Große Wohnungsnot in München: Zahl der wohnungslosen Menschen hat sich verdreifacht

Die Zahl der Wohnungslosen in München hat sich verdreifacht. Verantwortlich dafür ist auch der Freistaat, finden viele. Wo er Grundstücke verkauft hat und wo er baut.
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9000 Menschen in München haben keine eigene Wohnung. Verantwortlich dafür ist auch der Freistaat, finden viele.
9000 Menschen in München haben keine eigene Wohnung. Verantwortlich dafür ist auch der Freistaat, finden viele. © IMAGO/Sven Simon

München — Mehr als 20.000 Menschen — so viele wie Freising Einwohner hat — sind in Bayern momentan wohnungslos. Und etwa die Hälfte davon, lebt in München. Nicht auf der Straße, aber in engen Unterkünften, oft ohne eigene Küche oder eigenes Bad.

Die Zahl der Wohnungslosen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht

"9.000 Wohnungslose sind in München registriert, dazu kommen all jene, die in prekären Wohnverhältnissen leben, also bei Freunden oder Verwandten unterkommen", sagt Jürgen-Peter Pinck. "Die Zahlen sind eindeutig gestiegen." Genauer gesagt: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl etwa verdreifacht.

Pinck ist Geschäftsleiter des Katholischer Männerfürsorgevereins in München und der betreibt mehrere Wohnheime in der Stadt. Jedes Jahr berät der Verein etwa 8000 Menschen. "Die Arbeit", sagt Pinck, "wird immer mehr."

Für die Unterbringung und für die Sozialwohnungen ist die Stadt zuständig

Pinck weiß, dass für die Unterbringung von wohnungslosen Menschen eigentlich die Stadt zuständig ist. "Die Verantwortung liegt aber beim Freistaat", meint er. Denn die Gesetze werden nicht im Münchner Rathaus gemacht. Zum Beispiel müsste der Freistaat dafür sorgen, dass Sozialwohnungen für immer Sozialwohnungen bleiben.

Denn diese fallen nach einer bestimmten Zeit, nach 15, 25 oder 40 Jahren, aus der Bindung und werden zu Wohnungen, die auf dem freien Markt vermietet werden können.

Rund 1.900 Wohnungen in München sind entweder in Bau oder in Planung

Pinck findet außerdem: Der Freistaat müsste in München noch besser prüfen, wo er selbst bauen kann. Der bayerische Bauminister Christian Bernreiter (CSU) entgegnet: "Wir loten laufend alle Möglichkeiten aus, um zusätzliche Wohnungen in der Landeshauptstadt auf den Weg zu bringen."

Insgesamt seien rund 1.900 Wohnungen in München in Bau oder Planung. Eine der größten Maßnahmen liegt auf dem Südlichen Oberwiesenfeld beim Leonrodplatz. 600 Wohnungen für Polizistinnen, Krankenpfleger und Verwaltungsangestellte entstehen hier.

Auch auf dem Mc-Graw-Gelände in Giesing baut der Freistaat rund 700 Wohnungen. Außerdem prüft der Freistaat laut Bauminister, ob sich Grundstücke an der Nymphenburger Straße und der Lazarettstraße für Wohnbau eigenen.

Statt der von Söder versprochenen 10.000 bezahlbaren Wohnungen werden es nur 700

Fakt ist aber: Die Regierung bleibt weit hinter ihren Zielen zurück. Eigentlich hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) 10.000 bezahlbare Wohnungen für Bayern in dieser Legislatur angekündigt. Fertig werden wohl nicht einmal 700.

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Auch in München ziehen sich die Planungen schon lange hin. Für die Mc-Graw-Kaserne wurde der erste städtebauliche Wettbewerb bereits 1997 durchgeführt. Diesen Sommer war Spatenstich.

Der Münchner Stadtrat kritisiert die Wohnungspolitik des Freistaats aber nicht nur wegen dieser zähen Prozesse gerne. Sondern auch, weil er immer wieder Grund in München verkauft. Anfang des Jahres entschied der Landtag (mit Stimmen von CSU, Freien Wählern und SPD), dass Apple für 251 Millionen ein Grundstück an der Seidlstraße beim Stiglmaierplatz bekommt. Und der Freistaat verkaufte in den vergangenen zehn Jahren noch 50.000 weitere Quadratmeter.

