Personal-Notstand in München: Welche Branchen besonders betroffen sind
München - Die Brexit-Briten und ihr Lkw-Fahrer-Chaos: Wer sich darüber wundert (oder gar lacht), sollte auch mal in die eigene Stadt schauen. Denn auch in München brennt's in vielen Firmen, weil kein Personal mehr zu kriegen ist. Bei Pflegern und Kitapersonal sowieso, aber auch bei Köchen und Kellnern, Maurern und Installateuren, Bauelektrikern, Kfz-Mechanikern und im Gesundheitshandwerk (wie bei Hörakustikern) fehlt's.
Zunehmend brisant ist der Mangel bei Bus-, Tram- und vor allem Lkw-Fahrern. 60.000 bis 80.000 Berufskraftfahrer fehlen schon deutschlandweit, 30.000 gehen jedes Jahr in Rente, aber nur 17.000 kommen nach. "In zwei bis drei Jahren droht ein Verkehrskollaps ähnlich wie in England", schrieb letzte Woche erst der Bundesverband Güterkraftverkehr-Logistik (BGL) alarmiert.
Das spüren auch die Unternehmen in und um München. Wer von Umzügen lebt oder vom Transport von Lebensmitteln, Maschinen oder Medikamenten, muss quasi täglich logistische Meisterleistungen vollbringen.
Wie das im Alltag ausschaut? Die AZ hat sich bei Münchner Firmen umgehört.
Der Klempner-Engpass
Auf die Schnelle einen Klempner ins Haus kriegen oder einen Heizungsfachmann oder Klimatechniker? Kann man in München fast vergessen. Die sind nicht nur bei den Neubauten gebunden, die überall aus dem Boden schießen. Viele Münchner haben im Lockdown angefangen, sich ihre Bäder und Küchen erneuern zu lassen und es müssen gerade zig marode Rohre in den 50er-Jahre-Wohnhäusern erneuert werden. Die Auftragsbücher der Firmen sind voll, aber mehr Personal ist kaum zu kriegen.

Die AZ hat mit Markus Stumbaum gesprochen, Chef der Firma Stumbaum für Heizung, Sanitär, Elektro & Klimatechnik. Er sagt: "Wir könnten im Moment zehn Prozent mehr Personal gebrauchen. Leider fehlt der Nachwuchs. Der Beruf des Anlagenmechanikers für Heizung, Sanitär und Klima hat ein Imageproblem. Zum Glück haben wir im September genügend Azubis gefunden, darüber sind wir sehr glücklich. Wir rechnen damit, dass nur etwa die Hälfte der Lehrlinge nach der Ausbildung bei uns bleibt. Deshalb bilden wir über den eigenen Bedarf hinaus aus. Einige gehen nach der Lehre auf die FOS oder BOS oder machen ein Studium. Viele gehen auch in die Industrie oder den Großhandel. Die Autoindustrie wirbt auch viele ab. Die hat ein erheblich besseres Image. Ich finde den Beruf sehr schön. Er ist sehr herausfordernd, man kann viel für die Energiewende beitragen und man muss sich immer mit neuen Technologien auseinandersetzen. Es ist eine sehr abwechslungsreiche Arbeit. Ich lerne jeden Tag wieder etwas Neues dazu. Außerdem hat man viel Kontakt mit Menschen. Wenn man das mag, ist das ein wirklich toller Beruf. "
Logistik: Spitze des Eisbergs
Die Auftragsbücher sind mehr als voll, und trotzdem hat der Speditionsunternehmer Alfred Amenda (65) keine Chance, seine Firma, die in Hohenwart im Norden Münchens sitzt, weiter wachsen zu lassen. Weil er dafür mehr Personal braucht, das er nicht finden kann. 500 Lkw-Fahrer arbeiten für ihn, und sind mit rund 300 Lastwagen in der ganzen Republik unterwegs. Sie fahren als Subunternehmer für große Speditionen und Paketdienste, liefern Teile für die Autoindustrie oder Druckfarben und Rollenpapier für Großdruckereien.

