Ex-Stadtrat Marian Offman:"Ich bin ein Einzelkämpfer"
München - Von Ruhestand kann keine Rede sein: Auch mit 74 geht Marian Offman noch jeden Tag in seine Hausverwaltungsfirma A&O Immobilien im Glockenbachviertel. Und auch sonst wird dem Ex-Stadtrat, der seit zwei Jahren darauf wartet, als Nachrücker für die SPD wieder ins Rathaus einziehen zu können, offenbar nicht fad.
Rund drei Stunden sitzt er täglich vor seinem Laptop zu Hause in Gern und tippt mit zwei Fingern: Zwei Bücher hat Marian Offman geschrieben, das dritte ist geplant. Vor zwei Wochen ist "Mandelbaum" erschienen: ein in weiten Teilen autobiografischer Roman. Während einer Stadtratssitzung ist ihm der Plot eingefallen: Ein jüdischer Stadtrat sitzt in einer Zelle, weil er bei einer Demo einen Neonazi lebensgefährlich verletzt hat.
AZ: Herr Offman, Sie waren 18 Jahre Stadtrat, seit zwei Jahren sind Sie es nicht mehr. Fehlt Ihnen das Rathaus?
MARIAN OFFMAN: Die langen Sitzungen fehlen mir nicht. Was mir aber schon fehlt, ist, bei der Stadtpolitik mitmischen zu können.
Bei welchem Thema?
Aktuell bei der Entwicklung der Energiepreise. Da müssen schnell Lösungen für den schmalen Geldbeutel gefunden werden. Aber da sind sie ja dran. Und irgendwann werde ich auch wieder dabei sein, ich bin ja der erste Nachrücker.
Sie haben die Pause zum Schreiben genutzt. Wovon handelt Ihr erster Roman?
Der jüdische Stadtrat Felix Mandelbaum verbringt die Nacht in der Haftzelle in der Ettstraße und sein Leben zieht an ihm vorbei.
Mal abgesehen von der Straftat, die man dem Protagonisten vorwirft, wie viel Autobiografisches steckt im Buch?
Fantasie und Wirklichkeit sind verwoben. Es ist ein Teil meiner Lebensgeschichte. Hintergrund ist der Holocaust, die Ermordung meiner Familie, die Scheidung der Eltern. Das war zum Teil so schwierig, dass ich mich immer wieder in eine Nebenwelt geflüchtet habe. Sonst wäre das wahrscheinlich nicht zu ertragen gewesen. Ich kenne viele Kinder von Überlebenden, die es psychisch nicht gepackt haben, sie sind daran zerbrochen. Darüber spricht man natürlich nicht. Das Thema ist sehr aktuell. Auch der Krieg jetzt in der Ukraine wird Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen haben.
Der Ich-Erzähler verliest am Ende des Buchs die Namen von 13 Verwandten, die im Holocaust ermordet wurden. Ist das Ihre Familiengeschichte?
Meine Großeltern sind umgekommen. Meine Mutter war versteckt, wo genau weiß ich nicht. Wir haben nie darüber gesprochen. Mein Vater ist im KZ Flossenbürg befreit worden und meine ganze Familie, die in Polen war, ist umgekommen. Da stecken natürlich starke Emotionen drin. Ich habe versucht, trotzdem sachlich zu bleiben. Letztlich ist das Hauptthema, ob eine deutsch-jüdische Existenz nach der Schoa möglich ist.
Gibt es darauf eine Antwort?
Das Buch ist die Antwort. Der Leser kann sie sich selber geben. Wenn ich heute darüber nachdenke, sage ich, es ist möglich. Und morgen sage ich, es ist nicht möglich. Ich bin da sehr ambivalent - wie oft in meinem Leben. Ignatz Bubis, der frühere Vorsitzende des Zentralrats, hat kurz vor seinem Tod gesagt, ich habe nichts erreicht. Eine bittere Erkenntnis. Das kann ich so für mich nicht sagen. Für mich war es schon etwas Besonderes, dass ich mitgeholfen habe, das Jüdische Zentrum zu bauen, das NS-Doku-Zentrum und das Jüdische Museum. Das war schon ein großer Erfolg. München hat mit diesen drei Gebäuden ein anderes Antlitz.