35 Immobilien des Freistaates stehen in München leer

Zum Beispiel die Hormayrstraße 12 in Hartmannshofen. In dieser Siedlung gehören dem Freistaat mehrere Grundstücke, auf denen zum Teil verfallene Einfamilienhäuser stehen. In manchen wohnt seit über zehn Jahren niemand mehr.

Laut Bauministerium stehen in ganz München 35 Immobilien des Freistaates leer, die meisten davon liegen in Hartmannshofen. Inzwischen haben sich Freistaat und Rathaus geeinigt, dass hier Asylbewerber einziehen dürfen. Die Kosten für die Sanierung der maroden Häuser muss aber die Stadt bezahlen.

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Viele Wohnungen werden zweckentfremdet und illegal vermietet

Das Sozialreferat ist überzeugt, dass der Freistaat mehr gegen die Wohnungsnot in München tun könnte. Mehr Bauen, klar. Aber auch Gesetze müssten angepasst werden — etwa das "Zweckentfremdungsgesetz".

Von Zweckentfremdung ist die Rede, wenn Eigentümer Wohnraum illegal als Ferienwohnung oder Büro vermieten. Das Rathaus hat nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 404 Wohnungen mit einer Fläche von 21.500 Quadratmeter vor Zweckentfremdung bewahrt. Noch besser würde die Verfolgung klappen, wenn der Freistaat eine Registrierungs- und Genehmigungspflicht für Ferienwohnungen einführen würde, glaubt Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD).

Auch das Münchner Planungsreferat hat Wünsche. Zum Beispiel hält es ein "Neubau- und Sanierungsprogramm für studentisches Wohnen für sehr hilfreich". Seit über zwei Jahren stehen in der Studentenstadt mehr als 1.000 kleine, bezahlbare Wohnungen leer. Zuständig ist der Freistaat, lange stockte die Sanierung. Im Mai öffnete ein Haus mit 250 Plätzen wieder. Doch bis der Rest fertig wird, könnte es noch bis 2028 dauern.

Was sagen die Parteien dazu?

CSU: Grund fehlt

Der Freistaat hat bereits viel getan, damit mehr gebaut werden kann. Davon ist der CSU-Abgeordnete Josef Schmid überzeugt. Der ehemalige Münchner Bürgermeister tritt in Pasing an. Zum Beispiel habe der Freistaat die Baugenehmigungsverfahren vereinfacht. Außerdem sei der Freistaat "freiwillig" in den Wohnungsbau eingestiegen. "Traditionell war das immer Aufgabe der Kommune", sagt Schmid. Allerdings besitze der Freistaat in München eben nur wenige freie Grundstücke.

Freie Wähler: Grün erhalten

Frischluftschneisen und Grünflächen zu erhalten, ist wichtiger als Wohnraum zu schaffen. Davon ist der Chef der Freien Wähler in München, Kultusminister Michael Piazolo, überzeugt. Schließlich habe sich das Stadtklima bereits enorm verändert und sollte nicht noch weiter verschlimmert werden, sagt er. Insgesamt sieht er für die Schaffung von Wohnraum eher das Münchner Rathaus zuständig. Allerdings müsse die Stadt für bezahlbaren Wohnraum vor allem den aktuellen Bestand schützen

SPD: "Bayern braucht eine Baulandsteuer"

Bloß ein paar Meter von Florian von Brunns Büro entfernt, klafft eine Baulücke: das Sendlinger Loch. Ein Investor wollte hier Luxuswohnungen bauen, doch seit Jahren geht nichts weiter. Von Brunn, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, fordert deshalb: "Bayern braucht eine Baulandsteuer." Wer baureife Grundstücke liegen lässt, soll diese neue Steuer bezahlen. Spekulation soll sich nicht mehr lohnen.

Andere Bundesländer, sagt der SPDler, haben so eine Grundsteuer schon längt. Die Wohnungspolitik von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnet er als "total Ausfall". Schließlich versprach Söder 10.000 bezahlbare Wohnungen in Bayern, fertig wurden aber nur ein paar Hundert.

Auch in München gebe es Platz auf staatlichen Grundstücken, sagt von Brunn. Etwa auf Parkplätzen bei den Krankenhäusern. Dass auf dem staatlichen Gelände an der Mc-Graw-Kaserene erst jetzt der Spatenstich erfolgte, ärgert ihn: "Das hat viel zu lange gedauert." Beschlossen habe die SPD außerdem, dass der Freistaat keine Grundstücke mehr verkaufen darf. Erst in diesem Jahr erwarb Apple ein Grundstück. Die SPD stimmte zu. "Ich war strikt dagegen", sagt von Brunn. "Und das wird auch nicht mehr passieren."