Zwei Drittel seiner Fahrer kommen aus dem Ausland, viele sind Kroaten, Serben, Tschechen, Polen und Bulgaren - und wenn, dann sind sie es, die Nachwuchs bringen, aus ihrer Heimat, per Mund-zu-Mund-Propaganda, erzählt der Firmenchef. Aber es reicht nicht. "Wir haben 40 bis 50 offene Fahrer-Stellen", sagt Amenda. "Wir schaffen es gerade so, alle Linien zu besetzen, auch weil Kollegen ihre Urlaube verschieben oder weil wir Fahrer, die schon in Rente sind, als Aushilfsfahrer holen." Zuletzt hätten sie auch schon acht bis zehn Lkws auf dem Firmenhof stehenlassen müssen, weil kein Fahrer da war. Was man in Großbritannien jetzt sieht, sei nur "die Spitze des Eisbergs, das kriegen wir in zwei, drei Jahren hier auch."
Das Beste, was er machen könne, ist, dafür zu sorgen, dass kein Fahrer abgeworben wird. Weshalb Amenda nicht nur bei der Wohnungsuche hilft, sondern auch bei der Suche nach Kitaplätzen, Jobs für die Ehefrauen und viel Bürokratie. 2.200 bis 2.800 Euro netto verdient ein Lkw-Fahrer bei einer 40- bis 50-Stunden-Woche, "aber dem Beruf fehlt die öffentliche Wertschätzung", sagt Amenda. "Dabei sollten wir uns mal klarmachen: Wenn im Land die Logistik nicht mehr funktioniert, ist das, als wenn Sie einem Werk den Strom abdrehen."
Gastro: "Lieber schließen, als das Team überfordern"
Wer öfter ausgeht, hat sie vielleicht schon gesehen, die Schilder: "Heute wegen Personalmangel geschlossen". Der Gastronomie wandern die Mitarbeiter ab. Die Personalsuche bringt die Wirte an ihre Grenzen. Einer von ihnen ist Luca Gültas.

Er erzählt der AZ: "Meinen Mitarbeitern habe ich im Lockdown von Anfang an immerhin 80 Prozent ihres Gehalts gezahlt. Einige sind geblieben, aber viele, vor allem Aushilfen, sind gegangen und haben sich Jobs gesucht, bei denen sie keinen weiteren Lockdown befürchten müssen. Vor allem der zweite Lockdown mit sieben Monaten permanenter Vertröstung war eine enorme psychische Belastung für alle. Auch wenn's mir wehtut, habe ich Verständnis, wenn die Leute sich in andere Branchen orientieren. Ich setze jetzt all meine Hoffnungen in die Politik. Ich hoffe sehr, dass die geteilte Mehrwertsteuer bleibt. Wenn diese wieder auf 19 Prozent geht, dann habe ich keine Möglichkeit mehr, mein Personal adäquat zu bezahlen. Vor allem in der Küche ist der Fachkräftemangel enorm, ich suche dringend Köche und Bei-Köche. Mein Lokal Wuid ist deshalb einen Tag pro Woche geschlossen, im Miss Lilly's machen wir einen Tag und zwei Abende zu. Das ist mir lieber als meine Mitarbeiter zu überfordern. Ein gutes Arbeitsklima ist mir wichtig. Im Moment habe ich auch schon einige Anfragen für Weihnachtsfeiern. Das Geschäft ist enorm wichtig, aber ich weiß nicht, wie ich das stemmen soll."
Brummifahrer, bitte melden!
An die 1.000 Umzüge im Jahr fährt die alteingesessene Schwabinger Firma Heimerl allein in München. Dazu noch 200 nach Hamburg, Barcelona, Lyon oder Tallinn. Sie schafft das mit zehn Fahrzeugen vom Sprinter bis zum 18-Tonnen-Lkw. Und mit 30 Mitarbeitern, von denen 25 alles gleichzeitig sein müssen: Möbelpacker, Träger und Fahrer.
Genau hier sitzt das Problem, das der Firma mehr und mehr zu schaffen macht. Nur (noch) zehn der Kollegen haben einen Führerschein, mit dem sie mehr als einen kleinen Sprinter fahren dürfen. Bis 7,49 Tonnen braucht man Klasse C, wer 40 Tonnen mit Anhänger, also 18 Meter Länge, fahren will, muss die Klasse CE nachweisen. "Früher", sagt Geschäftsführer Peter Kalbitz (68), "haben viele junge Männer von der Bundeswehr einen Lkw-Führerschein mitgebracht, da hatten wir eine Auswahl an Fahrern. Heute können sich die 6.000 Euro Kosten für einen Lkw-Schein viele einfach nicht leisten." Was zur Folge hat, dass sich seit vier Jahren die Kollegen, die in Rente gegangen sind, nicht mehr ersetzen lassen. "Es stellt sich einfach keiner mehr vor, egal, wie viel wir inserieren, in Tageszeitungen, in regionalen Blättern, auch in den neuen Bundesländern."
Was heißt das für die straffen Zeitpläne der Firma jeden Tag? "Wir schaffen es, wenn alle da sind und keiner krank ist", sagt Kalbitz, "wir haben auch noch keinen Privat- oder Firmenumzug kurzfristig absagen müssen." Aber die Logistik ist wie ein Spießrutenlauf, jeden Tag. Zwei Stunden telefoniert, organisiert, disponiert Peter Kalbitz täglich, um dann, wenn es bei den eigenen Fahrern eng wird, welche bei befreundeten Firmen, Subunternehmern oder Vermittlungen auszuleihen. "Disponieren könnte ich auch in einer halben Stunde, wenn wir diese Probleme nicht hätten." Vor allem im Sommer, wenn besonders viel umgezogen wird und wenn auch Fahrer gern mal Urlaub machen möchten, ist das nur mit viel Nervenstärke zu stemmen. Den 30 anderen alteingesessenen und größeren Umzugsfirmen in München gehe das nicht anders. Mindestens fünf feste Brummi-Fahrer sucht Kalbitz noch - und findet keine. Und jetzt? Mei, sagt er, "da hilft nur, suchen, suchen, suchen".
Bäckerprofis: An der Schmerzgrenze
Man muss sich das mal vorstellen: 20.000 Brote aus 33 Sorten entstehen Nacht für Nacht mitten in der Maxvorstadt in der Backstube der Hofpfisterei. Sie werden ab 3 Uhr dann in 165 Filialen in Bayern, Baden-Württemberg und Berlin gefahren (75 davon in München) und im Lauf des Tages verkauft.
Das klappt nur dann reibungslos, wenn alle 27 Steinbacköfen in dem Münchner Traditionsunternehmen funktionieren, wenn alle 32 Bäcker da sind, genügend Sprinter- und Lkw-Fahrer und ausreichend Verkaufspersonal in den Filialen. Tatsächlich aber fehlt es in allen Bereichen, sagt Hofpfister-Sprecher Thomas Lillpopp zur AZ - also bei den Bäckern und Bäckerinnen, den Anlagentechnikern, Fahrern und im Verkauf.

