München bald ohne Mercedes-Autohäuser? 750 Mitarbeiter hoffen auf einen Kurswechsel
München – Nachdem der geplante Verkauf aller Niederlassungen der Mercedes-Benz Group AG öffentlich wurde, ist die Stimmung bei Deutschlands Premium-Autohersteller offenbar schlecht. In Mitarbeiterkreisen ist von hohen Krankenständen die Rede. Mehrere Angestellte befürchten außerdem den Einstieg eines ausländischen Großinvestors, der die Arbeitsstätten aufkaufen könnte. Die Sorge vor Lohnkürzungen oder Entlassungen wächst unter den Beschäftigten.
Spätestens in fünf Jahren soll der Verkauf aller 80 Niederlassungen abgewickelt sein. Wie die Zukunft der 8000 Beschäftigten – 750 davon in der bayerischen Landeshauptstadt – dann aussieht, handeln gerade der Betriebsrat und der Vorstand des milliardenschweren Aktienkonzerns aus. "Es soll transparent werden, was ein großes Unternehmen hier gerade mit seinen eigenen Mitarbeitern macht", sagt der Betriebsrat Lucas Marchlewitz, zuständig für die Niederlassungen in München, zur AZ. "Wir werden uns sehr stark gegen den Verkauf stemmen und versuchen, das Beste für die Kolleginnen und Kollegen herauszuholen."
"Sie können uns nicht einfach entlassen": Mercedes-Betriebsrat will für Mitarbeiter in München kämpfen
Konkret geht es in den Verhandlungen laut Marchlewitz um 35 Punkte – vom Gehalt bis zur Altersvorsorge. Bisher genießen die Mitarbeiter durch die Konzernbindung Privilegien, die Angestellte in mittelständischen Autohäusern oft gar nicht mehr gewohnt sind. Darunter: vermögenswirksame Leistungen, ein Inflationsausgleich, Bonifikationen. Diese und weitere Leistungen soll auch der neue Inhaber garantieren.
Auch zu betriebsbedingten Kündigungen soll es nicht kommen. Bis Ende 2029 sind diese ohnehin durch eine Beschäftigungssicherung von Mercedes-Benz ausgeschlossen, unklar ist aber, wie es langfristig weitergeht. "In unseren Augen ist das ein scharfes Schwert, was wir in unseren Händen halten: Sie können uns nicht einfach entlassen", meint der Betriebsrat.
Jedes Auto kostet jetzt gleich viel: Tesla-Chef Elon Musk hat Handel ins Internet verlagert
Was gerade bei Mercedes-Benz vor sich geht, ist in der Automobilindustrie kein Sonderfall. Viele Hersteller haben zahlreiche Niederlassungen verkauft. Los ging es vor wenigen Jahren durch eine Veränderung, die der Milliardär und Tesla-Chef Elon Musk in den USA angestoßen hat: Er verlagerte den Fahrzeugvertrieb vom Autohaus ins Internet. Dort können Kunden ihr Wunschfahrzeug direkt auf der Herstellerseite bestellen oder sich das Auto über das sogenannte "Agenturmodell" in Autohäusern anschaffen.
Früher war das anders: Die Händler haben ihre Autos vom Produzenten gekauft und dann teilweise rabattiert an Kunden weitergegeben. Beim "Agenturmodell" verkaufen die Händler Fahrzeuge allerdings im Auftrag des Herstellers. Das Geld fließt dann also direkt vom Kunden an die großen Automobilkonzerne, der Händler bekommt für seine Arbeit "nur" eine Vermittlungspauschale.
Warum das geändert wurde? "Dadurch kostet jedes Auto in jedem Autohaus jetzt den gleichen Preis", sagt Sascha Röwekamp zur AZ. Er ist Chef einer Unternehmensberatung in Münster und hat als Prokurist für große Autohandelsgruppen verhandelt. Für ihn ist der Verkauf der Autohäuser von Mercedes-Benz eine "logische Vorgehensweise". Es sei konsequent, "den Händlern, die in der Region unterwegs sind, das Geschäft zu überlassen."
