"Eine ideologische Verbotskultur": Protest gegen das Tanzverbot in München

Seit 15 Jahren kämpft Assunta Tamelleo gegen das staatliche Tanzverbot an den sogenannten stillen Tagen. Es gehe ihr um ein Bürgerrecht, erklärt die 62-Jährige.
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Gegen das Tanzverbot: Rave-Demo in München. Mehrere hundert junge Menschen versammelten sich am 6. April 2023 in München, um zusammen mit dem Bund für Geistesfreiheit gegen das Tanzverbot an stillen Tagen zu demonstrieren. (Archivbild)
Gegen das Tanzverbot: Rave-Demo in München. Mehrere hundert junge Menschen versammelten sich am 6. April 2023 in München, um zusammen mit dem Bund für Geistesfreiheit gegen das Tanzverbot an stillen Tagen zu demonstrieren. (Archivbild) © imago/aal.photo

München - Es gehe nicht darum, Katholiken bei der Ausübung ihres Glaubens zu stören, sagt Assunta Tamelleo. Die 62-jährige Kulturbühnenbetreiberin kämpft seit über 15 Jahren gegen das gesetzliche Tanzverbot, das an den sogenannten "stillen Feiertagen" wie Karfreitag, Allerheiligen und dem Totensonntag Ende November gilt.

Bund für Geistesfreiheit setzt sich für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat ein 

Die 62-Jährige aus Geretsried ist auch Vorsitzende beim Bund für Geistesfreiheit München (BFG). "Es geht uns um ein Bürgerrecht", sagt Tamelleo. "Wir sind dagegen, dass der bayerische Staat der Bevölkerungsmehrheit eine religiöse Praxis einer einzelnen Religionsgemeinschaft aufzwingt", sagt sie.

Ihr Bündnis engagiere sich für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat. Daraus folgert der Bund für Geistesfreiheit: keine Amtshilfe bei der Erhebung von Kirchensteuer, keine staatlichen Transferzahlungen an die Kirche. Eine Öffentlichkeit ohne Kreuze in Verwaltungen, Schulen oder Krankenhäusern und ohne Religionsunterricht. Und eben ohne Tanzverbot. Der deutsche Staat habe ein Neutralitätsgebot, sagt Assunta Tamelleo. Es gäbe ja auch keine jüdischen, muslimischen oder buddhistischen Feiertage mit solchen Regeln.

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Proteste gegen das Verbot und angemeldete Veranstaltungen sind erlaubt

2016 war dem BFG in Bezug auf das Tanzverbot ein Coup gelungen. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Verbot ohne das Zulassen von Ausnahmen als verfassungswidrig erklärt. Zuvor war am Gründonnerstag 2007 die Protest- und Tanzveranstaltung "Heidenspaß statt Höllenqual" auf der Theresienwiese unterbunden worden.

Fast zehn Jahre später verfügten die Richter in Karlsruhe, dass solche Formen des Protests zulässig sein müssen, auch am stillen Feiertag. Ausnahmen vom Tanzverbot müssen in Bayern seither diejenigen Veranstaltungen erhalten, die bei der Stadt angemeldet und "Ausdruck einer klaren weltanschaulichen Abgrenzung gegenüber dem Christentum" sind.

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Der Clubbesuch an stillen Tagen: Ein "tanzender Protest"

Seitdem ist der Clubbesuch an Allerheiligen, Karfreitag oder Karsamstag quasi tanzender Protest. Dazu haben die Veranstalter die Auflage, mehrmals am Abend eine Durchsage zu machen, die auf diesen weltanschaulichen Charakter des Abends hinweisen. An diesem Dienstag und Mittwoch ist es wieder so weit.

Für diejenigen, die die Nacht von Halloween auf Allerheiligen auf einer Tanzfläche verbringen wollen, hat der BFG München auf seiner Homepage Locations gesammelt, an denen der Partyprotest zelebriert werden kann.