FDP: "Der Freistaat taugt nicht als Bauherr"

Bis Wohnungen in München einmal fertig sind - das dauert viel zu lange, findet Michael Ruoff, der Chef der Münchner FDP, Kandidat in Bogenhausen. Ruoff setzt sich deshalb für einen neuen Gebäude- Typ E ein. Das steht für experimentelles, einfaches Bauen. Damit soll es leichter werden, kostengünstig Wohnraum zu schaffen. Auch serielles Bauen, also den gleichen Häusertyp, mehrfach zu errichten, hält Ruoff für eine gute Idee.

Außerdem will die FDP, dass das Personal in den Genehmigungsbehörden effizienter arbeiten kann - etwa durch Digitalisierung. Aktenstapel sollen Vergangenheit werden, sagt er. Auch durch Nachverdichtung und Aufstockung könnte in München Wohnraum geschaffen werden, glaubt er. "Hier sollte der Freistaat Bauordnung und die Genehmigungen vereinfachen."

Ruoff ist überzeugt, dass der Freistaat nicht als Bauherr taugt. Der Beweis sei die neue staatliche Baugesellschaft Bayernheim, die bisher viel Geld verschlungen, aber kaum gebaut habe. Lieber sollte der Freistaat das den privaten Unternehmen überlassen, findet Ruoff. "Der Freistaat sollte seine Grundstücke in Erbpacht vergeben und aushandeln, dass dort auch günstige Wohnungen, etwa für Beamte, gebaut werden."

Grüne: "Keine Grundstücke mehr verkaufen"

Eine Fläche von 5,2 Hektar, also etwa sieben Fußballfelder, an Grund hat der Freistaat in den vergangenen zehn Jahren verkauft. "Hunderte bezahlbare Wohnungen hätten hier entstehen können", sagt Ludwig Hartmann, der Fraktionschef der Grünen im Landtag und Kandidat im Stimmkreis Mitte.

Für ihn ist klar: Der Freistaat darf keine Grundstücke mehr verkaufen. Und wenn sich große Firmen in München ansiedeln wollen, müssen sie sich verpflichten, Wohnraum für ihre Mitarbeiter zu schaffen. Der Freistaat müsste sich außerdem dringend überlegen, wie er mit den Grundstücken der Landesbank in München umgehen möchte, sagt Hartmann. 2022 hat die Bayern LB vier palastartige Gebäude an der Brienner Straße verkauft. Und der Hausbank des Freistaates gehören noch mehr Bürogebäude in München.

Solche Flächen, findet Hartmann, sollten nicht an den Höchstbietenden gehen, sondern zum Beispiel an die Stadt München. Ein weiteres Problem, das Hartmann gerne lösen würde: Sozialwohnungen verlieren nach einigen Jahren ihre Bindung. "Von 2011 bis 2022 ist der Bestand an Sozialwohnungen um 16,2 Prozent gesunken", weiß Hartmann. Er fordert deshalb: Der Freistaat soll Sozialwohnungen, wenn sie ihre Bindung verlieren, kaufen.

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  • Der wahre tscharlie am 08.09.2023 15:53 Uhr / Bewertung:

    "Für die Mc-Graw-Kaserne wurde der erste städtebauliche Wettbewerb bereits 1997 durchgeführt. Diesen Sommer war Spatenstich."
    26 Jahre!!! Das ist doch ein Tollstück aus Absurdistan.

    Thema Hartmannshofen....Geschätzte 10 Jahre stehen dort Häuser leer, die im Besitz des Freistaates sind. Jetzt hat man sich geeinigt, dass dort Asylbewerber einziehen können, ABER die Sanierung soll die Stadt bezahlen.

  • Mallory am 08.09.2023 15:17 Uhr / Bewertung:

    Es stellt sich schon die Frage, weshalb die Wohnungslosen in München (in der Regel wohl Einzelpersonen) nicht versuchen an anderen Orten eine bezahlbare Wohnung zu finden? Diese Personen arbeiten, wenn überhaupt, meist im Niedriglohnsektor. Solche Jobs bekomme ich auch in Ost- und Nordbayern, wo man sich eine kleine Wohnung leisten kann. Es muss doch nicht jeder bis an sein Lebensende in München bleiben!!!

  • Sarah-Muc am 09.09.2023 03:35 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Mallory

    Sorry wo haben Sie dieses "Wissen" denn her? Haben Sie irgendwelche Beweise?

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