Fachkräftemangel in München verschärft sich: Nun müssen sogar die Jüngsten darunter leiden
München – Zuerst dachte Lars Förster, sein Sohn Emil, vier Jahre alt, habe einen Sonnenstich. Schließlich war die Familie gerade in Portugal am Meer, schließlich hatte Emil Kopfschmerzen, Übelkeit – und sind das nicht die Symptome? Aber es wurde nicht besser, als die Familie wieder zu Hause war. Vor allem die Nächte, sagt Lars Förster, waren eine Katastrophe: "Er hat nur geschrien."
Am Dienstag vor zwei Wochen bekam die Familie die Diagnose: Emil hat einen Hirntumor. "Es hieß, er muss sofort operiert werden", sagt Lars Förster. Eigentlich heißt er anders, doch solange unklar ist, ob sein Sohn gesund wird, will er lieber nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen.
Diagnose Hirntumor, doch OP im Klinikum Großhadern in München wird ständig verschoben
Die Familie entschied sich für eine große Klinik in München, von der alle sagten, dass dort die besten Ärzte arbeiten. Eigentlich hätte die OP am Donnerstag, also zwei Tage nach der Diagnose stattfinden sollen, sagt Lars Förster. "Aber dann hieß es plötzlich: Das einzige freie Bett auf der Kinderintensivstation ist durch einen Notfall belegt."
Auch auf die nächsten Tage folgte auf das Hoffen, auf das Warten immer wieder eine Absage. "Am Montag weckte die Nachtschwester meine Frau um 4 Uhr morgens, sie sagte, es sieht gut aus, halten Sie Ihren Sohn nüchtern." Aber um 12 Uhr mittags war klar: Es wird wieder nichts aus der OP. Und Lars Förster verstand langsam den Grund: "Es liegt nicht daran, dass die Klinik zu wenig Betten hätte oder zu wenig Ärzte oder zu wenig Maschinen. Es liegt einzig daran, dass Pflegepersonal fehlt."
Weil Personal fehlt, kann das Klinikum Großhadern Betten auf der Kinderstation nicht belegen
Dass dieser Eindruck stimmt, belegen die Zahlen, die der Landtagsabgeordnete Florian Siekmann von den Grünen vor Kurzem von der bayerischen Staatsregierung erfragt hat.
Er wollte wissen, wie gravierend der Fachkräfte-Mangel in den Kinderintensivstationen der Universitätskliniken im Freistaat wirklich ist. Am Klinikum Großhadern gibt es demnach eigentlich 14 Betten auf der Kinderintensivstation. Sechs davon kann die Klinik allerdings nicht belegen, weil Personal fehlt. Das war in den Vorjahren nicht anders: Seit 2018 fehlen immer zwischen drei und sechs Betten.

Zuständig für die Universitätskliniken ist das bayerische Wissenschaftsministerium. "Die CSU hat das Problem offensichtlich ignoriert", sagt Siekmann. Schließlich werde der Personalmangel von Jahr zu Jahr immer größer.
Dass es im Klinikum Großhadern ausreichend Pflegekräfte gab, ist zehn Jahre her
Bestimmt zehn Jahre sei es her, dass die Kinderintensivstation zuletzt genügend Pflegekräfte hatte, um alle Betten auch belegen zu können, sagt Nikolaus Haas. Er leitet die Kinderintensivstation in Großhadern. 14 bis 15 Vollzeitpflege-Kräfte könnte er sofort einstellen, sagt er. Weil die meisten Teilzeit arbeiten, fehlen eigentlich sogar 30 Menschen.

Die Folgen spürt nicht nur Familie Förster. Es komme immer wieder vor, dass schwerkranke Kinder verlegt oder lebensnotwendige Operationen verschoben werden müssen, schildert Haas: "Jeder Tag Warten heißt, dass aus einem noch stabilen Patienten ein Notfall werden könnte."
