Spezialist zum Unfall am Münchner Eisbach: "Sehr wahrscheinliche Schlussfolgerung"

Ende April verunglückt eine 33-jährige Surferin auf der Eisbachwelle tödlich. Könnte ein Umbau der Welle solche Tragödien künftig verhindern? Das hat jetzt ein Experte gegenüber der "Augsburger Allgemeinen" eingeordnet.
André Wagner |
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Nach einem tödlichen Surfunfall wurde zur Ermittlung der Ursache das Wasser an der Eisbachwelle abgesenkt. (Archivbild)
Nach einem tödlichen Surfunfall wurde zur Ermittlung der Ursache das Wasser an der Eisbachwelle abgesenkt. (Archivbild) © Peter Kneffel/dpa

München - Kurz vor Ostern ist eine 33-Surferin auf der berühmten Eisbachwelle im Englischen Garten verunglückte. Wenige Tage später erliegt die junge Frau in der Klinik ihren Verletzungen. Die Surf-Gemeinde ist entsetzt und trauert. 

Aus Sicherheitsgründen ist der Bereich am Haus der Kunst seitdem abgesperrt und das Surfen auf der Eisbachwelle bis auf Weiteres verboten. 

Keine Gegenstände im Wasser – war die Leine Schuld?

Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt weiter, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Um die Ursache für den tragischen Unfall herauszufinden, wurde der Eisbach Ende April sogar abgesenkt. Doch trotz intensiver Suche konnten Taucher und Experten auf dem Grund des Eisbachs keine Hindernisse entdecken, an denen sich die Sicherheitsleine der Surferin, die sogenannte Leash, verhakt hatte.

Ins Wasser hineingeworfene Gegenstände wie Einkaufswägen, Radl oder E-Scooter, wie zuvor vermutet wurde, fanden sich nicht, nur mehrere kleine, metallische Gegenstände konnten laut Polizei sichergestellt werden.

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Neben der Eisbachwelle selbst wird auch untersucht, welchen Einfluss die Sicherheitsleine gehabt haben könnte. Doch zum aktuellen Stand der Ermittlungen gibt die Münchner Staatsanwaltschaft derzeit keine weiteren Informationen aus, dies wolle man erst zum Abschluss der Ermittlungen wieder tun.

Sind Störsteine verantwortlich für den tödlichen Surferunfall?

Hat sich die Sicherheitsleine möglicherweise an einem der Störsteine, etwa 30 mal 30 Zentimeter große Blöcke, die die Welle im Eisbach miterzeugen, verhakt? Für Ingenieur Benjamin Di-Qual, der selbst in der Surferszene aktiv war und stehende Wellen an anderen Standorten umgesetzt hat, ist das mit Blick auf die Eisbachwelle aus technischer Sicht naheliegend.  

Kerzen und Blumen erinnern an die tödlich verunglückte Surferin. (Archivbild)
Kerzen und Blumen erinnern an die tödlich verunglückte Surferin. (Archivbild) © Peter Kneffel/dpa

In der "Augsburger Allgemeine" (AA) sagt der Ingenieur aus Traunstein, dass sich Störsteine, welche die Wasserwalze stützen, direkt unterhalb der Welle befinden und ein fester Bestandteil des alten technischen Bauwerks seien. "Eine Sicherheitsleine kann sich insbesondere bei Zug oder Dehnung dort verhängen – was besonders unterhalb der Wasserlinie schwer erkennbar, aber technisch plausibel ist", so Di-Qual.

Zwar sei dies keine gesicherte Tatsache, für den Ingenieur "aber eine sehr wahrscheinliche Schlussfolgerung aus dem bisher bekannten Hergang".

