Auch auf der Wiesn: Nein heißt nein

München - Du kannst deine Freunde verlieren, deine Handtasche, aber niemals verliest du dein Bein, soll die volltrunkene Amerikanerin gesagt, ihre Kniestrümpfe runtergezogen und stolz die Handynummer ihrer Freundin auf den Wadln präsentiert haben. Zuvor war sie völlig aufgelöst, weil sie nicht wusste, in welchem Hotel sie untergebracht ist.
So erzählt es Kristina Gottlöber vom Verein Imma für junge Mädchen. Mit dem Frauennotruf und dem Verein Amyna sind die Imma-Mitarbeiter Ansprechpartner für weibliche Wiesnbesucher. Seit 15 Jahren gibt’s die Aktion "Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen" und genau so lange das immerselbe Problem.
Jemand trinkt zuviel, verliert seine Freunde, hat die Handtasche im Zelt, aber welches Zelt war’s noch mal? "Das sind Situation, in denen Frauen in Panik geraten. Oft sind sie aus dem Ausland, alles schaut gleich aus, sie wissen nicht, in welchem Hotel sie sind. In einer solchen Hilflosigkeit kommt es zu Gefährdungssituationen", sagt Gottlöber. Gefährdungssituationen heißt: Männer werden aufdringlich, grapschen, tatschen und schlimmeres.
31 Sexualdelikate wurden auf der Wiesn im vergangenen Jahr angezeigt. "Wir wissen, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist", sagt Gottlöber. Nicht nur, weil Sexualdelikate aus Scham oft nicht angezeigt werden. Sondern weil viele Frauen, die sich bedroht oder belästigt fühlen, zum Security Point im Servicezentrum hinter dem Schottenhamel kommen. Täglich von 18 bis 1 Uhr, samstags ab 15 Uhr, helfen zwei Sozialpädagogen und bis zu zehn geschulte Ehrenamtler: Mit einem Kabel, um das Handy zu laden. Frischer Kleidung. Fahrdienst nach Hause. Rumtelefonieren, bis das Hotel gefunden ist, in dem die Frau untergekommen ist. Oder, wenn nötig, langen Beratungs- und Begleitungsangeboten. "Wir haben Beratungen, die bis zu sechs Stunden dauern, wenn wir eine Frau zur Polizei und in die Rechtsmedizin begleiten", sagt Gottlöber.
Das Team informiert schon vor der Wiesn in den Schulen und hilft auch danach Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden. 216 Hilfesuchenende haben sich 2016 an das Team im Security-Point gewandt. "Unsere Kapazität ist damit personell aber auch räumlich erschöpft", sagt Gottlöber.
Neue Gesetzeslage
Heuer will das Team schauen, ob noch mehr Mädchen und Frauen zu ihnen kommen, um eventuell aufzustocken. Schon im vergangenen Jahr waren die Zahlen angestiegen. Auch, weil der Bundestag das Sexualstrafrecht verschärft hat. "Frauen konnten grapschende Männer bisher nicht anzeigen", sagt Gottlöber. "Nein heißt nein predigen wir, seit es uns gibt. Ein Fortschritt, dass das jetzt gesetzlich verankert ist."
Trotzdem sollten Mädchen und Frauen einfache Tipps beherzigen, so Gottlöber: Sie sollen sich auf dem Gelände nicht schlafen legen, Getränke nicht unbeaufsichtig lassen und vorab eindeutige Treffpunkte wie das Riesenrad vereinbaren, falls man sich verliert. Außerdem sollten sie wichtige Adressen und Telefonnummern am Körper tragen. So wie die Amerikanerin, die die Handynummer ihrer Freundin dick und fett auf dem Bein stehen hatte. "Egal, was die Frau anhat, wie betrunken sie ist und wie sehr sie flirtet. Die Frau trägt keine Schuld an einem sexuellen Übergriff", sagt Gottlöber.