"Diese Blockade können wir uns nicht leisten": Grünen-Politikerin Jamila Schäfer ärgert Stillstand bei Wohnungspolitik

AZ: Frau Schäfer, wie bewerten Sie die Ergebnisse des Migrations-Gipfels im Kanzleramt? Werden sie zu einer Entlastung der Kommunen führen?
JAMILA SCHÄFER: Es ist sehr gut, dass der Bund eine stärkere finanzielle Unterstützung der Kommunen zugesagt hat, wodurch eine gewisse Entlastung erfolgen soll. Außerdem ist in dem Kompromiss ein Abschmelzen der Arbeitsverbote enthalten, wofür wir Grüne in den letzten Monaten viel Druck gemacht haben. Ansonsten enthält diese Einigung viele Scheinlösungen, die nach harter Hand klingen, aber überhaupt nicht umsetzbar sind.
Welche Scheinlösungen?
Zum Beispiel die Verlängerung der stationären Grenzkontrollen, die zu keinem einzigen Asylantrag weniger führen. Selbst die Gewerkschaft der Polizei hält das für Symbolpolitik zulasten der Beamten. Außerdem muss erst einmal eine Einigung mit den Nachbarstaaten gefunden werden, wie diese Zurückweisungen vor sich gehen sollen. Das ist allerdings genau das, was seit Jahren nicht funktioniert: eine gemeinsame Herangehensweise mit den Nachbarstaaten, die die Geflüchteten einfach durchleiten. Hinzukommt, dass die durchaus sinnvolle Zielsetzung, die Schlepper zu bekämpfen, viel wirksamer mit Migrationsabkommen zu erreichen ist, die aus der sogenannten "irregulären Migration" eine reguläre machen - und durch Schleierfahndung. Außerdem wird durch die Bezahlkarte oder die Leistungskürzung noch mehr Bürokratie in den Kommunen geschaffen und Experten aus den Sicherheitsbehörden vermuten, dass solche Maßnahmen eher zu mehr Kriminalität und Schwarzarbeit führen - obwohl wir dringend mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung brauchen. Insofern fällt mein Fazit gemischt aus.
Jamila Schäfer: FDP-Ministerium blockiert Gesetze für Bauen und Wohnen
Das bedeutet?
Wir müssen uns jetzt ganz pragmatisch und lösungsorientiert im parlamentarischen Verfahren mit den Vorschlägen beschäftigen, um keine populistischen Scheinlösungen in Gesetze zu gießen.
Ein Grund für die prekäre Lage der Kommunen ist auch, dass es der Ampel-Regierung trotz vieler hehrer Worte nicht im angestrebten Maß gelungen ist, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Woran hakt es - neben den gestiegenen Zinsen, die viele Bauvorhaben einbremsen?
Was mich ärgert, ist, dass wir viele strukturelle Probleme nicht angehen. Einmal, weil wir die Finanzierungsspielräume für die Kommunen künstlich verkleinern, zum Beispiel mit Steuerentlastungen für Besserverdiener, und dem Wohnraumproblem gerade nicht mit pragmatischen Lösungen begegnen. Dabei haben wir uns im Koalitionsvertrag unter anderem darauf verständigt, dass wir das Thema Vorkaufsrecht anpacken wollen, so dass Kommunen mehr Handlungsfähigkeit haben. Das Bundesministerium für Bauen und Wohnen hat dazu bereits im April 2022 einen Vorschlag gemacht - und der wird seitdem von den FDP-Ministerien blockiert. Und das, obwohl auch der Bundesrat im April 2022 die Bundesregierung aufgefordert hat, das jetzt schnellstens anzupacken.
Was hat es mit der Neuen Wohngemeinnützigkeit auf sich, die ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbart wurde?