Nach tödlichem Unfall: Experte sieht Stadt München in der Pflicht

Für Benjamin Di-Qual, der sich durch den Bau künstlicher Wellen über Deutschland hinaus einen Namen gemacht hat – 2020 hat er nach eigenen Angaben am österreichischen Ebensee mit mehreren Partnern die größte stehende Flusswelle weltweit gebaut, ist die Eisbachwelle mit den heutigen, gezielt konstruierten Wellen nicht vergleichbar. Der Fachmann sieht die Stadt München nach dem tödlichen Unfall nun in der Pflicht, tätig zu werden.

Für den Experten ist eine Umgestaltung der Eisbachwelle zur Verbesserung der Sicherheit eindeutig realisierbar. "Bei moderner Gestaltung lassen sich Konstruktionen entwickeln, bei denen Verletzungen oder ein Verhängen technischer Ausrüstung ausgeschlossen sind. Gleichzeitig könnte dadurch auch die Wellenqualität verbessert werden", so Di-Qual gegenüber der "AA".

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Im Falle einer Neugestaltung der Eisbachwelle wäre allerdings eine rechtliche Neubewertung die Folge. Bisher hat die Eisbachwelle keinen offiziellen Betreiber. Zwar war das Surfen im Bereich der Eisbachwelle am Haus der Kunst von der Prinzregentenbrücke bis 50 Meter nördlich der Prinzregentenbrücke mittels einer Allgemeinverfügung vom 28. Mai 2010 erlaubt, dennoch gingen die Surfer dort ihrer Leidenschaft stets auf eigene Gefahr nach. Ende April wurde mit einer weiteren Allgemeinverfügung das Surfen auf der Eisbachwelle bis auf Weiteres verboten.

Nach Umbau bräuchte die Eisbachwelle einen Betreiber

Käme es nun zu einem Umbau der Eisbachwelle, dann würde dies laut Di-Qual bedeuten, "dass die Welle als Sportstätte gilt – und damit einen Betreiber benötigt." In diesem Fall müsste die Stadt München entweder selbst Verantwortung übernehmen oder mit einer etablierten Organisation wie der Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM) eine verbindliche Betriebsstruktur schaffen. "Dieser Schritt ist unausweichlich, wenn man Sicherheit und Nutzbarkeit in Einklang bringen möchte", so der Fachmann in der "AA".

Die Münchner Surferszene ist indes daran interessiert, dass die Eisbachwelle so schnell wie möglich wieder für ihren Sport freigegeben wird. Dafür schickten sie Oberbürgermeister Dieter Reiter einen offenen Brief, der von 3600 Surfern und Unterstützern unterzeichnet wurde.

"Wir sind besorgt, weil die Welle schon länger gesperrt ist", sagt Surfer und Mit-Initiator Martin Grün zur AZ. "Der emotionale Leidensdruck bei den Surfern wird immer größer". Sein Mitunterzeichner Moritz Liedl sieht das ähnlich. Man sei sich zwar einig, dass es "notwendig war, die Welle zu schließen", sagt Liedl. "Es hat uns alle geschockt, es hätte uns alle treffen können." Aber: "Genauso wichtig ist es, auch wieder den Alltag zu erlauben".

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Noch sind die Ermittlungen zur Unglücksursache am Laufen und "werden wohl auch noch eine gewisse Zeit andauern", so Anne Leiding, Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft München I, zur AZ am vergangenen Donnerstag.

Freigabe der Eisbachwelle: OB Reiter will Abschluss der Ermittlungen abwarten

Direkte Auswirkungen, ob und wann die Eisbachwelle wieder geöffnet wird, haben die Ermittlungen nicht. Die Entscheidung wird "allein durch die Stadt München getroffen", so Anne Leiding. Die Stadt wiederum, genauer gesagt der Oberbürgermeister, Dieter Reiter (SPD), möchte offenbar erst noch die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten. Er habe zwar "volles Verständnis dafür, dass die Surferinnen und Surfer möglichst schnell wieder surfen möchten", so der OB in einer Reaktion auf den offenen Brief der Surfer.

Er bitte aber auch um Verständnis dafür, dass er diese Entscheidung nicht treffen könne, "bevor die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nicht vollständig abgeschlossen hat".

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