Interview

Münchner Politikwissenschaftler über Koalitionsstreit: "Spahn hat kein gutes Gespür"

Der Münchner Politikwissenschaftler Johannes Steup beleuchtet im AZ-Interview den Streit der Bundesregierung über die Rentenpolitik. Inwiefern das an einer miesen Kommunikation der Union liegt, welche Parallelen zu Weimar gezogen werden und was das für Merz bedeutet.
von  Ralf Müller
Jens Spahn, Fraktionsvorsitzender der Union, sitzt während einer Regierungsbefragung im Plenum des Bundestags.
Jens Spahn, Fraktionsvorsitzender der Union, sitzt während einer Regierungsbefragung im Plenum des Bundestags. © Michael Kappeler/dpa

Der Rentenstreit innerhalb der Union und zwischen Union und SPD wird zur Belastungsprobe für Schwarz-Rot – und für Bundeskanzler sowie CDU-Chef Friedrich Merz. Doch wie schwer ist die Krise wirklich? Der Münchner Politikwissenschaftler Johannes Steup beleuchtet im Interview mit der AZ die Hintergründe.

AZ: Herr Steup, in der Berliner Koalition tobt ein Streit über die Rentenpolitik. Hat er das Zeug, die Regierung zu zerlegen?
JOHANNES STEUP: Die Streitfrage der Rentenpolitik hat inhaltlich eigentlich nicht den Sprengstoff für eine Regierungskrise. Das Problem ist eher, dass diese Regierung ihr Versprechen, eine Arbeitskoalition zu sein, nicht einhalten kann. Seit Merz zum Kanzler gewählt wurde, gibt es immer wieder Uneinigkeiten in der Koalition, die auch nach außen dringen. Der Rentenstreit ist das nächste Kapitel und so kehrt keine Ruhe ein. Das ist das Gefährliche.

Es mehren sich die Unkenrufe, wonach die schwarz-rote Regierungskoalition – wie schon die Ampel – die Legislaturperiode nicht durchhalten wird. Wie ist Ihre Einschätzung?
Alle drei an dieser Koalition beteiligten Parteien haben kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen. Das stützen auch die Umfrageergebnisse. Beim Bruch der Ampel-Koalition vor einem Jahr hat man gesehen, dass die Wähler einen – wie es FDP-Chef Lindner damals formuliert hat – "Mut zum Bruch" nicht honorieren, sondern die Parteien, die den Bruch herbeigeführt habe, an der Wahlurne abstrafen. Das kann sich dementsprechend weder Union noch SPD leisten.

Münchner Politikwissenschaftler: "Der Dissens ist nicht groß genug"

Ist denn die künftige Rente und die Überforderung des Staates kein gewichtiges Zukunftsthema?
Die Rentenpolitik ist ein sehr wichtiges Thema, das man in den nächsten Jahren klären muss. Aber der Dissens zwischen den Beteiligten ist nicht groß genug, um ein solches Schauspiel zu veranstalten. Die 18 Abgeordneten der Jungen Union, die das Ganze angestoßen haben, hätten sich ja auch innerhalb der Unionsfraktion melden können und sagen, das tragen wir so nicht mit. Die Konfrontation zu suchen und sie in die Öffentlichkeit zu tragen, kann man machen, wenn die inhaltlichen Positionen weit auseinandergehen. Aber das sehe ich hier nicht.

Steup ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität der Bundeswehr in Neubiberg.
Steup ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. © Patricia C. Lucas, Universität der Bundeswehr

Handelt es sich hier nach der Verfassungsrichterwahl um ein neuerliches Versagen des Unionsfraktionsvorsitzenden Jens Spahn?
Herr Spahn hat offenbar kein gutes Gespür, was seine Fraktion angeht. Man könnte sagen: Dann sind eben die Beschlüsse der Regierung falsch, aber diese 18 jungen Unionsabgeordneten werden nicht erst seit gestern diesen Standpunkt eingenommen haben. Da stimmt in der Kommunikation etwas nicht.

Unter anderem CSU-Chef Markus Söder warnt gelegentlich vor Weimarer Verhältnissen, als die Zerstrittenheit der Demokraten den Radikalen den Weg an die Macht gebahnt hat. Sehen Sie auch Parallelen?
Da wäre ich sehr vorsichtig, schon weil ich AfD und NSDAP nicht gleichsetzen würde, aber auch, weil die Demokraten in Weimar nicht nur miteinander gestritten, sondern auch nicht mehr an einem Strang gezogen haben. Sie hatten keine gemeinsamen Ideen mehr für die Zukunft der Republik. Das ist heute nicht der Fall. Worüber jetzt gestritten wird, ist viel kleinteiliger. Dass sich Union und SPD zum Thema Sozialstaat und Rente nicht einig sind, ist ja auch normal. Aber dass der Streit in der Öffentlichkeit so ausgetragen wird, ist das Problem.

Zukunft des Kanzlers: "Ein Scheitern würde auf Merz zurückfallen"

Auch wenn keine der beteiligten Parteien ein Interesse am Platzen der Koalition hat, so ist es doch nicht ausgeschlossen. Wäre dann eine Regierungsbeteiligung der AfD überhaupt noch zu verhindern?
Auf jeden Fall. Ich bin sicher, auch beim Platzen dieser Regierungskoalition würde eine von SPD und Grünen tolerierte CDU-Minderheitsregierung funktionieren. Ich bin mir sehr sicher, dass Grüne, SPD und Union imstande wären, zum Beispiel einen Haushalt zu beschließen. Nur weil diese Regierungskoalition nicht funktioniert, heißt das nicht automatisch Neuwahlen oder eine Koalition zwischen CDU und AfD. Das ist kein Automatismus.

Das Kapitel Merz wäre dann aber wohl beendet?
Wenn Friedrich Merz kein Jahr als Bundeskanzler durchhält, wird er auch innerhalb der Union nicht mehr das Vertrauen haben, um in einer Minderheitsregierung als Kanzler zu fungieren. Ein Scheitern dieser Regierung würde sehr stark auf die Person Merz zurückfallen und für ihn das Aus bedeuten.

Es wird ja 2026 auch in einigen Bundesländern gewählt. Bedeutet die Entwicklung in Berlin noch mehr Rückenwind für die AfD?
Mit den Umfragen in den neuen Bundesländern wäre ich vorsichtig. Natürlich ist die AfD in den ostdeutschen Bundesländern aktuell sehr stark und nicht funktionierende Politik stärkt gerade populistische Oppositionsparteien. Der Streit um die Rentenpolitik spielt der AfD in die Karten und natürlich wäre das auch so bei einem Scheitern der Regierung.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.