Ehemaliger Club-Betreiber und Stadtrat David Süß fordert die Abschaffung der "ideologischen Verbotskultur"

Aber, Ausnahmen bestätigen die Regel. Damit ist das Verbot ja nicht abgeschafft. Stadtrat David Süß von den Grünen sieht dahinter eine "ideologische Verbotskultur". Es gäbe in der heutigen Gesellschaft keinerlei sinnvolle Argumente mehr für ein Verbot. "Selbst riesige Sport-Events wie die Football-NFL am letzten Totensonntag dürfen an solchen Feiertagen stattfinden. Und Markus Söder postet dann Selfies aus dem Stadion", sagt Süß.

Der 57-Jährige war bis zu seiner Wahl 2020 selbst Betreiber vom Harry Klein in der Sonnenstraße, einem der bekanntesten Clubs der Stadt. Aus dieser Zeit weiß er noch, wie "schmerzhaft" die "stillen Feiertage" für das Budget sein können — vor allem in den Jahren, in denen viele Tanzverbote auf einen Freitag oder Samstag fallen.

Aber selbst wenn sich im Stadtrat eine Mehrheit gegen das Verbot bilden würde, könnte sie darüber nicht entscheiden. Ob an Allerheiligen und am Karfreitag in München getanzt wird, sei Hoheitsbereich der Bayerischen Staatsregierung, sagt Süß. Doch nach seinem Dafürhalten sei es höchste Zeit, diese "aus der Zeit gefallene Praktik" abzuschaffen.

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Initiative "Mehr Lärm für München" fordert  Lärmverbotsverbot

Neben dem BFG, dessen Mitglieder sich schon über zehn Jahre am Tanzverbot abarbeiten, teilt deren Forderung jetzt auch ein junges Münchner Kollektiv. Für die Initiative "Mehr Lärm für München" ist das Tanzverbot ein Beweis dafür, dass das Bedürfnis nach Ausgelassenheit und lautem sozialen Miteinander dem Bedürfnis nach Ruhe untergeordnet wird, sagt Julia Richter, eine Sprecherin des Kollektivs.

Würde die Staatsregierung an dem Verbot festhalten, fordert "Mehr Lärm für München" einen Ausgleich: Wenn Menschen an neun Tagen im Jahr – so viele stille Feiertage gibt es in Bayern insgesamt – selbst in geschlossenen Räumen leise sein müssen, dann sollten sie auch an neun Tagen im Jahr laut sein dürfen. Auch unter freiem Himmel.

Mehr Lärm für München fordert daher das: "Ein Lärmverbotsverbot an neun Tagen im Jahr! An diesen Tagen dürfen alle Menschen im Freien zu Musik tanzen, lachen und laut sein. Lärmbeschwerden werden ignoriert."

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  • SagI am 02.11.2023 15:25 Uhr / Bewertung:

    Staatliches Tanzverbot? Wer weiß, ob da nicht eines Tages auch noch ein tägliches fünfmaliges Gebetsgebot dazukommt.

  • Gisi2020 am 02.11.2023 09:32 Uhr / Bewertung:

    Wenn eine Konsequente Trennung von Staat und Kirche: keine Kreuze mehr in Amtsstuben ... Dann bitte auch Kopftuchverbot für Muslima in der Öffentlichkeit. Ferien unabhängig von Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Kein Sonntagsfahrverbot für LKW. Dann fallen auch die ganzen Feiertags und Wochenende-Zuschläge weg. Geschäfte können auch am Sonntag geöffnet sein.
    Dann kann ich meine Freien Tage so legen wie ich will - Egal ob dann meine Freunde am gleichen Tag frei machen wie ich.
    Sind halt dann nur ein paar gesetzliche Feiertage: Neujahr, 1.Mai, Tag der Deutschen Einheit, der Rest fällt weg.
    Ob das der Bund für Geistesfreiheit wirklich so meint?

  • Mittelreich am 02.11.2023 09:16 Uhr / Bewertung:

    Diese Diskussion gab es schon in den 80getn, geandert hat sich nichts. Die christlichen Fundamentalisten werden sich noch hundert Jahre gegen Lockerungen bei den Verboten wehren.
    Denn, eine Religion ohne Verbote verliert ihre Existenzberechtigung.

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