"Das ging im September so weit, dass wir in München sieben Filialen nachmittags schließen mussten, weil kein Personal da war." Brenzlig wird die Lage auch dann, wenn einer der Backöfen ausfällt, weil es an Wartungstechnikern fehlt, dann steht nämlich die Produktion einer ganzen Pfister-Brotsorte still. "Noch ist alles stemmbar", sagt Lillpopp, "weil unsere Mitarbeiter zusammenhalten und Probleme mit Überstunden lösen. Aber es ist an der Schmerzgrenze - und es gibt ja keine Aussicht auf Besserung." Aktuell sucht die Hofpfisterei Personal für zwölf verschiedene Tätigkeiten, von der Bäckerin über Techniker, Einkäufer, Gebäudemanager bis zum Fahrer, dazu 20 Mitarbeiter für den Verkauf in München plus 15 für die Filialen im Münchner Umland. "Es gibt seit Anfang des Jahres aber kaum Bewerbungen", sagt der Sprecher. Inzwischen ist der Traditionsbetrieb dazu übergegangen, im Verkauf nicht mehr nur nach Fachpersonal zu suchen, sondern Quereinsteiger vor Ort zu schulen. "Bei uns ist jeder willkommen, der gerne verkauft, alles über unsere Produkte, Preise, Hygienevorschriften oder das Kassensystem lernen will und gesunden Menschenverstand mitbringt."
"IT-Kräfte schwer zu rekrutieren"
Wir wollen zu einem der fünf attraktivsten Arbeitgeber der Stadt werden", sagt Werner Albrecht, Personalgeschäftsführer der Stadtwerke München (SWM). Seit 18 Jahren ist Albrecht bei den SWM tätig und kennt die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt bestens. Das zentrale Übel sei, dass in der Stadt so hohe Mieten verlangt werden. Und dagegen gehen die SWM offenbar erfolgreich vor, indem sie die Zahl der Werkswohnungen mit bezahlbaren Mieten massiv erweitern und so Wohnraum für die Mitarbeiter schaffen. Das sei entscheidend für viele Fahrdienst- oder Bäder-Beschäftigte. Derzeit verfügen die SWM über etwa 1.200 Wohnungen. Und es sollen noch mehr werden: "2030 wollen wir unseren Mitarbeitern insgesamt 3.000 Wohnungen anbieten können", sagt Albrecht. Bei etwa 10.000 Mitarbeitern sei das eine Quote, die er sonst bei keinem anderen Münchner Arbeitgeber kenne - und daher ein Alleinstellungsmerkmal.

Erst kürzlich habe man 118 Mietwohnungen an die eigenen Beschäftigten übergeben. Über die Anzahl der Bewerber bei den SWM kann Albrecht nicht klagen. Sie stieg trotz Corona an. 2018 gingen 16.000 Bewerbungen ein. 2020 waren es 26.000. Auch 2021 erwarte man ähnliche Zahlen. "Es gibt umkämpfte Märkte", sagt der Personal-Experte. Die besten Bauingenieure und IT-Kräfte oder auch Juristen seien schwieriger zu rekrutieren, klagt der SWM-Chef.
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