Radeln gegen die Automesse: Die AZ war dabei!
München - Es ist 12.15 Uhr. Maria Deingruber steht auf dem Parkplatz hinter der U-Bahn-Haltestelle Studentenstadt. Sie ist umringt von Menschen mit gelben Warnwesten und Armbinden, auf denen "Ordner" steht. Eine Team-Besprechung steht an. Noch mal letzte Hinweise, wie man die Demo heute gut über die Bühne bringt.
Laut bimmelnd kommt ein Fahrradfahrer dazu, dann noch einer. 20 Minuten später ist schon die erste Parkplatzreihe voll mit Menschen. Die Organisatoren verteilen dunkelblaue Flaggen, darauf der Slogan #mehrplatzfürsrad, die die Demonstranten an ihren Gepäckträgern und Anhängern befestigen.

Deingruber ist stellvertretende Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) und eine der Organisatoren der Sternfahrt zur Theresienwiese, die an diesem Samstag als Teil der Demos gegen die IAA stattfindet.
"Wir möchten deutlich machen, dass das Fahrrad eine gute Fahrt und Transport-Möglichkeit ist", sagt sie, "Autos sind nicht die Form der Mobilität, die wir uns für die Zukunft vorstellen können."
Die allermeisten Autofahrten in der Stadt hätten eine Distanz von weniger als fünf Kilometern, das könne man locker mit dem Rad machen, sagt Deingruber. Dass aber auch längere Strecken locker drin sind, möchten heute die Teilnehmer der Demo beweisen: Rund 20 Kilometer soll die Fahrt gehen, durch Oberföhring, Johanneskirchen, Haidhausen und die Innenstadt bis zur Theresienwiese.
Ausrüstung: Radler-Hosen, Regenjacken, Helme und Musikboxen
13.05 Uhr: Um kurz nach 1 sind alle da, ausgerüstet mit Radler-Hosen, Regenjacken, Helmen und Musikboxen. Alte Kartons und ausgediente Spannbetttücher wurden zurechtgeschnitten und dienen jetzt als Schilder und Flaggen mit Slogans wie "Spielplätze statt Parkplätze". Nach einer letzten Megafon-Durchsage geht es los, reihenweise Radler strömen vom Parkplatz auf die abgesperrte Ungererstraße.
In gemütlichem Tempo geht es unter einer Autobrücke durch, über die Isar und dann durch Wohngebiete. Immer wieder wird geklingelt, vor allem, wenn der Zug an Schaulustigen vorbeifährt, die den Demonstranten zujubeln und Fotos machen. Seifenblasen schweben aus einem Kinder-Anhänger heraus.
Begleitet wird das ganze von einem ziemlich wilden Mix von Songs mit Fahrrad-Bezug: Von versöhnlichem Pop über die Freuden des Radelns in der Stadt bis zu einem Rap-Song über das Drogendealen auf dem Rennrad ist alles mit dabei.
Kurzer Stopp an der Eggenfeldener Straße
14.14 Uhr: An der Eggenfeldener Straße macht die Kolonne halt: Hier trifft der Demo-Zug aus der Studentenstadt mit dem aus Neufahrn und Freising zusammen. Man winkt sich freudig zu und als sich beide Stränge ineinander gefädelt haben, geht es weiter über die Richard-Strauß-Straße. Auf der Prinzregentenstraße fängt es an zu regnen. Man hält kurz an, holt die Regenjacke aus dem Rucksack und setzt die Kapuze auf.
Der Autoverkehr auf der Gegenseite liegt lahm. Ein Fahrer steht vor seinem Bus, raucht und quatscht mit dem Kollegen aus dem Fahrzeug vor ihm. Eine Frau mit Baby auf dem Arm ist aus ihrem Auto ausgestiegen und zeigt ihrem Kind das Spektakel. An der Villa Stuck steht ein Kombi mitten auf der Spur. Der Fahrer diskutiert mit einem Demonstranten.
"Das ist 'ne angemeldete Demo, du musst zurück in die Einfahrt", ruft der Radler ihm zu, bevor er sich wieder auf den Sattel schwingt. Die stehenden Autos veranstalten ein Hupkonzert: Es ist nicht ganz klar, ob aus Zustimmung oder weil sie von den Radlern genervt sind - aber das wäre ja auch der Sinn der Sache.
15.18 Uhr: Als der Fahrrad-Zug auf der Theresienwiese ankommt, klart der Himmel wieder auf. Auf den ersten Blick fühlt es sich ein wenig an wie auf dem Oktoberfest: Eine unglaubliche Menge an Menschen schiebt sich über die Wege zwischen den Wiesen. Auf der Ostseite ist ein Parkplatz für Tausende von Fahrrädern, auf der Westseite das eingezäunte Klima-Camp der IAA-Demonstranten.
Im Süden ist die Bühne, auf der eine Live-Band spielt, vor der sich schon die Menge versammelt hat. Es gibt einen Würstl-Stand, vor dem sich eine gut 50 Meter lange Schlange von hungrigen Radlern gebildet hat. Dort stehen Kati (35), Christoph (25) und Resi (23).