Wie viele Kinder verstorben sind, weil sich Operationen verzögerten oder eine Verlegung notwendig war, kann Haas nicht sagen. Dass Komplikationen und sogar Todesfälle vorkommen, habe er aber von einigen Kollegen gehört.
In der Intensivpflege für Kinder ist der Fachkräftemangel besonders groß
Verschärfend kommt hinzu: Die Kinderintensivstation in Großhadern gehört zu den größten in der Region, wo vor allem auch die Eingriffe gemacht werden, die alle anderen Krankenhäuser nicht schaffen. "Wenn ein Kind eine künstliche Lunge oder ein künstliches Herz braucht, wird es zu uns verlegt", sagt Haas. In Großhadern arbeiten seiner Einschätzung nach genug Spezialisten, doch Pflegekräfte fehlen.
Eigentlich ist auf einer Intensivstation eine Pflegekraft für einen schwer kranken Patienten zuständig, in Großhadern könne es manchmal vorkommen, dass sich eine Kraft um drei sehr kranke Patienten gleichzeitig kümmern müsse. "Auch bei der besten Schwester würde da die Qualität leiden", sagt Haas. Pflegekräftemangel gibt es zwar überall, aber ausgerechnet auf den Stationen, wo schwerstkranke Kinder wieder gesund werden sollen, ist die Personalnot besonders groß, schildert Haas.
Fehlende Pflegekräfte: "In München ist der Mangel noch extremer, weil hier das Leben so teuer ist"
Denn gerade im Bereich Kinderintensivmedizin würde viel zu wenig Pflegepersonal ausgebildet. Dazu muss man wissen: Seit ein paar Jahren gibt es eine generalistische Pflege-Ausbildung, also eine, die dazu befähigen soll, in allen Bereichen zu arbeiten. Allerdings sammeln die Azubis in der Kinderintensivmedizin kaum Erfahrungen – es sei zum Beispiel erlaubt, Praxis-Einsätze auch in einer Kindertagesstätte abzuleisten.
Wie man ein krankes Neugeborenes richtig füttert und pflegt, beobachtet und bewertet, wie es ihm geht, lernen sie dort nicht, erklärt Haas. Hinzu komme: "In München ist der Mangel noch extremer, weil hier das Leben so teuer ist."
Kritik an der Politik: "Es kann doch nicht sein, dass Betten leerstehen, weil Pfleger fehlen"
Der Grünen-Abgeordnete Siekmann fordert deshalb, dass der Staat in München eine höhere Ballungsraumzulage zahlt. Momentan bekommen Pfleger an den staatlichen Unikliniken eine Zulage von rund 136 Euro, das ist die Hälfte verglichen mit dem, was das Personal an den städtischen Kliniken erhält. "Eine Verdopplung wäre also das Mindeste", sagt Siekmann. Außerdem fordert er weitere finanzielle Anreize: Wer fortbildet, etwa um Azubis anzuleiten, soll Zulagen bekommen.
Auch Haas glaubt, mehr Geld könnte helfen. Für Nacht- und Wochendienste gebe es momentan ein paar Euro mehr. Es sollte aus seiner Sicht mindestens 50 Prozent mehr sein. Vergangenen Dienstag, eine Woche nach der Diagnose, ist Felix operiert worden. Ihm geht es den Umständen entsprechend gut, sagt sein Vater. Aber noch hat das Warten und das Hoffen kein Ende: Denn gerade wird in einem Labor untersucht, ob der Tumor bösartig ist.
Einen Vorwurf will Lars Förster dem Klinikum nicht machen, das betont er immer wieder. "Die Pfleger dort leisten Übermenschliches. Die Ärzte sind alle top." Seine Kritik richtet er an die Politik: "Es kann doch nicht sein, dass in manche Bereiche Millionen und Milliarden gepumpt werden. Und hier stehen Betten leer, weil Pfleger fehlen."
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