Es geht darum, langfristig sozialgebundenen Wohnraum zu schaffen, indem es für diejenigen Vergünstigungen gibt, die diesen Wohnraum anbieten wollen. Dazu hat die Bundesregierung im Herbst einen 14-Punkte-Plan vorgelegt. Aber trotz dieser Einigung wurden vom Finanzministerium im Haushaltsentwurf für 2024 bisher keine Mittel für diese Investitionszuschüsse eingeplant und es gibt auch noch keinen Gesetzentwurf. Hier liegen wir aber noch im Zeitplan. Beim Vorkaufsrecht hingegen hätten wir längst liefern wollen und sollen.
Jamila Schäfer: Ärger über die Koalitionspartner bei der SPD und FDP
Neu zu bauen ist das eine, die explodierenden Mieten sind das andere. Ihre Parteichefin fordert eine Mieterschutzoffensive und nennt Punkte wie die Verschärfung der Mietpreisbremse, einen qualifizierten Mietspiegel, eine Absenkung der Kappungsgrenze und die Begrenzung von Indexmieten. Vieles davon steht ebenfalls im Koalitionsvertrag - warum geht auch hier nichts voran?
All diese Punkte haben wir 2021 vereinbart und die Umsetzung auch in einer Mietrechtsnovelle mehrfach angekündigt. Aber bisher wurde vom Justizministerium nichts auf den Weg gebracht. Und es ist mittlerweile auch öffentlich bekannt, dass das Justizministerium die Umsetzung der Novelle an ein Einlenken des Bundesinnenministeriums bei der Vorratsdatenspeicherung geknüpft hat, die aber gar nicht im Koalitionsvertrag steht. Alle Begrenzungen der Mietsteigerungen scheitern gerade an einer gegenseitigen Blockade des Justiz- und des Bundesinnenministeriums. Weil dem SPD-Teil im Kabinett die Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung, die ohnehin schon vom Verfassungsgericht gekippt wurde, wichtiger ist als sozialer Wohnraum. Diese Blockade können wir uns in Zeiten von Inflation und Teuerung nicht leisten.
Aber verhalten sich die Grünen nicht manchmal ähnlich? Familienministerin Lisa Paus blockierte im Sommer das Wachstumschancengesetz der FDP aus Verärgerung über deren Einwände gegen die Kindergrundsicherung.
Das Wachstumschancengesetz haben wir am Ende ja auf den Weg gebracht. Dass es etwas gedauert hat, lag daran, dass die FDP vorher die im Koalitionsvertrag festgelegte Kindergrundsicherung blockiert hatte. Wir haben uns immer an den Koalitionsvertrag gehalten - das ist der Unterschied.
Schäfer: "Wir Grünen sehr viel mitgetragen haben, was nicht in unserem Parteiprogramm steht"
Kanzler Olaf Scholz hat gerade in einem Interview zu weniger öffentlich ausgetragenem Streit in der Ampel gemahnt und gesagt: "Manche Parteien lernen gerade, was es bedeutet, sich einigen zu müssen - und zwar nicht auf 100 Prozent des eigenen Parteiprogramms." Meint er die FDP oder Ihre Partei?
Das müssen Sie Olaf Scholz fragen. Fakt ist, dass wir Grünen sehr viel mitgetragen haben, was nicht in unserem Parteiprogramm steht. Wir haben LNG-Terminals gebaut, die Atomkraftwerke länger laufen lassen, wir haben Waffenlieferungen an die Ukraine freigegeben und viele andere Kompromisse bei den Themen Aktienrente, Finanzen oder Einhaltung der Schuldenbremse trotz Krisenzeiten mitgemacht. Eben, weil sie im Koalitionsvertrag stehen. Deshalb habe ich sehr wenig Verständnis dafür, dass sich andere nicht an dieses Abarbeiten der Vereinbarungen halten - insbesondere bei Punkten, wo wir aktuell drängende Probleme haben, und dazu gehört einfach das Thema Wohnen. Wir haben als Koalition schon oft bewiesen, dass wir Dinge hinbekommen - genau das sollten wir hier jetzt auch.