"Chinesen sind auf dem Vormarsch": Deutsche Automobil-Konzerne unter Zugzwang
Röwekamp versteht zwar auch die Sicht des Betriebsrats, trotzdem müsse man beide Seiten der Medaille erkennen. Dabei spiele auch der internationale Markt eine Rolle: In anderen Ländern, zum Beispiel in den USA oder in China, würde es eigene Vertriebswege der Produzenten größtenteils gar nicht geben. Stattdessen setze man dort auf Handelsketten – ein Modell, das sich mittlerweile auch hier etabliert.
Das unterstreicht auch ein vor neun Jahren geschlossener Mercedes-Deal. Damals kaufte das Unternehmen Lei Shing Hong aus Hongkong Mercedes-Niederlassungen in Ostdeutschland. Mittlerweile gilt es als weltweit größter, ungebundener Verkäufer von Mercedes-Fahrzeugen. "Auch unter Lei Shing Hong verdienen die Menschen gutes Geld und haben jemanden im Rücken, der weiß, wie das Geschäft läuft", meint der Experte Röwekamp.
Neben dem Einstieg von chinesischen Investoren etablieren sich ihm zufolge auch viele Marken aus dem Land in Europa. "Die Chinesen sind auf dem Vormarsch. Das heißt, BMW, Audi, Volkswagen und Mercedes müssen jetzt den richtigen Weg gehen und den modernen Vertrieb nicht verpassen", sagt Röwekamp. "Da muss man doch als Konzernchef, wenn man Verantwortung für mehr als 100.000 Mitarbeiter trägt, sich auf seine Kernaufgabe fokussieren: Autos zu entwickeln und nicht zu verkaufen."
"Eine Katastrophe": Berater spricht von massiven Auswirkungen für die Mitarbeiter
Das sieht auch der Berater Alexander Asch aus der Metropolregion Hamburg ähnlich. Trotzdem müsse man abwarten, ob die neuen Vertriebswege wirklich angenommen werden: "Ob das auf lange Sicht funktionieren wird, muss vor allem der Kunde entscheiden", sagt der Experte zur AZ. Seit 36 Jahren arbeitet er im Kfz-Bereich und unterstützt mit seiner Firma Autohäuser unter anderem bei der Digitalisierung und bei ihrem Auftritt auf Sozialen Medien.
Laut Asch werden Niederlassungen in erster Linie verkauft, um die Konzerne zu entlasten. Immobilienkosten und zahlreiche administrative Aufgaben, zum Beispiel im Personalbereich, fallen dadurch weg. Ob das auch für die Angestellten positiv ist, ist fragwürdig. "Aus Sicht der Arbeitnehmer von vor Ort ist das eine Katastrophe", meint der Berater. Seiner Einschätzung nach werden einzelne Arbeitgeber unter einem neuen Inhaber "sicherlich" Abstriche hinnehmen müssen.
"Wir geben eine Urkompetenz aus der Hand": Einstieg von ausländischen Investoren birgt Risiko
Zudem vermittle der mögliche Verkauf an einen ausländischen Investor ein klares Bild: "Wir geben eine eigene Urkompetenz ein bisschen aus der Hand." Zwar würden die Hersteller immer darauf verweisen, dass dasselbe Personal vor Ort bleibe, unterm Strich hätten dann aber ausländische Investoren trotzdem Hoheit über die Geldflüsse.
Was die Lösung im Spagat zwischen internationaler Wettbewerbsfähigkeit und dem Mitarbeiter-Wohlempfinden ist? Asch wünscht sich, dass Händler und Hersteller mehr aufeinander zugehen. Gerade beim Ausrollen neuer Vertriebswege im Internet dürfe es nicht nur um die Abschöpfung der Produzenten gehen.
Im Kampf um die Standorte in München will sich der Mercedes-Betriebsrat Lucas Marchlewitz auf jeden Fall noch lange nicht geschlagen geben. Schließlich geht es auch um seinen eigenen Arbeitsplatz. Deshalb gilt für ihn das Motto: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren."
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