Autor aus München verrät Ihnen alles, was Sie noch nicht über die bayerische Küche wussten: "Das glaubt kein Mensch"
München - Wer hätte gedacht, dass die bayerische Küche so unterhaltsam sein kann! Bei den Recherchen zu seinem Buch "Im Schmankerlhimmel – Die Geschichte der bayerischen Küche" hat Michael Appel so viele unerwartete Entdeckungen gemacht, dass wir sie gar nicht alle aufzählen können. Aber eines wird klar: seit 1500 Jahren sind die Bayern pragmatisch und dabei trotzdem sehr kreativ.
AZ: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass ein Bayer die Pommes Frites erfunden hat – machen Sie Scherze?
MICHAEL APPEL: Das glaubt kein Mensch, aber es ist so. Johann Friedrich Krieger stammte aus der bayerischen Pfalz. Er nannte sich später Jean Fréderic Krieger, hatte keine Reichtümer und ging als Musiker auf Wanderschaft durch Frankreich und Belgien. Bei ihm zuhause gab's nichts außer Kartoffeln, und diese Angewohnheit hat er mitgenommen. Auf einem Jahrmarkt in Belgien hatte er die Idee, Kartoffeln in Scheiben zu schneiden und in Butterschmalz rauszubacken. Später erfand er eine Stiftelmaschine.
Münchner Autor Michael Appel: Wie die Kartoffel Bayern eroberte
Als die Kartoffel nach Bayern kam, waren die Leute erstmal skeptisch.
Ärzte waren immer sehr skeptisch, wenn neue Lebensmittel zu uns kamen. Es gab ausgefeilte Ernährungsrichtlinien. Die Vorstellung damals besagte, dass der Körper in Balance sein muss. Deshalb gab es viele Verbote. Dazu gehörte zunächst auch die Kartoffel. Aber dann haben die Bayern schnell festgestellt, dass sie sehr nahrhaft ist. Und vor allem auch auf schwachen Böden ertragreich angebaut werden kann.
Und was hat man damit gekocht?
Meistens vermutlich Pellkartoffeln. Das ist ja auch sinnvoll, weil da am meisten erhalten bleibt. Fett war extrem wertvoll. Die Pommes Frites kamen also erst später. Besondere Kartoffelgerichte bot man zuerst auf Hochzeiten als exotisches Schmankerl an.
Warum auf Hochzeiten?
Hochzeiten waren damals der Jahrmarkt der Neuerungen. So sind auch das Schnitzel, der Kartoffelsalat und der Kartoffelkloß in die Küche eingewandert. Ein gewisser Überraschungseffekt war auf einer Hochzeit gewollt. Die Gäste sollten eben nicht das übliche Einerlei bekommen, sondern etwas Besonderes.
Und was stand vor der Kartoffel hauptsächlich auf dem Speiseplan?
Getreidebrei. Der war wertvoll. Noch zu Zeiten Karls des Großen lag das Verhältnis von Getreidebrei zu Brot bei sieben zu eins. Die Menschen wollten möglichst viel vom Getreidekorn verwenden und das konnten sie am besten mit Brei. Fürs Brot brauchten sie außerdem mehr Holz, also Energie.
Und welches Getreide?
Etwa 1000 n. Chr. kam der Roggen zu uns. Obwohl das Klima mindestens so warm war wie jetzt, waren die Böden oft viel zu feucht für den Weizen. Aber der Fluch der Küchengeschichte war immer: hatte man etwas gefunden, was für die Ernährung gut ist und alle satt gemacht hat, dann ist die Bevölkerung gestiegen. Und dann waren alle wieder genauso hungrig wie vorher.
1350 ist die Mandel nach Bayern gekommen
Auch die heute so angesagte Mandelmilch gibt es schon länger als die Kartoffel in Bayern – richtig?
Ja! Das war eine Entdeckung, Rezepte mit Mandelmilch. Spätestens um 1350 ist die Mandel nach Bayern gekommen. Aber sie war exotisch und sündteuer.
Wie ist man denn an die Mandeln gekommen?
Die Ritter haben sie von ihren Kreuzzügen aus Sizilien und aus der arabischen Welt mitgebracht.
Ernährungsratgeber erzählen, dass die Menschen früher nur ganz selten Fleisch gegessen haben. Das stimmt nicht so ganz, oder?
Es stimmt zum Teil nicht. Heute essen wir im Schnitt pro Kopf 50 Kilo Fleisch im Jahr. Von 500 bis 1000 n.Chr. waren es 80 bis 100 Kilo. Zu der Zeit gab es viel Wald und wenige Menschen. Die haben ihre eigenen Schweine in den Wald getrieben und die Kinder zum Aufpassen mit rausgeschickt.
Von Oktober bis März lagen in den Wäldern Unmengen an Eicheln. Ein gedeckter Tisch für die Schweine. Die Leute wären blöd gewesen, sich die Mühe zu machen, Bäume zu fällen, Wurzeln auszugraben und ein Getreidefeld anzulegen. Aber dann ist wieder die Bevölkerung gestiegen, die Schweine haben nicht mehr gereicht und deshalb mussten die Bauern doch Roggen oder Weizen anbauen.
