Existenznöte bei Münchner Senioren: Ein Hilfsfonds gegen die Kälte
München - Morgens den Briefkasten öffnen: Für bedürftige Menschen keine Routine, sondern jeden Tag aufs Neue ein angsterfüllter Moment. Denn sie wissen nicht, was sie erwartet: Eine hohe Stromnachzahlung zum Beispiel, die existenzgefährdend sein kann. Wegen der extrem gestiegenen Energiepreise trifft dieses Schicksal immer mehr Menschen.
Die SPD/Volt-Stadtrats-Fraktion möchte ihnen helfen. Mit einem kommunalen Energiekostenfonds, der Münchner Bürgern eine schnelle, unbürokratische Hilfe ermöglicht. In der kommenden Woche soll dazu ein Antrag beim Stadtrat eingehen.
Hilfsfonds soll allen bedürftigen Menschen zur Verfügung stehen
SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner: "Es geht besonders um diejenigen Haushalte, die nicht durch die Grundsicherung unterstützt werden, weil sie knapp über der Einkommensgrenze liegen." Bei den Rentnern seien fünf Prozent abhängig von der Grundsicherung, 30 Prozent hingegen müssten mit einer niedrigen Rente und ohne Unterstützung auskommen. "Auch sie sind nicht in der Lage, hohe Strom- und Heizkostennachforderungen zu bezahlen", so Hübner. Der geplante Fonds soll jedoch allen bedürftigen Menschen zur Verfügung stehen, nicht nur Senioren.
Der Verein "Ein Herz für Rentner" unterstützt deutschlandweit Rentnerinnen und Rentner in Armut. Sie erhalten in Notsituationen schnelle finanzielle Unterstützung. Erste Vorsitzende Sandra Bisping bezeichnet die aktuelle Krise als dramatisch. "Momentan erhalten wir bundesweit täglich fünf bis zehn Anträge auf Unterstützungsleistungen", schildert Bisping. Das seien die Folgen der gestiegenen Energiepreise und der Inflation.
Aus Scham melden sich manche Menschen erst sehr spät
Manche täten sich sehr schwer, um Hilfe zu bitten. Die Scham führe dazu, dass sie sich oft erst sehr spät melden. Dann zum Beispiel, wenn der Strom bereits abgestellt wurde.
Dass in einer reichen Stadt wie München Menschen im Dunkeln sitzen oder frieren müssen, ist für Roland Hefter nicht akzeptabel, er sitzt für die SPD im Stadtrat und ist ebenfalls im Vereinsvorsitz. "Am schlimmsten setzt die Angst zu", sagt er. "Nicht zu wissen, ob bald der Strom abgestellt wird, das ist brutal. Existenzielle Ängste führen oft zu Depression." Der Verein bietet auch gemeinsame Aktivitäten an: Kaffeekränzchen, gemeinsame Reisen, Chorauftritte. "Auch die Einsamkeit ist ein großes Problem", weiß Hefter.

Bedürftige Menschen nicht alleine zu lassen. Menschen, die im Grundsicherungssystem durch das Raster fallen. Darum soll es bei dem Energiekostenfonds der Stadt gehen.
Langfristig könne das die Kommune aber nicht alleine tragen. "Es muss unbedingt mehr auf Bundesebene passieren", fordert SPD-München-Chef Christian Köning. Die Entlastungspakete des Bundes seien nicht ausreichend. Über diese wurde bereits eine Energiepreispauschale von 300 Euro verabschiedet.
"Wir sprechen hier aber von 1.000 bis 2.000 Euro Mehrkosten pro Haushalt", betont Anne Hübner. Die Hoffnung: Dass der Fonds bereits im Sommer zur Verfügung steht. "Das wird eine große Herausforderung, besonders die unbürokratische Umsetzung", räumt Hübner ein. Sie ist trotzdem zuversichtlich, dass allen, die Unterstützung dringend benötigen, geholfen werden kann.
Erfahrungsbericht von Münchner Seniorin: "Ich bin heute sehr stolz auf mich"
"Die Lebensfreude ist wieder zurückgekehrt", so schildert die Rentnerin Anni Eimann die Veränderung, die der Verein "Ein Herz für Rentner" in ihr Leben gebracht hat. Da sei zum einen die existenzielle Sicherheit: "Es ist so beruhigend zu wissen, dass mir geholfen wird, wenn ich etwas ganz dringend brauche. Ich habe keine Angst mehr, dass etwas Schlimmes passiert." Aber ganz besonders auch die Veranstaltungen würden ihr sehr viel Halt geben. Alle zwei Wochen findet so ein Kaffeeklatsch statt. Dann noch die Reisen, zum Beispiel nach Köln. "Wir werden sehr verwöhnt", sagt Eimann dankbar. "Die machen's einem viel leichter."
Viele schwere Schicksalsschläge hat Anni Eimann in ihrem Leben erlitten, dennoch wirkt sie nicht frustriert oder verbittert. Die Rheinländerin, die seit 1978 in München wohnt, leidet seit ihrer Jugend an einer schweren Krankheit.

Mit 40 Jahren musste sie daher bereits in Frührente, entsprechend gering ist die Rente. "Ich habe etwa 100 Euro die Woche zum Leben übrig. Wenn die GEZ-Gebühren anstehen, dann spüre ich das schon stark." Auch Bus und Bahn kosten viel. Das sei der erste Anlass gewesen, der Eimann dazu bewegt hat, den Verein aufzusuchen. "Ich musste damals wöchentlich in die Rückenschule und konnte mir die Fahrtkosten nicht leisten", erinnert sie sich. Seitdem bezahlt der Verein ihr Monatsticket.
Einmal sei ihr Kleiderschrank plötzlich zusammengebrochen. "Mir wurde sofort geholfen", erzählt Eimann. Natürlich nicht ganz ohne Bürokratie. Ein Kostenvoranschlag sei notwendig gewesen. "Gerade am Anfang war es nicht ganz leicht, da musste ich alles offenlegen. Meine gesamten Einkommensverhältnisse. Ich verstehe das aber vollkommen. Die Hilfe soll dort ankommen, wo sie gebraucht wird", findet Eimann.
Sie spricht auch von der Scham, hilfsbedürftig zu sein, sich wie eine Bittstellerin zu fühlen. "Das ist aber immer besser geworden, denn die Menschen vom Verein sind so freundlich und kommen einem entgegen."
Eimann schildert, wie gut es sich anfühlt, dass es Menschen gibt, die sich um sie kümmern. Die nachfragen, ob es ihr gut geht. "Ich fühle mich nicht vergessen." Allen bedürftigen Seniorinnen und Senioren rät sie, sich helfen zu lassen: "Wenn man sich einmal einen Ruck gibt, dann ist man drin und dann wird einem geholfen. Wer das nicht übers Herz bringt, dem ist nicht zu helfen. Ich bin heute sehr stolz darauf, wie ich das alles geschafft habe."