"Das ist nicht akzeptabel": Keine Entschädigung für Fahrgäste nach dem Schneechaos in München?
München - Dann halt lieber kein Dessert: Am Abend der Weihnachtsfeier der AZ am 1. Dezember 2023 verlasse ich die Party schon etwas früher. Ich war mit der Bayerischen Regiobahn aus dem Chiemgau nach München gefahren. Angesichts der massiven Schneefälle will ich die Bahn um 21.52 Uhr erwischen.
Schneechaos in München: Auf einmal ging nichts mehr
Was aber nicht klappt: Nach über einer Stunde Warten ist klar, dass auf der Bahnstrecke nichts mehr gehen wird. Also zurück zur Weihnachtsfeier, wo mir netterweise meine Kollegin anbietet, dass ich bei ihr übernachten kann. Noch eine Nacht will ich meiner Kollegin aber nicht zumuten, als sich herauskristallisiert, dass auch am Samstag keine Züge fahren. Es folgen eine Nacht im Hotel und eine Taxifahrt am Sonntag, die mich und drei weitere Gestrandete an den Bahnhof in Bergen im Chiemgau bringt – für schlappe 250 Euro.
Für das Hotel, ein Mittagessen und die anteiligen Taxikosten möchte ich 223,60 Euro erstattet haben. De facto sind meine Kosten noch höher (Deo, Kontaktlinsenmittel und so weiter) – ich reiche sie aber gar nicht erst ein.
Deutschlandticket-Nutzer können Fahrgastrechte bei der Bahn nicht online geltend machen
Die Bahn bietet zwar die Möglichkeit, Fahrgastrechte online geltend zu machen. Nur geht das beim Deutschlandticket, das ich nutze, nicht, wie die Deutsche Bahn auf AZ-Anfrage einräumt. Ich sende also am 4. Dezember einen Screenshot und das entsprechend ausgefüllte Fahrgastrechteformular per E-Mail an die Bahn – und zwar mangels Information an drei E-Mail-Adressen, die ich per Google gefunden habe.
Im Dezember bekomme ich dann drei Briefe vom Fahrgastrechtecenter. Kurioserweise wird in jedem Brief um etwas anderes gebeten: Da ist einmal von meiner Reise nach Bergen auf Rügen statt im Chiemgau die Rede, in zwei Briefen heißt es, mein Ticket fehle, dann soll ich wiederum meine Kontoverbindung angeben – all das habe ich geschickt. Ich rufe daraufhin bei der Bahn an und teile mit, dass drei Fälle nur einer sind. Tatsächlich hatte auch ich einen Fehler gemacht und die Essens-Rechnung vergessen, die ich sofort nachreiche.
Ende Januar bekomme ich wieder drei Briefe vom Service-Center Fahrgastrechte mit dem Hinweis, die Bearbeitung dauere noch etwas länger. Offenbar hat das Fahrgastcenter die überflüssigen zwei "Fälle" nicht beendet. Eine Rückfrage bei der Bahn ergibt: "Ihre ursprüngliche Anfrage ging an verschiedene Kundenservice-Adressen und hat deshalb dazu geführt, dass mehrere Fälle angelegt wurden. Bei der Weiterleitung an unser Servicecenter Fahrgastrechte kam es zu einer Dopplung, für die wir um Entschuldigung bitten."
Zwei Monate Warten für nichts: "BRB nimmt nicht am gemeinsamen Entschädigungsverfahren teil"
Schlussendlich erreichen mich drei Briefe, datiert mit 31. Januar, 4. Februar und 6. Februar. "Leider nimmt das von Ihnen angegebene Eisenbahnverkehrsunternehmen BRB nicht am gemeinsamen Entschädigungsverfahren teil." Sage und schreibe zwei Monate, nachdem ich meine Kosten eingereicht habe, erfahre ich, dass ich an der falschen Stelle bin. Zwei Monate Warten für nix! Ich komme mir inzwischen vor wie Asterix, als er den Passierschein A38 jagt.
Ob ich überhaupt etwas zurückkriege, ist die andere Frage. Denn für das günstige Deutschlandticket gelten eingeschränkte Fahrgastrechte. Wie das im Falle des ersten Dezember-Wochenendes ausgelegt wird, ist noch offen. Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr teilt mit, dass jedoch auch Reisende mit dem Deutschlandticket Rechte haben.
Sofern der letzte Zug des Tages ausfalle, so dass der Zielort nicht mehr bis 24 Uhr erreicht werden könne, dürfen Reisende ein alternatives Verkehrsmittel wie Bus oder Taxi nutzen. "Die hierfür entstehenden Aufwendungen sind dem Reisenden bis zu einer Höhe von 120 EUR zu erstatten", so eine Sprecherin auf AZ-Anfrage.
War der Wintereinbruch ein "außergewöhnlicher Umstand"?
Eine Hotelübernachtung müsste laut Schlichtungsstelle eigentlich auch angeboten werden. Nur: "Bezüglich des Wintereinbruchs im Dezember 2023 in Bayern können wir nicht abschließend beurteilen, ob es sich dabei um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, bei dem die Eisenbahnunternehmen nicht verpflichtet sind, eine Verspätungsentschädigung zu zahlen." Zwar fielen darunter auch "extreme Witterungsbedingungen, die hier möglicherweise bejaht werden könnten". Aber war der Wintereinbruch wirklich extrem? Das ist wohl Auslegungssache der Transportunternehmen, die sich aber laut Schlichtungsstelle kulant zeigen: "Wir haben diesbezüglich noch keinen Schlichtungsantrag erhalten."
Ich denke in diesem Moment mit einer gewissen Sehnsucht an meine Nachtzugfahrten mit der ÖBB. Die waren zwar auch oft verspätet, aber immerhin fuhren sie. Und ich habe noch aus dem Urlaub online die Fahrgastrechte geltend gemacht. Binnen einer Woche, einmal sogar binnen 48 Stunden hatte ich meine Rückerstattung.
Warum kriegt das die Deutsche Bahn nicht hin? Auf diese Frage erhalte ich keine Antwort. Wohl aber von Jürgen Baumgärtner (CSU), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bayerischen Landtag. Er lässt kein gutes Wort an der Deutschen Bahn: "Was hier geschildert wird, ist nicht akzeptabel." Es zeige aber überaus deutlich, wie überfordert das Gesamtsystem Schiene in Deutschland sei. Denn es gehe nicht nur um große Herausforderungen bei der Infrastruktur, sondern auch um tiefe Organisationsmängel.
Als ich diesen Artikel schreibe, bekomme ich wieder Post vom Fahrgastrechtecenter. Den identischen Hinweis mit Verweis auf die BRB. Es sind jetzt insgesamt zehn Briefe. Inzwischen habe ich bei der BRB online meine Unterlagen eingereicht. Laut BRB-Sprecherin sei mit mindestens zwei Wochen Bearbeitungszeit zu rechnen. Nun ja. Vor dem AZ-Sommerfest wäre schön.
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