Die Zahl antisemitischer Straftaten ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Wie erleben Sie die Stimmung?
Ich erlebe nicht mehr und nicht weniger Antisemitismus. Da hat sich nicht so viel geändert. Die Nazis treten heute offener auf und wir haben die AfD, die das in den Parlamenten artikuliert. Ich persönlich wurde immer wieder angefeindet und stand auf Todeslisten, aber ich wurde nie körperlich angegriffen.
Sie haben sich früher sehr für Flüchtlinge engagiert. Waren Sie jetzt auch wieder am Hauptbahnhof?
Nicht mehr so oft wie 2015, ich bin ja kein Stadtrat mehr. Was mir sehr auffällt, sind die Unterschiede zu 2015. Es ist gut, wie man sich heute um die Geflüchteten aus der Ukraine kümmert. Aber die Gesellschaft muss sich schon fragen, warum man nicht alle gleich behandelt.
Helfen Sie aktuell?
Ich versuche, Geflüchtete in Wohnungen unterzubringen. Bei drei Familien ist mir das bis jetzt gelungen.
Über Ihre Hausverwaltung?
Auch über Kontakte.
Gibt es etwas, das Ihnen noch nachhängt aus Ihrem Politikerleben?
Dass ich als Jude nicht Antisemitismus-Beauftragter der Stadt werden konnte, weil mich die Grünen abgelehnt haben, das ist immer noch schwierig für mich. Ich war schon oft ziemlich allein und auf mich gestellt. Ich bin ein Einzelkämpfer. Die CSU hat mich oft nicht hochkommen lassen. Gelegentlich fehlte auch die Unterstützung seitens der jüdischen Gemeinde.

Warum war das so?
Vielleicht war auch Konkurrenzdenken mit im Spiel.
Der Ich-Erzähler in Ihrem Buch ist in seiner Jugend links und tritt früh der SPD bei. Waren Sie früher tatsächlich schon mal in der SPD?
Ja, das trifft zu.
Warum sind Sie dann in die CSU eingetreten?
Früher war es für mich unvorstellbar in Deutschland Politik zu betreiben. Nachdem ich in der Gedenkstätte Auschwitz war und deutsche Politiker aufrichtig mit mir um die Opfer der Schoa getrauert haben, habe ich mich entschieden, doch in die Politik zu gehen. Da die Kontakte der jüdischen Gemeinde zur roten Stadtregierung gut waren, sollte ein Zugang zu den Konservativen gefunden werden. Da kam ich gerade recht.
Das klingt nach Kalkül.
Es war wichtig, dass die jüdische Thematik in der CSU durch eine betroffene Person vertreten wurde. Irgendwann war dann plötzlich die Rede von den christlich-jüdischen Werten. Ich bin zwar etwas im Zorn gegangen, aber die CSU hat mich als Exoten gewähren und arbeiten lassen. Gleichzeitig konnte man wegen meiner schieren Existenz in der Fraktion dieser keine rechtsradikalen Tendenzen unterstellen. Die Koalition von SPD und CSU im Rathaus war möglich wegen meiner Sozialpolitik, die mit der der SPD nahtlos übereinstimmte. Was ich mir heute vorwerfe, ist, dass ich mich manchmal opportunistisch verhalten habe.
Woran denken Sie dabei?
Als Horst Seehofer als Bundesinnenminister von Asyltourismus sprach. Das war unerträglich, aber ich bin nicht aufgestanden und habe mich dagegen verwahrt.

Haben Sie sich auch mal heimisch gefühlt in der CSU in all den Jahren?
Es gab Momente, wo ein Gefühl der Geborgenheit da war. Aber auch viele, in denen ich völlig auf mich allein gestellt und einsam war. Es war ambivalent - ein Sitzen zwischen Stühlen. Aber so war mein politisches Leben als Jude in Deutschland.
Jetzt sind Sie interreligiöser Beauftragter, womit beschäftigen Sie sich da gerade?
Mit den Vertretern der Religionsgemeinschaften habe ich eine Impfkampagne in der U-Bahn umgesetzt: "Um Himmels Willen, lasst Euch impfen". Derzeit sind wir dabei, einen Wertekanon zu entwickeln, dem alle Religionen zustimmen. Das ist sehr wichtig.
Werden Sie auch weiterhin auf Demos gegen Nazis gehen?
Auf jeden Fall. Ich muss da hin. Was einem da entgegenschlägt, ist Antisemitismus und der Versuch, unsere Demokratie zu zerstören. Diesen Leuten muss man entgegentreten und Gesicht zeigen.
Marian Offman wird sein Buch "Mandelbaum" (Volk-Verlag/25 Euro) am 14. Juni um 19 Uhr im Jüdischen Museum am Sankt-Jakobs-Platz vorstellen.
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