Die Verkehrswende ist überfällig
"Ich bin begeistert, dass so viele Leute da sind", sagt Kati. "Und dass uns so viele Zuschauer unterstützt haben", fügt Christoph hinzu.
Für sie ist die Verkehrswende überfällig. In der Stadt soll wieder mehr Platz für die Menschen geschaffen werden. Für Christoph ist der Ausbau der Fahrradwege in München aber schon auf einem guten Weg: "Sie sollten mal mit dem Rad durch Nürnberg - da ist es viel schlimmer!"

16.21 Uhr: Nicht nur auf dem Rad wird demonstriert. In den letzten Tagen kam es immer wieder zu Demos und Aktionen in der Innenstadt, am Freitag sogar zu Häuserbesetzungen in der Karlstraße. Noch ist das Camp, in dem ein Teil der Demonstranten übernachtet hat, leer. Seine Bewohner sind gerade unterwegs auf der Demo.
Demonstranten in medizinischen Schutzanzügen
Nur am Absperrzaun hängt Kleidung zum Trocknen. Vor dem Camp stehen die Studentinnen Aïssata (20) und Hanna (20), die gerade die Kürbissuppe essen, die es im Camp auf Spendenbasis gibt. Die beiden sind eigens mit dem Zug aus Zürich angereist, um mitzudemonstrieren. "In der Schweiz gibt es schon immer wieder Velo-Demonstrationen", sagt Aïssata, "aber die IAA ist ja eine internationale Ausstellung, da können auch internationale Demonstranten kommen".

Ein anderer Demonstrant, der anonym bleiben möchte, steht vor dem Camp und unterhält sich mit einem Kollegen. Er war am Vortag bei der Häuserbesetzung dabei. "Was die Bayerische Polizei für eine angemessene Reaktion auf unseren friedlichen zivilen Ungehorsam hält, finde ich schon skurril", sagt er, "die haben gestern einen von uns vom Baum gezerrt und abgeführt, bevor die Sanitäter ihn verarzten konnten."
16. 48 Uhr: Ein kleiner Lastwagen mit einem Lautsprecher auf dem Dach fährt auf den Westeingang der Theresienwiese. Er führt das letzte Drittel der Demonstranten, die zu Fuß durch die Innenstadt marschiert sind, an.
Die Demonstranten tragen medizinische Schutz-Anzüge und Masken, halten Transparente, schwingen Flaggen. Sie werden auf einer Seite flankiert von einer Polizeikette mit Beamten in voller Montur, inklusive Helmen und Schlagstöcken. Eine blaue Nebelkerze wird gezündet. Sie biegen ab zum Camp, das seine Tore jetzt geöffnet hat, und strömen hinein. Die Polizei bleibt davor stehen.