Münchner Anwalt: Es gibt derzeit keine fairen Verfahren mehr

München - Adam Ahmed ist Strafverteidiger aus München. MIt der AZ spricht der 49-Jährige über die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Verhalten vor Gericht.
AZ: Herr Ahmed, was für Maßnahmen sind im Justizzentrum getroffen worden, um die Prozessbeteiligten zu schützen?
ADAM AHMED: Es wurde ein Desinfektionsmittelspender nach dem Eingangsbereich am Fahrstuhl aufgestellt. Zudem werden die Sitzungssäle angeblich regelmäßig desinfiziert, gelüftet und die Prozessbeteiligten erst zehn Minuten vor Beginn eingelassen. Alle sollen Abstand voneinander halten, für Besprechungen zwischen Mandant und Verteidiger muss die Sitzung unterbrochen werden.
Ahmed: "Bestimmte Grundsätze sind derzeit vor Gericht nicht gegeben"
Sie klingen unzufrieden mit diesen Maßnahmen.
Das möchte ja keiner, dass wegen jeder Kleinigkeit die Sitzung unterbrochen wird. Bei weiterführenden Maßnahmen wie Masken obliegt es derzeit dem Richter, was er anordnet. Da haben Sie ein Gebäude, aber darin handhabt es jeder Richter anders – auch, ob ein Prozess pausiert. Da frage ich mich schon, ob wir uns an der Gefährdungslage oder am Verfahrensstand orientieren.
Die Antwort scheint für Sie klar, deshalb haben Sie schon drei Verfassungsbeschwerden eingelegt.
Ja, denn bestimmte Grundsätze, die vor Gericht gelten müssen, um ein faires Verfahren zu garantieren, sehe ich nicht mehr gegeben in der derzeitigen Situation. Schon allein die Tatsache, dass kurze Rückfragen oder Dialoge zwischen Verteidigung und Mandant während einer laufenden Verhandlung – wie bisher – überhaupt nicht mehr möglich sind, sehe ich als einen Verstoß gegen das faire Verfahren an. Auch der Grundsatz der Öffentlichkeit ist in einem Rechtsstaat von eklatanter Bedeutung.
Ahmed: "Ich werde meinen Mandanten empfehlen, in Revision zu gehen"
Wollen Sie Revision einlegen?
Ich werde meinen Mandanten sicher empfehlen, davon Gebrauch zu machen. Ich begleite zum Beispiel seit mehreren Monaten einen Rockerprozess, der immer sehr gut besucht war. Zuletzt hatten wir null Zuschauer statt etwa 40 bei diesem Prozess. Nicht nur, dass eine quasi Ausgangsbeschränkung in Bayern gilt und die Plätze im Sitzungssaal massiv reduziert wurden. Bei diesem Prozess hat auch eine Kriminalhauptkommissarin unmittelbar nach der Bekanntmachung der Verfügung und nochmals vor Sitzungsbeginn den Rockerangehörigen mitteilen lassen, es stelle nach derzeitiger Auslegung des Innenministeriums keinen triftigen Grund im Sinne der erlassenen Allgemeinverfügung dar, an einer öffentlichen Hauptverhandlung teilzunehmen. Es kamen also keine Zuschauer und damit gab es keine Öffentlichkeit mehr. Das Gericht konnte durch die Durchführung der Verhandlung aber eine damals noch geltende Frist einhalten, in der binnen von drei Wochen mindestens einen Tag verhandelt werden musste.
Das wurde mittlerweile geändert.
Genau. Der Bundestag hat beschlossen, dass strafgerichtliche Hauptverhandlungen während der Coronakrise drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden können. Nach diesem Beschluss fand der nächste Verhandlungstag beim Rockerprozess nicht mehr statt.
Ahmed: "Ich setze mich weiterhin für einheitliche Regelungen vor Gericht ein"
Warum ist die Öffentlichkeit so wichtig bei Prozessen?
Wenn ein Rechtsstaat urteilt im Namen des Volkes, muss das Volk zu seinen Prozessen zugelassen sein. Es handelt sich hierbei um die "heilige Kuh" im Strafprozess.
Ist man Ihrer Auffassung gefolgt und wurde der Verfassungsbeschwerde stattgegeben?
Die sogenannten Hauptsacheverfahren laufen noch. Den Eilanträgen ist man jedoch nicht gefolgt. Ich setzte mich daher weiter dafür ein, dass einheitliche Regelungen vor Gericht gefunden werden und nicht eine Ungleichbehandlung bei Prozessen stattfindet.
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