City, früher eine lebendige Flaniermeile, sie ist leer, die ganze Woche ist das schon so.

Es ist still in der Sendlinger Straße

Die neuste Regel dieser Woche, dass man nur noch mit einem Schnelltest einen Laden zum Shoppen betreten kann, macht der Sendlinger mit den letzten kleinen Geschäften, die noch da sind, den Garaus.

Als wär's nicht längst schon still geworden. Der Gute-Laune-Möbelladen Kare, der viele Flaneure in die Straße gezogen hat, ist raus und Baustelle, wie lange noch, ist unklar. Der Stierblut für Modeverrückte daneben schließt gerade die Räumung ab. Jeans Kaltenbach: leer und geschlossen, noch nichts Neues nachgekommen. Abercrombie & Fitch vorn im ehemaligen "SZ"-Gebäude: schon lange leer.

Auch Marstaller bereitet sich auf die Schließung vor

Seit Wochen gähnen den Passanten auch 20 Meter Schaufenster des ehemaligen Timberland-Ladens entgegen. Der kleine Tretter ist zu und verweist aufs Stammhaus in der Kaufinger, sogar der kleine Vinzenz Murr neben der Asamkirche macht nicht mehr auf, man möge die Leberkassemmeln bitte jetzt vorn in der Rosenstraße holen. 

Auch Marstaller, das Traditions-Taschengeschäft (seit 1893), bereitet sich auf die Schließung vor, gemunkelt wird, es werde ein Reisebüro einziehen.

Sabine Schubert (60) wird im Sommer ihren Kadoh-Laden schließen, "dann kann ich nicht mehr".
Sabine Schubert (60) wird im Sommer ihren Kadoh-Laden schließen, "dann kann ich nicht mehr". © Sigi Müller

Kadoh gibt's nur noch bis Sommer

Noch hält Kadoh mit seinen Wohn- und Modeaccessoires und orangeroten Stoffsternen überm Eingang die Stellung, der ist seit 20 Jahren hier. Aber nur noch bis zum Sommer, sagt Chefin Sabine Schubert (60), "dann kann ich nicht mehr, das ist ein ganz bitteres Ende".

14.000 Euro Miete mit Verkauf an der Tür erwirtschaften?

Montag habe sie 15,90 Euro Umsatz gemacht. Dienstag ist kein einziger Kunde gekommen. Mittwoch und Donnerstag hat sie dann gar nicht aufgemacht. Genau wie heute der quietschbunte Pylones-Laden, bei dem man aber anrufen und bestellen kann, Leder Fischer und etliche andere in der Straße.

Heute? Versucht es Sabine Schubert mit einem Verkauf an der Tür, als wenn sie ein Kiosk wäre. Soll man damit 14.000 Euro Miete im Monat erwirtschaften, für 100 Quadratmeter, in die keiner reingeht?

Eine Schlange vor der Asam-Apotheke

Was die Lage für die inhabergeführten Läden hier doppelt schwer macht, ist, dass 2019 die monatelange Baustelle für den Umbau zur Fußgängerzone schon so viel Kundschaft vertrieben und Umsätze geraubt hat. Man hätte sich 2020 theoretisch erholen können, nur, dann kam eben Corona.

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Aktuell bringt Corona nur Grüppchen von Testwilligen in die Straße - vorn am Hackerhaus, wo ja ein Schnelltestzentrum entstanden ist, und in der Mitte, bei der Asam-Apotheke, wo eine Schlange ansteht.

Bears & Friends: Laufkundschaft, was ist das?

Bringt die wenigstens Laufkundschaft? Zum Beispiel zu Bears & Friends, wo Teresa Galekovic (34) mit ihren bunten Fruchtgummis gegen die graue Pflasterödnis und die leeren Schaufenster gegenüber ankämpft?

Teresa Galekovic (34) in ihrem "Bears & Friends": "Bleibt mir ja nichts übrig, als weiter zu lachen."
Teresa Galekovic (34) in ihrem "Bears & Friends": "Bleibt mir ja nichts übrig, als weiter zu lachen." © Sigi Müller

Gerade hat sie noch glockenhell gelacht, jetzt steigen ihr Tränen in die Augen. Laufkundschaft, was ist das? Heute sind bis Mittag sechs Kunden dagewesen, obwohl man hier sogar ohne Test hereindarf, Gummibärchen sind ja Lebensmittel. Sie wischt sich das Wasser aus den Augen. Es gibt gerade keine andere Option, als das auszuhalten.

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31 Kommentare
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  • MünchnerKind am 20.04.2021 10:06 Uhr / Bewertung:

    Die Sendinger Straße war immer eines meiner Lieblingsziele in der Stadt, mit der UBahn zum Sendlinger Tor, durch die Straße bummeln bis zum Konen, rüber zum Kustermann und Viktualienmarkt und Tal. Kleinere Geschäfte, Vielfalt, keine oder sehr wenige großen Ketten, Buchhandlung, Teegeschäft, Schmuck usw. Leider ist die Sendlinger Straße schon lange keine anziehende Einkaufsstraße mehr. Das hat nicht nur mit Corona zu tun. Eher damit seit sie Fußgängerzone wurde. Es waren kaum mehr Fußgänger unterwegs, um 19.00 Uhr gähnende Leere, viele Geschäfte machten dann früher zu. Es fehlte einfach das gewohnte Stadtbild, auch wenn das niemand hören will, aber die Fußgängerzonen haben leider etwas von Geisterstädten und ein Plattensee schafft keine Atmosphäre. Sehr schade darum. Man kann nur hoffen, daß die Stadt daraus lernt und nicht im Tal den gleichen Fehler begeht.

  • 091 am 25.04.2021 08:52 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von MünchnerKind

    "Das hat nicht nur mit Corona zu tun. Eher damit seit sie Fußgängerzone wurde"

    Seit Dezember 2019 Fußgängerzone.

    Seit März 2020 erster Lockdown.

  • am 18.04.2021 22:47 Uhr / Bewertung:

    Unsere Politik? "Wie entvölkere ich die Innenstadt" ist gelöst!

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