Salbei ist ein urbayerisches Kraut
Den Steckerlfisch gibt's auch schon recht lang.
Das ist meine zweite große Entdeckung. Damals hat man Fische aber nicht auf ein Steckerl gesteckt, sondern auf den Rost gelegt, damit der Saft nicht herausläuft, und sie dann mit einer Farce gefüllt.
Und was ist ihre dritte Entdeckung?
Dass auch Salbei ein urbayerisches Kraut ist. Der wurde in einem Bierteig rausgebacken, die Blätter aneinandergelegt und sie dazwischen mit einer Art Salsa Verde aus Kräutern gefüllt. Die Salbeiblätter wurden dann auf einen Holzstab gesteckt und serviert.

Woher weiß man das alles eigentlich so genau?
Es gab Rezeptbücher, aber auch andere Quellen. Zum Beispiel eine Speisenfolge, die Bamberger Domkapitularen im Mittelalter serviert wurde. Forscher haben in alten Abfallgruben auch Knochen ausgegraben, diese einzelnen Tieren zugeordnet und bestimmt, wie in etwa die Mengenverhältnisse bei der Ernährung waren.
Und wann wurde das erste richtige Rezept in Bayern aufgeschrieben?
Das erste Kochbuch, das je in Deutschland geschrieben wurde, ist um 1350 in Würzburg entstanden, das "buoch von guoter spîse". Aus der Zeit vorher gibt es keine konkreten Rezepte.
Das Hauptgetränk der Bayern im Mittelalter war Wein. Wann kam das Bier?
Um die Zeit des Reinheitsgebots 1516 wurde es populär. Wir wissen überhaupt nicht, wann erstmals der Hopfen ins Bier kam. Vorher gab es Grut-Bier. Da kamen meistens Kräutermischungen rein, um das Bier haltbar zu machen. Richtig Furore hat das Bier erst gemacht, als es zu kalt wurde für den Weinanbau.
Und wer hat das durchgesetzt?
Der bayerische Herzog Maximilian I. hat den maroden Staatshaushalt ins Lot gebracht, indem er rigoros sogar das Weißbier besteuert hat. Bier war also nicht nur interessant für die Menschen, sondern auch ein Segen für die Steuerkasse. Noch im Jahr 1914 kam ein Fünftel des bayerischen Staatsetats aus der Biersteuer.
Der Schweinebraten scheint ja auch eher ein jüngeres Gericht der bayerischen Küche zu sein. Warum eigentlich?
Es gibt viele Gründe, die das erklären können. Zum einen das Gebiss. Beiß' mal mit einem maroden Gebiss in eine Kruste. Das Zweite ist die Kühlung. Fleisch musste immer schnell verarbeitet werden. Das dritte ist die Ernährungsregel in früherer Zeit, die das Schwein als unsauberen Allesfresser unpopulär machte. Aber die Leute haben es trotzdem gegessen. Richtig sinnvoll war der Schweinebraten mit einer knusprigen Kruste und Soße erst, als der Backofen erfunden wurde. Es hat bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gedauert, als Graf Rumford in Bayern den Ofen mit Backrohr entwickelte.
Mehlspeisen waren früher oft auch salzig
Waren die Knödel dazu aus Kartoffeln oder Getreide?
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gab es nur Semmelknödel. Dann sind in den Hunger-Gegenden Bayerns, wo es schon Kartoffeln gab, die Kartoffelknödel entstanden. Das ist das Besondere an der bayerischen Küche. Der absolute Leitgedanke ist, aus wenig viel zu machen. Auch wenn du arm bist, kannst du köstliche Gerichte essen, darin liegt das Genie unserer Küche.
Wenn man in Ihrem Buch liest, bekommt man ohnehin das Gefühl, dass gerade die Fastenzeit die Menschen besonders kreativ werden ließ.
Not macht erfinderisch. Zum einen wurde dann trotzdem Bier getrunken. Und zum anderen durften in der Fastenzeit ab dem 16. Jahrhundert Ei und Butterschmalz verwendet werden. Und daraus bereiteten die Bayern Geschmackvolles zu. Zugute kam ihnen, dass die Wirkung der Hefe entdeckt wurde. Damit konnte man Teige aufquellen lassen und in Fett ausbacken oder dämpfen. Für die Fastenzeit sind Mehlspeisen und Hefegebäck entstanden.
Mehlspeisen sind ein gutes Stichwort. Sprechen wir noch über was Süßes zum Abschluss.
Mehlspeisen waren früher nicht nur süß, sondern auch salzig. Sie sind ja neutral und man hat alles dazugegeben: Sauerkraut, Zwiebeln, Rüben. Die Dampfnudel mit Sauerkraut war zum Beispiel ganz lange ein Standardgericht. Viele verwendeten Schmalzgebäck als Löffel für die Suppe oder den Eintopf. Es konnte gut sein, dass man mit dem ersten Striezel die Suppe zu sich nahm und mit dem zweiten eine dick eingekochte Zwetschgensoße. Geht ganz einfach, es sich gut gehen zu lassen!
Michael Appel: "Im Schmankerlhimmel – Die Geschichte der bayerischen Küche, Friedrich Pustet Verlag, 25 Euro
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