"Eine ideologische Verbotskultur": Protest gegen das Tanzverbot in München
München - Es gehe nicht darum, Katholiken bei der Ausübung ihres Glaubens zu stören, sagt Assunta Tamelleo. Die 62-jährige Kulturbühnenbetreiberin kämpft seit über 15 Jahren gegen das gesetzliche Tanzverbot, das an den sogenannten "stillen Feiertagen" wie Karfreitag, Allerheiligen und dem Totensonntag Ende November gilt.
Bund für Geistesfreiheit setzt sich für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat ein
Die 62-Jährige aus Geretsried ist auch Vorsitzende beim Bund für Geistesfreiheit München (BFG). "Es geht uns um ein Bürgerrecht", sagt Tamelleo. "Wir sind dagegen, dass der bayerische Staat der Bevölkerungsmehrheit eine religiöse Praxis einer einzelnen Religionsgemeinschaft aufzwingt", sagt sie.
Ihr Bündnis engagiere sich für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat. Daraus folgert der Bund für Geistesfreiheit: keine Amtshilfe bei der Erhebung von Kirchensteuer, keine staatlichen Transferzahlungen an die Kirche. Eine Öffentlichkeit ohne Kreuze in Verwaltungen, Schulen oder Krankenhäusern und ohne Religionsunterricht. Und eben ohne Tanzverbot. Der deutsche Staat habe ein Neutralitätsgebot, sagt Assunta Tamelleo. Es gäbe ja auch keine jüdischen, muslimischen oder buddhistischen Feiertage mit solchen Regeln.
Proteste gegen das Verbot und angemeldete Veranstaltungen sind erlaubt
2016 war dem BFG in Bezug auf das Tanzverbot ein Coup gelungen. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Verbot ohne das Zulassen von Ausnahmen als verfassungswidrig erklärt. Zuvor war am Gründonnerstag 2007 die Protest- und Tanzveranstaltung "Heidenspaß statt Höllenqual" auf der Theresienwiese unterbunden worden.
Fast zehn Jahre später verfügten die Richter in Karlsruhe, dass solche Formen des Protests zulässig sein müssen, auch am stillen Feiertag. Ausnahmen vom Tanzverbot müssen in Bayern seither diejenigen Veranstaltungen erhalten, die bei der Stadt angemeldet und "Ausdruck einer klaren weltanschaulichen Abgrenzung gegenüber dem Christentum" sind.
Der Clubbesuch an stillen Tagen: Ein "tanzender Protest"
Seitdem ist der Clubbesuch an Allerheiligen, Karfreitag oder Karsamstag quasi tanzender Protest. Dazu haben die Veranstalter die Auflage, mehrmals am Abend eine Durchsage zu machen, die auf diesen weltanschaulichen Charakter des Abends hinweisen. An diesem Dienstag und Mittwoch ist es wieder so weit.
Für diejenigen, die die Nacht von Halloween auf Allerheiligen auf einer Tanzfläche verbringen wollen, hat der BFG München auf seiner Homepage Locations gesammelt, an denen der Partyprotest zelebriert werden kann.
Ehemaliger Club-Betreiber und Stadtrat David Süß fordert die Abschaffung der "ideologischen Verbotskultur"
Aber, Ausnahmen bestätigen die Regel. Damit ist das Verbot ja nicht abgeschafft. Stadtrat David Süß von den Grünen sieht dahinter eine "ideologische Verbotskultur". Es gäbe in der heutigen Gesellschaft keinerlei sinnvolle Argumente mehr für ein Verbot. "Selbst riesige Sport-Events wie die Football-NFL am letzten Totensonntag dürfen an solchen Feiertagen stattfinden. Und Markus Söder postet dann Selfies aus dem Stadion", sagt Süß.
Der 57-Jährige war bis zu seiner Wahl 2020 selbst Betreiber vom Harry Klein in der Sonnenstraße, einem der bekanntesten Clubs der Stadt. Aus dieser Zeit weiß er noch, wie "schmerzhaft" die "stillen Feiertage" für das Budget sein können — vor allem in den Jahren, in denen viele Tanzverbote auf einen Freitag oder Samstag fallen.
Aber selbst wenn sich im Stadtrat eine Mehrheit gegen das Verbot bilden würde, könnte sie darüber nicht entscheiden. Ob an Allerheiligen und am Karfreitag in München getanzt wird, sei Hoheitsbereich der Bayerischen Staatsregierung, sagt Süß. Doch nach seinem Dafürhalten sei es höchste Zeit, diese "aus der Zeit gefallene Praktik" abzuschaffen.
Initiative "Mehr Lärm für München" fordert Lärmverbotsverbot
Neben dem BFG, dessen Mitglieder sich schon über zehn Jahre am Tanzverbot abarbeiten, teilt deren Forderung jetzt auch ein junges Münchner Kollektiv. Für die Initiative "Mehr Lärm für München" ist das Tanzverbot ein Beweis dafür, dass das Bedürfnis nach Ausgelassenheit und lautem sozialen Miteinander dem Bedürfnis nach Ruhe untergeordnet wird, sagt Julia Richter, eine Sprecherin des Kollektivs.
Würde die Staatsregierung an dem Verbot festhalten, fordert "Mehr Lärm für München" einen Ausgleich: Wenn Menschen an neun Tagen im Jahr – so viele stille Feiertage gibt es in Bayern insgesamt – selbst in geschlossenen Räumen leise sein müssen, dann sollten sie auch an neun Tagen im Jahr laut sein dürfen. Auch unter freiem Himmel.
Mehr Lärm für München fordert daher das: "Ein Lärmverbotsverbot an neun Tagen im Jahr! An diesen Tagen dürfen alle Menschen im Freien zu Musik tanzen, lachen und laut sein. Lärmbeschwerden werden ignoriert."